Marcus Scholz

17. Januar 2018

Als der Brasilianer Walace heute die Treppen zum Trainingsplatz singend und pfeifend heruntertrottete, kam bei mir der Verdacht auf, sein Wechsel zu Flamengo stünde unmittelbar bevor. Es ging ja auch nur noch um die Dauer der Ausleihe, hieß es am Montag, wo man optimistisch war, zu einer Lösung zu kommen. Inzwischen aber platzten die Verhandlungen. Vorerst. Hintergrund: Flamengo wollte Walace mindestens bis Jahresende (die Brasilianer hatten ursprünglich auf 18 Monate gehofft) ausleihen, der HSV den defensiven Mittelfeldspieler aber nur bis Sommer abgeben. Ergebnis: Walace bleibt und ist nach Angaben seines Berater Braun und Sportchef Jens Todt „massiv enttäuscht“. Fakt ist auch: Das Verhältnis zum Trainer ist kaum mehr zu kitten. Insofern wieder ein Spieler, der teuer bezahlt nur nebenher läuft und nicht helfen will/kann/wird...

Okay, es ist nicht auszuschließen, dass es in der kommenden Woche weitere Gespräche gibt. Aber ebenso ist es möglich, dass Walace dann schon gar nicht mehr unbedingt weg will, weil sich die Umstände in Hamburg verändert haben. Zumindest wird das Spiel gegen den Tabellenletzten am Sonnabend von allen Seiten zum Endspiel deklariert. „Wer verliert, steigt ab! Wetten...?“ wird bei Facebook von Fans gemutmaßt. Die Tageszeitungen haben sich auch festgelegt und zählen schon potenzielle Nachfolger auf. Auch hier im Blog gilt eine Niederlage nahezu gleichbedeutend Abstieg. Vor allem aber scheinen sich alle Seiten sicher zu sein, dass ein missglückter Auftritt am Sonnabend im Abendspiel den Abschied von Trainer Markus Gisdol nach sich zöge.

Auch ich gehe aktuell davon aus. Und ich ärgere mich kolossal darüber. Denn wenn intern eine derartige Skepsis vorherrscht, ist (wie gestern schon beschrieben) der Punkt längst erreicht, etwas verändern zu MÜSSEN. Denn so geht man am Sonnabend fast sicher als Verlierer vom Platz. Unabhängig vom Spielverlauf! Denn nicht einmal ein sportlich erreichter Sieg würde den HSV zum Sieger machen, vielmehr bliebe der Trainer durch die vorangegangenen Diskussionen weiter massiv angezählt und geschwächt. Er wäre zwar gerettet für den Moment – aber nur auf Bewährung. Und bei den nächsten Niederlagen ginge alles wieder von vorn los. Eine echte – entschuldigt bitte den Ausdruck - Scheißsituation. So steigt man ab.

Der weiterhin bestätigt gewollte Transfer von Dominik Kaiser ist auch durch die Walace-Verzögerungen noch nicht umgesetzt. Ebenso wenig ist mit dem Transfer eines Offensivspielers zu rechnen, obwohl man her bereits in Gesprächen sei. Insofern scheint sich bis zu dem so eminent wichtigen Spiel gegen den 1. FC Köln personell wohl nichts mehr zu verändern. Leider. Stattdessen kann/muss sich Trainer Gisdol voll auf die Spieler konzentrieren, die aktuell da sind - um das Ganze mal von der positiven Seite zu beleuchten.

Andererseits wäre es wichtig gewesen, im Spiel gegen einen direkten Konkurrenten alles umgesetzt zu haben, was der Mannschaft noch mal neue Impulse geben kann. Mit einem Sieg nach Veränderungen würde man neue, wichtige und Hoffnung bringende Aufbruchsstimmung schaffen, die einen ein paar Wochen und bestenfalls sogar die gesamte Rückrunde hindurch tragen könnte. Aber eine Woche später auswärts bei einem formstarken Champions-League-Aspiranten ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch personelle Veränderungen bzw. Verbesserungen nicht reichen. Und damit liefe man größte Gefahr, dass der Effekt des Neuen verpufft, bevor er wirken konnte. Und, ganz nebenbei ist es auch typischer HSV-Style irgendwie, oder? In etwa wie der Aufsichtsrat, der größte teils schon abgesetzt ist und trotzdem noch die wesentlichen Entscheidungen fürs kommende Jahr und darüber hinaus trifft. Denn, stellen wir uns einfach mal den nicht unwahrscheinlichen Fall vor, dass der Trainer tatsächlich in absehbarer Zeit gehen muss, aber trotzdem zusammen mit dem Sportchef noch das Personal für die gesamte Rückrunde bestimmt...

Auch deshalb bleibe ich dabei: Wenn schon Neuerungen, dann wären sie vor der Winterpause wichtig gewesen, spätestens aber jetzt vor dem Köln-Spiel. Und nur um mal den Unterschied zwischen den zuletzt siegreichen Kölnern nach ihren Winteraktivitäten (neuer Sportchef, Trainer vor der Winterpause gewechselt, zwei neue Spieler) zu verdeutlichen: Dort wird von „nur noch sieben Punkten bis zum rettenden Ufer“ und vom „Beginn einer Aufholjagd“ gesprochen, während hier Untergangsstimmung herrscht. Ohne, dass ein positives Ende in Sicht ist...

Im Training heute (siehe Video von meinem jungen Kollegen Jonathan Blomqvist) war von erhöhter Anspannung vor dem Spiel gegen den 1. FC Köln nichts zu spüren. Auf tiefem, durch den Schnee aufgeweichten, rutschigen Boden wurde schnelles Umschaltspiel über die Außen geübt. Und bis auf Jann-Fiete Arp (Abi-Vorklausur) und die Langzeitverletzten Nicolai Müller, Albin Ekdal und Bjarne Thoelke, der wieder individuell trainierte, waren alle dabei. Lewis Holtby (Knieprobleme) zwar nur partiell, aber ansonsten fehlte niemand. Und auch die Fans, meine letzte Hoffnung im Abstiegskampf, scheinen wieder da zu sein.

Nachdem zuletzt nachvollziehbar weniger Zuschauer den Weg ins Stadion suchten, sind Stand heute schon 50.000 Tickets abgesetzt. Angeblich sollen darunter auch 10.000 Kölner sein – aber allein die Tatsache, dass es im Stadion bei Flutlichtatmosphäre richtig hitzig wird, lässt mich hoffen, dass die Mannschaft den Antrieb von außen eingeimpft bekommt, den sie sich – wie in Augsburg deutlich wurde - auf dem Platz aus sich selbst heraus nicht mehr geben kann. Und so schlecht das Zeugnis auch für den HSV, seine Spieler sowie für alle Verantwortlichen mit dieser Feststellung auch ist: Ehrlich gesagt sind die HSV-Fans momentan meine letzte Hoffnung. Mal wieder...

Ansonsten gibt es sportlich nichts zu berichten. Und ich hoffe, Ihr verzeiht mir heute (und vielleicht auch morgen noch mal), dass ich die Vereinspolitik wie die Wahl zum Präsidenten des e.V. (trotz der Tatsache, dass einer aus unserer Blogmitte, Thomas Schulz, für das Amt des Vizepräsidenten kandidiert) vor dem Köln-Spiel nach Möglichkeit noch ausblende. Es lenkt nur unnötig vom Wesentlichen ab. So, wie das ganze Theater um Walace, „Gisdols Endspiel“ und die weiter fehlenden Neuzugänge...

In diesem Sinne, bis morgen. Da melden wir uns via Facebook wieder ab 13 Uhr live von der Pressekonferenz mit Markus Gisdol, bevor unter Ausschluss er Öffentlichkeit trainiert wird.

 

Bis dahin,

Scholle

 

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.