Marcus Scholz

15. Juni 2019

„Der Prophet gilt nichts im eigenen Lande“ - eine Weisheit, die durchaus auf den Fußball zu übertragen ist. Denn kurioserweise werden viele Talente in ihren eigenen Vereinen noch immer sehr häufig nicht im Ansatz so hoch gehandelt hier außerhalb. Alle bilden aus - und sehen bei den anderen immer die besseren Talente. Auch beim HSV ist diese Phänomen erkennbar. Mats Köhlert wechselte gerade vom HSV in die erste niederländische Liga zu Willem II. Und erst gestern wurden Keeper Morten Behrens (nach Magdeburg) und Patric Pfeiffer (zu Darmstadt 98) verabschiedet. Letztgenannter hatte erst 2017 seinen Profivertrag unterschrieben und es weiter auf genau - NULL - Spielminuten gebracht bei den Profis.

Genauer gesagt: Er war nicht ein einziges Mal für den Profikader nominiert. Und jetzt geht es nach Darmstadt. „Mit Patric Pfeiffer erhalten wir einen hochtalentierten Spieler, der beim HSV eine hervorragende Ausbildung genossen hat“, freut sich Ex-HSV-Keeper und Darmstadt-Sportchef Carsten Wehlmann über seinen Deal. „Dass er in der deutschen U19 und U18 eingesetzt wurde, unterstreicht sein Potenzial.“

Und auch beim HSV findet sich niemand, der ein schlechtes Wort über Pfeiffer sagt. Ebenso wenig wie Pfeiffer über den HSV. Trotzdem ist er jetzt weg. „Es ist schon schade, dass es nicht geklappt hat beim HSV“, sagt Pfeiffer, der in Hamburg geboren über den Bramfelder SV zum HSV kam. 2017 im Winter unterschrieb er seinen Profivertrag, nachdem ihn der damalige Trainer Markus Gisdol zu den Profis hochgezogen hatte und auch anschließend mit ins Trainingslager ins spanische Jerez nahm. „Damals war die Konkurrenz mit van Drongelen, Papadopoulos, Thoelke und Jung groß“, erinnert sich der 1,96 Meter lange Abwehrriese an seine ersten Profischritte. „Mein Problem war auch, dass ich zu früh zu viel wollte. Ich habe zu viel versucht, zu Viel trainiert - und es am Ende leider nicht geschafft.“

Hinzu kamen etliche Trainerwechsel. Sein erster Förderer, Markus Gisdol beispielsweise, musste nicht einmal einen Monat nach Pfeiffers Unterschrift gehen. Es kamen in der Folge Bernd Hollerbach, Christian Titz und zuletzt Hannes Wolf. Das habe es nicht leichter gemacht, sich nachhaltig zu empfehlen, „weil man irgendwie doch immer wieder bei Null angefangen hat“, so Pfeiffer, der am Freitag schließlich seinen ersten Profivertrag außerhalb Hamburgs unterschrieben hat.

Bis 2022 bindet sich Pfeiffer an den Zweitligakonkurrenten des HSV - und er freut sich auf Darmstadt, obgleich er auch etwas wehmütig zurückblickt. „Als mein Berater vor ein paar Wochen den Anruf bekam, saß ich gerade mit ihm beim Essen. Es war ein komisches, aber irgendwie ein schönes Gefühl. Es ist ja auch eine Form der Anerkennung für meine Leistung. Aber ich bin halt Hamburger und wollte es hier schaffen - da musste ich schon ein wenig überlegen, bis ich eine klare Entscheidung gefunden hatte.“

Die Frage, die sich viele Fans seit Jahren stellen ist die, weshalb aus dem HSV-Nachwuchs so wenig oben funktioniert. Und auch Pfeiffer muss zunächst überlegen, als ich ihn frage. Er wolle gar nicht allgemein für alle, sondern lieber nur für sich sprechen. „Und bei mir waren es sicherlich auch die Umstände mit den Trainerwechseln. Außerdem ist in Hamburg klar, dass man schon deutlich besser sein muss als sein Konkurrent, um einen erfahreneren Spieler zu verdrängen. Das ist nicht leicht, das schaffen nicht viele“, so Pfeiffer, der unter Christian Titz noch mal auf den Durchbruch hoffte, diesen aber wie erwähnt nicht schaffte.

Obwohl er hoch gehandelt wurde. „Patric ist ein ziemlich kompletter Innenverteidiger“, lobt Andre Kilian, der die letzte Saison als Cotrainer beim HSV agierte und inzwischen nach Essen gewechselt ist, wo sein Förderer Titz zur neuen Saison den Cheftrainerposten einnimmt. Was Pfeiffer und anderen Talenten fehlte? „Konstanz“, so Kilian, „man muss als Trainer das sichere Gefühl haben, dass der Spieler auch an schlechten Tagen mindestens 80 bis 90 Prozent seines Leistungsvermögens abrufen kann.“ Und das habe bei Pfeiffer gefehlt. „Er hat wirklich alles. Er ist physisch stark, hat ein starkes Kopfballspiel und ein sehr gutes Tempo. Er schlägt mit beiden Füßen starke Diagonalbälle - seine Veranlagung ist schon unglaublich. Aber er hatte bei uns zu große Schwankungen. Und in einer Saison, in der der Aufstieg der klare Auftrag ist, ist kaum Platz für riskante Experimente.“ Sehr zum Nachteil der Jungprofis.

Die Frage, die sich jetzt stellt: Hat Hecking mehr Mut? Auch er soll aufsteigen. Und den Kader hat man bislang mit Zweitligaspielern ergänzt bzw. verstärkt. 20 Feldspieler plus die Torhüter sollen im Profi-Trainingsbetrieb teilnehmen. Viel Platz für den eigenen Nachwuchs ist da höchstwahrscheinlich nicht. Ein riskantes Manöver, das sich schnell negativ auf die Nachwuchsabteilung auswirken kann. Zumal in selbiger aktuell eher Abschieds- denn Aufbruchsstimmung vorherrscht. Die Talente sehen offenbar, dass ihre Chancen auf den Durchbruch nicht größer werden. Ob das so ist? Pfeiffer überlegt lang. Er will nichts negatives sagen, das merkt man. Und deshalb schweigt er auch, sagt nur: „Dazu kann ich nichts sagen.“

Zumal noch weitere Verstärkungen kommen sollen. Gestern vermeldete die BILD, dass der HSV angeblich Interesse an Werder Bremens österreichischen Nationalspieler  Martin Harnik habe. Eine Meldung, die mir gegenüber von Spielerseite klar dementiert wurde. Interessanter soll neben den schon bekannten Kandidaten Marvin Bakalorz (Hannover 96) und Marc Stendera (Eintracht Frankfurt) auch Ingolstadts Mittelfeld-Regisseur Sonny Kittel sein.

Interessant hierbei: Schon im letzten Sommer hatte sich der HSV um Kittel bemüht. Und der hat weiter für sich werben können, erzielte in der abgelaufenen Saison zehn Treffer. Eine beachtliche Statistik, wenn man bedenkt, dass Kittel als Mittelfeldspieler bei einem Absteiger spielte. Auch deshalb soll Kittel erneut interessant sein für den HSV. Pikant: Im letzten Sommer scheiterte der HSV an der geforderten Ablösesumme von fünf Millionen  (!!) Euro. Durch den Abstieg der Ingolstädter ist der Vertrag des 26-Jährigen inzwischen aufgelöst und Kittel somit aktuell ablösefrei - aber auch stark umworben, wie zu hören ist.

Von HSV gibt es wie immer nichts zu potenzielle Kandidaten. Dafür aber zum Los in der ersten Runde des DFB-Pokals, wo der HSV auf den Drittligaaufstieger Chemnitzer FC trifft. HSV-Sportvorstand Jonas Boldt: „Der Chemnitzer FC ist ein traditionsreicher Club. Sie werden versuchen, es uns möglichst schwer zu machen, aber natürlich lautet unsere Zielsetzung, in die 2. Runde einzuziehen. Wir freuen uns auf das Spiel und die Atmosphäre im Stadion.“ Wann genau gespielt wird, ist noch offen. Die Paarungen werden vom 9. bis zum 12. August ausgetragen.

In diesem Sinne, bis morgen. Euch allen noch einen schönen Sonnabend!

Scholle

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