Marcus Scholz

25. Februar 2018

Das Gucken ist irgendwie anders. Wie an jedem Sonntag läuft auch heute bei mir parallel zum Schreiben Fußball live. Nachher noch Erste Liga, aber vorweg Zweite Liga mit dem Nordderby St. Pauli gegen Holstein Kiel. Kein schönes Spiel auf scheinbar schwierigem Unterboden und die Störche führen. Normalerweise interessiert mich das Ergebnis eher weniger. Aber diesmal ist das irgendwie anders. Diesmal schwingt etwas mit wie Spielbeobachtung. Ich gucke schon, wer von den Spielern auf dem Platz für den HSV interessant sein könnte. Heute morgen habe ich mich dabei ertappt, wie ich nachgesehen habe, wer aus der Dritten Liga hochkommen könnte. Weil es ein potenzieller Gegner sein könnte in der neuen Saison. Heute Zweite Liga gucken heißt sicher nicht nur bei mir sondern auch beim HSV schon „Saisonvorbereitung“. Und das meine ich nicht im Scherz, sondern bierernst. Leider. Denn die Planungen, die bisher noch zweigleisig laufen (sollten) können schon verstärkt auf die Mission Wiederaufstieg ausgelegt werden.

Dass Bernd Hollerbach das anders sieht und auch anders spricht, logisch. Es seien noch zehn Spiele und dementsprechend noch vieles möglich, so der Cheftrainer zweckoptimistisch und noch immer mächtig sauer über die Schiedsrichterentscheidung beim entscheidenden Gegentor: „Der haut Rick von hinten das Standbein weg und spielt dann den Ball. Das muss als Foul gewertet werden“, so Hollerbach, der die Diskussion um Abseits oder nicht gar nicht erst aufnehmen wollte: „Wozu, wenn es ein Foul ist, ist es egal. Dann muss er das Pfeifen und nichts ist passiert.“

Auch heute versuchte sich der HSV-Coach schützend vor seine Mannschaft zu stellen, die beim Vormittagstraining sogar vorsichtshalber erhöhten Sicherheitsaufwand gestellt bekommen hatten. Für den Fall, dass auch heute wieder ein paar Idioten unterwegs sind. Glücklicherweise blieb das heute aus. Und das dürfte wohl auch so bleiben. Zumindest plant Bernd Hollerbach, sich mit der Mannschaft für die Vorbereitung auf das Mainz-Spiel noch mal ein paar Tage in ein nahegelegenes Trainingslager zurückzuziehen. Problem hierbei: Es bedarf einer Anlage mit Rasenheizung – und davon gibt es nicht allzu viele. Abgesehen von den Profiklubs, deren Anlagen sicher nicht vom HSV genutzt werden.

Hollerbach versucht alles. Und das ist auch ausschließlich positiv zu bewerten. Wenn nicht er, wer sonst? Allerdings darf das öffentliche Auftreten nicht zur Folge haben, dass man auch intern weiter auf den Klassenerhalt hofft. Denn intern muss der Realismus, so unschön er in diesem Fall auch ist, alles andere beherrschen. Da muss daran gearbeitet werden, dass der GAU im Sommer entsprechend abgefedert werden kann, dass man gleich wieder um den Wiederaufstieg mitspielt.

Wir haben gestern im „Rautenperle.tv live“ schon viel darüber gesagt, wie wir uns das vorstellen würden. Und ehrlich gesagt vergleiche ich den Saisonverlauf gern mit einem Fußballspiel, in dem man mit einer völlig aussichtslosen Taktik ausgestattet sehr früh durch ein übles Eigentor (Kaderplanung) in Rückstand geraten ist und in dem man fortan durchgehend unterlegen ist. Die Niederlage ist quasi von Beginn an zu vermuten/sehen. Und kurz vor der Halbzeit bekommt man folgerichtig sogar noch das hoch verdiente und erwartete 0:2. Doch anstatt jetzt zu handeln, also auszuwechseln und taktisch umzustellen, geht es unverändert weiter und man bekommt früh nach dem (Wieder-)Anpfiff das vorentscheidende 0:3 eingeschenkt. Veränderungen? Trotzdem keine. Man hat sich einfach entschieden, der Elf auf dem Platz zu vertrauen und sie durchspielen zu lassen. Die Hoffnung als Ratgeber – und das wider alle Warnungen von außen.

Amateurhaft hoch zehn. Und so passiert, was passieren muss. Es fällt das 0:4 in der 60. Minute und spätestens jetzt wissen alle, das geht hier richtig böse schief. Das 0:4 wirft für den Trainer und alle anderen die Frage auf, ob man jetzt auf Schadenbegrenzung geht oder doch noch mal alles nach vorn wirft. Und genau in dieser Situation steckt der HSV jetzt.

Alles auf eine Karte setzen oder lieber den Schaden begrenzen? Ich befürchte, trotz der an sich der HSV schwankt noch. Ein Indiz: Hätte man sich für Letzteres entschieden, würde man einen Törles Knöll sicher nicht ziehen lassen sondern dem jungen U21-Angrefer eine Perspektive als Zweitligastürmer beim HSV anbieten. Und würde der HSV konsequent seinen Weg planen, wäre auch die personelle Struktur schon jetzt zu ändern. Auf allen Positionen, die zu schwach besetzt sind. Soll heißen: Ganz oben beginnend. Ansonsten geht der freie Fall weiter. Auch in der Zweiten Liga.

Bernd Hoffmann hatte vor seiner Wahl angekündigt, die wichtigsten sieben oder acht Personalien hinterfragen zu wollen. Den Vorstandsvorsitz, den Sportchef, die Trainerposten sowie das Scouting. Und damit hatte er den Nerv der HSV-Mitglieder getroffen, die sich nichts mehr wünschen als eine Neuaufstellung als einzigen positiven Aspekt des Abstieges. Und ich kann nur hoffen, dass Hoffmann, der gestern in Bremen neben dem neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Krall saß (gutes Omen?), es in den nächsten Tagen und Wochen schafft, diese Veränderungen zusammen mit dem dafür verantwortlichen Aufsichtsrat und dem (dann neuen) Vorstand umzusetzen. Ich könnte mir für den Fall auch vorstellen, dass ein Klaus Michael Kühne wieder gesprächsbereiter ist und den Neuanfang des bekanntermaßen hoch verschuldeten HSV maßgeblich (mit)finanziert.

Wie so ein Neuanfang konkret aussehen könnte? Morgen mehr dazu. Für heute soll es das gewesen sein. Zumal ich das Gefühl habe, dass meine Gäste Jurek Rohrberg, Bernd Enge, Joachim „Scorpion“ Woyke und ich gestern in der Live-Sendung schon sehr ausführlich darüber gesprochen haben, was sich wie ändern MUSS.

 

In diesem Sinne, bis morgen.

Scholle

 

P.S.: Anbei noch ein Interview mit HSV-Vorstand Frank Wettstein zum Thema Fans (via hsv.de):

"Wir haben eine Null-Toleranz-Haltung"

HSV.de: Die Pyro-Vorfälle im HSV-Fanblock in Bremen hatten ein extremes Ausmaß mit Spielunterbrechungen des Schiedsrichters. Wie haben Sie das empfunden?

Frank Wettstein: Ich habe mich maßlos geärgert, weil nicht nur die Spieldurchführung gefährdet war, sondern auch die Gesundheit von Spielern und Zuschauern. Für ein derartiges Verhalten habe ich keinerlei Verständnis. Die Leute, die so etwas machen, handeln verantwortungslos.

Es soll im Rahmen der Vorfälle von Bremen zu Festnahmen gekommen sein. Wie werden Sie mit möglicherweise identifizierten Tätern umgehen?

Mit jeglicher Konsequenz. Wir warten jetzt erst einmal auf das Anschreiben des DFB und werden dann Stellung zu den Vorfällen nehmen. Sollten wir wie in vergangenen Fällen mit einer Geldstrafe belegt werden, dann werden wir im Falle von identifizierten Verursachern alle juristischen Mittel ausschöpfen, um die Strafen an den oder die Täter weiterzubelasten. Die Personen, die solche Aktionen planen und durchführen, schaden unserem Club nachhaltig. Sie nehmen Personenschäden und finanzielle Sanktionen in erheblicher Größenordnung in Kauf und müssen sich dafür verantworten.

Betrachten Sie derartige Aktionen als Folge des Frusts?

Aus meiner Sicht hat das mit Frust oder Rebellion nichts zu tun. Es ist kriminelles, gefährdendes Verhalten. Wir wollen so etwas nicht im Stadion erleben und haben klare Regeln aufgestellt. Entsprechend rigoros werden auch die Maßnahmen ausfallen, auch wenn es sich nur um eine kleine Personengruppe handelt, die derartige Aktionen durchführt.

Bei der Heimniederlage gegen Leverkusen gab es nach dem Abpfiff einen von den Sicherheitskräften verhinderten Platzsturm im Volksparkstadion. Erwarten Sie für den weiteren Verlauf der Saison neuerliche Anfeindungen bzw. Protestaktionen?

Ich möchte eines klarstellen: Ich habe großes Verständnis für die Enttäuschung unserer Fans. Sie haben in der jüngsten und auch längeren Vergangenheit sportlich viele Tiefpunkte und Rückschläge ertragen müssen. Dass das auch mal in Frust umschlägt, ist menschlich. Dennoch gibt es Grenzen. Pfiffe sind erlaubt, Gewaltandrohungen, Sachbeschädigungen und Platzstürme nicht. Wir pflegen seit jeher einen konstruktiven und vertraulichen Austausch mit unseren Fangruppen und auch mit den Ultras. Geht es aber um die Gefährdung unserer Partien oder sogar unserer Spieler und Angestellten, haben wir eine Null-Toleranz-Haltung. Entsprechend werden wir vorgehen. Unser Trainer hat es treffend formuliert: Wir brauchen jetzt keine Selbstzerstörung, sondern in dieser schwierigen Gesamtlage Zusammenhalt. Der hat uns auch in anderen schwierigen Situationen ausgezeichnet. Daran sollten wir uns orientieren.

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