Tobias Escher

7. Februar 2019

Über 60% Ballbesitz, 20:1 Torschüsse: Der Hamburger SV siegte im DFB-Pokal-Achtelfinale souverän gegen den 1. FC Nürnberg. Unser Taktikanalyst Tobias Escher erklärt, wieso Hannes Wolfs Team die Partie derart dominierte – und wieso sie trotzdem nur ein Tor schossen.

Wenn im DFB-Pokal ein Erstligist auf einen unterklassigen Klub trifft, ist das zumeist eine undankbare Aufgabe. Der unterklassige Klub verbarrikadiert sich häufig in der eigenen Hälfte, und selbst wenn man die gegnerische Mauer knackt, erhält man selten Lob von den Fans und Medien – ein Sieg gegen einen unterklassigen Gegner sei schließlich Pflicht! Das Spiel des Hamburger SV gegen den 1. FC Nürnberg war insofern ein besonderer Kick: Nicht nur, dass der Tabellenführer der Zweiten Liga als leichter Favorit in die Partie ging. Es war am Ende der Siebzehnte der Ersten Liga, der eine Taktik spielte, die normalerweise das unterklassige Team wählt.

Anrennen gegen das Bollwerk

Nürnbergs Trainer Michael Köllner stellte seine Mannschaft betont defensiv auf. Nürnberg reihte sich mit zwei Viererketten in der eigenen Hälfte auf. Innerhalb ihres 4-4-1-1-Systems übten sie nur selten Druck auf den HSV aus. Nürnberg schloss die Passwege in die Spitze und hoffte auf Fehler des HSV – die typische Außenseiter-Taktik eben. Nach Ballgewinnen wollten sie schnelle Konter über das Zentrum fahren. Dazu rückten die Außenstürmer in die Mitte ein, die Stürmer suchten direkt den Weg in die Tiefe.

Diese Ausgangslage war für den Hamburger SV zunächst einmal nichts Neues. Auch in der Zweiten Liga treffen sie Woche für Woche auf Gegner, die mit zwei Viererketten auf Konter lauern. Nürnberg interpretierte das eigene System allerdings noch passiver als so mancher Zweitligist, der HSV hatte also noch mehr Ballbesitz als gewöhnlich. Eine offensive Strategie war gefragt.

HSV-Coach Hannes Wolf tat gut daran, den Erstligisten zu behandeln wie jeden gewöhnlichen Zweitliga-Gegner. Seine Aufstellung war sogar noch etwas offensiver als in den Spielen gegen Bielefeld und Sandhausen. Der HSV stellte sich erneut in einer Raute auf. Sechser Orel Mangala sicherte vor der Abwehr ab, davor agierte Lewis Holtby als Zehner hinter einer spielstarken Doppelspitze aus Berkay Özcan und Jann-Fiete Arp.

Taktische Aufstellung HSV-FCN

 

Raute ohne Achter

Der Clou der Hamburger Formation: Mit Bakary Jatta und Khaled Narey agierten zwischen Holtby und Mangala zwei echte Außenstürmer. Die Raute der Hamburger war also sehr breit angelegt – eigentlich sogar zu breit, schließlich befand sich zwischen Jatta, Mangala und Narey große Freiräume.

Diese Lücken schlossen die Außenverteidiger. Douglas Santos und Gotoku Sakai rückten in den Achterraum, den Jatta und Narey offen ließen. Der HSV hatte somit eine offensive Spielanlage. In Aufbau-Szenen postierte sich vor Managala eine Viererreihe aus Jatta, Santos, Sakai und Narey. Dadurch dass sich auch Holtby und Özcan wechselweise fallen ließen, hatte der HSV stets genug Anspielstationen im Zentrum. Über Jatta und Narey konnte er das Spiel in der Folge breit machen. Selbst wenn die passiven Nürnberger zum Pressing übergingen, erhielten sie keinen Zugriff.

Der zweite Vorteil dieser Formation: Nach Ballverlusten konnte der HSV sofort nachsetzen. Santos und Sakai waren im Zentrum präsent, um die gegnerischen Konter zu stoppen. Der HSV eroberte verloren gegangene Bälle schnell wieder zurück. Das lag nicht zuletzt an der Schwäche der Nürnberger: Sie spielten die eigenen Konter zu unpräzise und konnten sich in Eins-gegen-Eins-Duellen selten bis nie behaupten.

Es fehlt ein Lasogga

Zur Pause wies die Statistik 65% Ballbesitz für den HSV auf, nach Schüssen stand es 8:0. Dass es dennoch mit einem 0:0 in die Kabine ging, lag an der mangelnden Offensivpower der Hamburger. Sie hatten zwar viel Präsenz in den Mittelfeldräumen. Es fehlten jedoch Zuspiele ins Sturmzentrum. Auf wen hätten diese Pässe auch kommen sollen? Arp ist kein physisch starker Ballhalter, sondern eher ein mitspielender Stürmer. Das Fehlen von Sturmtank Pierre-Michel Lasogga war deutlich zu spüren. Gerade nach Flanken war der HSV harmlos.

Kurz nach der Pause erzielte der HSV den ersehnten Führungstreffer (54.) – Nürnbergs Abwehrpatzern sei Dank. In der Folge änderte sich die Statik des Spiels. Nun mussten die Nürnberger ihre totale Defensivhaltung ein Stück weit aufgeben. Mit der Einwechslung von Adam Zrelak (62., für Palacios) stellte Köllner auf eine Rautenformation um. Nürnberg fehlte jedoch weiterhin jede Präzision im Offensivspiel. An der gut besetzten Mittelfeld-Zentrale der Hamburger bissen sie sich die Zähne aus.

Im Gegenzug fand der HSV nun mehr freie Räume auf den Flügeln vor. Nach Ballgewinnen schaltete der HSV nun schnell um, schickte die Außenstürmer oder Arp hinter die Abwehr. Abermals scheiterte der HSV an der schwachen Chancenverwertung; angesichts von 20:1 Torschüssen hätte der HSV deutlicher gewinnen müssen als mit 1:0. Das ist aber das einzige Manko an diesem Pokalabend.

Das Tagesgeschäft wartet

Wer einen Erstligisten derart eindrucksvoll besiegt, der wird auch keine Probleme haben mit dem kommenden Gegner Dynamo Dresden. Oder etwa doch? Fakt ist: Nürnberg war aufgrund des passiven Auftritts und der völlig fehlenden Gefahr durch Konter einer der schwächeren HSV-Gegner dieser Saison.

Auch Dresden wird dem HSV das Spiel überlassen. Sie haben Nürnberg aber zwei Dinge voraus: Aus ihrer Defensivformation heraus können sie mehr Druck erzeugen als der Erstligist. Egal ob Trainer Maik Walpurgis sein Team im 4-4-2 oder in seiner favorisierten 5-2-3-Variante aufstellt: Dresden kann gerade im Mittelfeld-Zentrum Zugriff erzeugen. Zudem haben sie im Konterspiel wesentlich mehr Wucht als Hamburgs Pokal-Gegner. Ihre Gegenstöße sind auf den agilen Stürmer Moussa Koné ausgerichtet.

Ein Spaziergang wird das Montagsspiel also nicht. Doch dass der HSV die Favoritenrolle nach über einem Jahr in der Zweiten Liga taktisch mehr als ausfüllen kann, bewiesen sie im Pokal. Ausgerechnet gegen einen Erstligisten.

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