Marcus Scholz

27. August 2019

Die Nachrichten sprudeln derzeit beim HSV. Als Tabellenführer ja ganz logisch, sollte man meinen. Aber es sind schon allein ob der Causa Bakery Jatta längst nicht nur gute Nachrichten. Obwohl der HSV sportlich derzeit das zeigt, was man sich erhoffen durfte, rückt das Sportliche immer nur am Wochenende in den öffentlichen Fokus. Unter der Woche wird derweil über Einsprüche der HSV-Gegner diskutiert oder wie heute darüber, dass sich der Fall Jatta verhandlungstechnisch noch lange hinziehen könne. Der DFB-Kontrollausschussvorsitzende Anton Nachreiner sagte der Tageszeitung „Die Welt“, er befürchte ein langwieriges Verfahren im Fall des geflüchteten Gambiers. „Aus meiner Sicht ist nicht klar, ob eine abschließende Entscheidung ergehen kann oder ob man nicht sagen muss, das Verfahren muss man doch wieder aussetzen, bis etwa die Ausländerbehörde zu einem definitiven Ergebnis kommt. Der Fall Jatta könnte sich zu einer unendlichen Geschichte entwickeln“, sagte der 63 Jahre alte Jurist und lässt mich kopfschüttelnd zurück.

Denn die einzige Möglichkeit dieser „Unendlichkeit“ ist, dass alle Gegner immer auch nach dem jeweiligen Spiel gegen den HSV Proteste einreichen. Und das können sie nur solange, wie der DFB kein abschließendes Urteil spricht. Bis dahin wird der Fall Jatta weiterhin Verlierer hervorbringen. Immer neue. Obwohl auch der Fall Jatta wie alle anderen vor dem Sportgericht zu verhandelnden Fälle Fristen bis zur endgültigen Erbringung von Beweisen seitens des Klägers/der Kläger hat, wurde diese Frist für den 1. FC Nürnberg verlängert - warum auch immer. Rein juristisch ist das Thema derweil so komplex für die Klubs, dass man von den Nürnbergern auch in näherer Zukunft keine Hilfe erwarten darf. Im Gegenteil. Woche für Woche werden neue  Vereine Einspruch einlegen können/müssen. Einige wenige verzichten darauf, weil sie das Thema rein moralisch angehen. Sagen sie - und auch ich kann für diese sportliche und vor allem menschliche Haltung nur applaudieren. Dass einige von denen vielleicht auch einfach nicht daran glauben, dass man dem HSV jemals ein Fehlverhalten nachweisen kann und die wiederum die Chance, als Gutmenschen dazustehen - drauf gesch… Denn am Ende setzen sie wenigstens starke Zeichen in Richtung des Menschen Jatta. Und das zählt.

Wie Nürnbergs Aufsichtsrats-Vize für die Sport Bild arbeitet

Auch die Nürnberger, über die sich Fußballdeutschland mehrheitlich zu empören scheint, scheinen meinen Informationen nach nicht wirklich daran zu glauben, dass der Protest am Ende zu einer Umwertung des 0:4 gegen den HSV führt. Sie verweisen aber (ebenso wie die Karlsruher und die Bochumer) immer wieder darauf, dass sie als Verantwortliche im Falle des Gegenteils persönlich dafür haftbar gemacht werden könnten. „Es reicht schon ein einziger Enttäuschter oder anders Motivierter, um uns auf entsprechenden Schadensersatz zu verklagen“, erklärt Stefan Müller, Aufsichtsrat beim FCN. Müller selbst scheint nicht daran zu glauben, dass dem HSV hier irgendwas nachgewiesen werden kann. Er hat die Punkte gegen den HSV als „sportlich verloren“ für sich abgehakt. Dennoch verteidigt er den Vorgang seines Clubs. „Wenn sie über die Flure des VIP-Bereiches in unserem Stadion laufen und ihnen einzelne damit drohen, dass sie Anwälte seien und dass sie die Clubführung verklagen würden, wenn am Ende eben diese ein bis drei Punkte gegen den HSV fehlen und sich herausstellt, dass ein Einspruch durchgegangen wäre, dann kommen sie gar nicht drumherum, diesen formaljuristischen Schritt zu gehen.“ Hintergrund: „Keiner von uns will sich am Ende einer 20-Millionen-Euro-Klage ausgesetzt sehen. Ich auch nicht.“

Müller ist seit 1978 Fan des Clubs und seit 2014 Mitglied des Aufsichtsrates. Seit 2016 fungiert er sogar als Stellvertretender Vorsitzender des Kontrollgremiums der Nürnberger und war dementsprechend von Beginn des Prozesses inhaltlich informiert. Dass im Auftrag des FCN Mitarbeiter in Gambia nach Beweisen forschen, wollte Müller ausschließen. Vor allem würde er das nicht gutheißen, sagt er selbst. Und damit komme ich zu dem Teil, den man „skandalträchtig“ ausschlachten könnte - obwohl er es letztlich gar nicht ist. Zumindest dann nicht, wenn man es unaufgeregt und korrekt aufschreibt. Und genau das versuche ich hiermit.

 

Zu den Fakten: Als Geschäftsführer einer Marketingfirma mit Sitz im bayerischen Schwabach arbeitet Müller zum einen mit einem Hamburger Geschäftsmann zusammen und pflegt darüber sogar Kontakte in die HSV-Fan-Szene. Zum anderen aber - und hier wird es ein wenig schwieriger zu differenzieren - betreut die Marketingfirma des Stellvertretenden Aufsichtsratschefs des 1. FCN seit vielen Jahren die BILD-Gruppe als großen Mandanten. Pikanterweise auch die SportBILD, die  das Thema Jatta überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte. Auf der Website der Nürnberger heißt es zu Müller und seiner Firma B&M Marketing GmbH (Link hier):

…Das Unternehmen ist mit derzeit 20 festen Mitarbeitern, sowie zahlreichen freien Mitarbeitern aktiv. Vertreter der B&M Marketing GmbH sind in Büros in München, Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg tätig. 

Die B&M Marketing agiert seit 2001 als exklusiver Dienstleister für die Vermarktung der periodisch erscheinenden Zeitschriften aus dem Axel Springer Auto Verlag GmbH. Dazu gehören unter anderem die vielen unterschiedlichen Mitglieder der AUTO, COMPUTER UND SPORT Familie wie z.B. AUTO BILD MOTORSPORT, AUTO BILD SPORTSCARS, AUTO BILD KLASSIK, AUTO BILD REISEMOBIL, AUTO BILD ALLRAD, AUTO TEST, DER GRILLER und BIKE BILD sowie deren digitale Ableger unter dem Dach von autobild.de und die Sonderpublikationen der COMPUTER BILD und SPORT BILD.

Ein Skandal? Eine Verschwörung der Bild mit dem 1. FC Nürnberg?

Logisch, es wäre ein Leichtes, das so zu konstruieren. Die Rautenperle würde bundesweit zitiert werden. Und es würde tatsächlich zu der gesamten, inzwischen verunsachlichten Berichterstattung rund um Jatta passen. Aber genau das mache ich definitiv nicht.

Mehr Sachlichkeit muss her - und ein Urteil des DFB

Denn gerade in meiner Position muss man natürlich sehr vorsichtig sein, bevor man Verdächtigungen in den Raum stellt. Diesen gewissenhaften Umgang mit brisanten Themen darf man eben nicht nur von anderen einfordern. Vielmehr muss und sollte genau DAS Grundsatz bleiben. Und allein der Umstand, dass Müller seine Einkünfte zu einem nicht unerheblichen Teil durch Dienstleistungen für die BILD-Gruppe des Axel Springer Verlages und hier im Speziellen auch über die SportBILD bezieht, reicht mir eben nicht, um Müller etwas vorzuwerfen.

Daher habe ich ihn heute direkt mit diesem Umstand konfrontiert und habe ihn gefragt, ob er einen Gewissenskonflikt sieht? „Den kann man natürlich konstruieren“, sagt Müller und ergänzt: „Aber in diesem Fall war ich vor der Veröffentlichung des Themas nicht informiert und bin auch im Anschluss daran nicht befragt worden. Wir vom 1. FC Nürnberg - damit meine ich die 9 Aufsichtsräte und die zwei Vorstände - haben uns nach Bekanntwerden der Geschichte juristisch Rat eingeholt und sind der dringenden Empfehlung unserer Juristen gefolgt. Ansonsten war ich nie involviert. Weder klubintern noch seitens der BILD-Gruppe.“

Die Nürnberger glauben selbst nicht an den Protest - sehen sich aber dazu genötigt

Passend dazu: Auf die Frage, wie er denn persönlich zu dem Einspruch stünde, wich Müller zunächst aus. Er musste sich als hoher Funktionär des FCN natürlich erst einmal hinter das Votum seiner Kollegen der Klubführung stellen. Dennoch wurde in dem von Herrn Müller erstaunlich offen geführten Gespräch heute immer deutlicher, dass ihm selbst dieser Protest gar nicht recht ist. Im Gegenteil, Müller scheint sich bzw. den FCN sogar genötigt zu sehen, so handeln zu müssen. Zumindest habe ich seine Forderungen, wie man dieses Thema endlich beenden könnte, so interpretiert. DFB und DFL waren hierbei viel genannt. Und: Müller selbst hatte versucht, eine Lösung einzuleiten, indem er seine Vorstände Niels Rossow und Robert Palikuca mit HSV-Boss Bernd Hoffmann zum vereinfachten Austausch in der Sache zusammen brachte. „Passenderweise“ übrigens auf der Feier zum „SportBILD-Award“ am vergangenen Montag in Hamburg…

Was uns das alles sagen soll? Ganz einfach: Das Thema Jatta hat schon jetzt sehr viele Verlierer. Mehr braucht es nicht. Aber je mehr Zeit verstreicht, desto mehr Verlierer bringt dieses Thema hervor. Automatisch. Nürnberg legte vor, der VfL Bochum vor einer Woche und der KSC gestern folgten. Selbst Hannover 96 dürfte am Sonntag - falls sie sportlich nicht gewinnen sollten - folgen. Und es wäre ein Leichtes gewesen, den 1. FC Nürnberg ob der Verquickung seines stellvertretenden Aufsichtsratsbosses mit der SportBILD in einem Licht erscheinen zu lassen, das bundesweit Schlagzeilen macht. Aber damit hätte ich die Reichweite einer Story der inhaltlichen Substanz maßlos (und vor allem auch gewissenlos) übergeordnet. So, wie es leider noch immer zu viele in dem Fall Jatta machen.

Der DFB muss seine Fürsorgepflicht endlich wahrnehmen!

Nein, letztlich geht es hier schon lange nicht mehr darum, wie die SportBILD zu der Aufmachung der Geschichte kam. Vielmehr geht es jetzt darum, wieder Sachlichkeit in das Thema zu bringen. Daher, noch mal ganz klar und deutlich, was ich auch schon am ersten Tag der Geschichte geschrieben habe: Diese Geschichte hätte es so nie geben dürfen. Da sie aber da ist, gilt es jetzt unbedingt, endlich weitere Schäden zu vermeiden. Und hierbei sehe ich aktuell den DFB in der Pflicht!

Denn der Dachverband ist hier entgegen der Aussagen Nachreiners sehr wohl in der Situation, den Fall abschließen zu können. Zumindest aus sportlicher Sicht. Es wäre ein Leichtes, aus der Causa Jatta einen Präzedenzfall zu schaffen - wenn der DFB diesen nicht sogar schaffen muss. Denn als übergeordnete Institution haben DFB wie auch DFL eine Fürsorgepflicht ihren Verbänden, ihren Mannschaften und allen ihren Mitgliedern gegenüber. Dabei zuzusehen, wie wochen- oder gar monatelang unbewiesen ein Einzelner an den Pranger gestellt und öffentlich dessen Glaubwürdigkeit in Frage gestellt wird - das gehört ganz sicher nicht dazu.

 

Und für alle, die auf die protestierenden Klubs schimpfen, ebenfalls noch mal ganz deutlich: Nur durch weiteres Nichthandeln des DFB und der DFL werden die gegnerischen Klubs des HSV juristisch weiter in die Bredouille gebracht, Einspruch einlegen zu müssen und Jatta damit öffentlich in Frage zu stellen. Selbst dann, wenn sie es (ACHTUNG, MEINE INTERPRETATION: wie Herr Müller) gar nicht wollen. Schon deshalb ist das aktuelle Verhalten des DFB und der DFL für mich nichts anderes als grob fahrlässig. Allen Beteiligten gegenüber.

Denn so verlieren am Ende ALLE.

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch und  anschließend dann hoffentlich auch wieder mit Fußball. Eines der Themen wird der Umgang mit Talenten sein. Zudem geht es um 15.30 Uhr auf den Trainingsplatz. Es wird öffentlich zugänglich trainiert.

 

Bis dahin!

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