Marcus Scholz

4. September 2018

Länderspielpause, das ist bei einem Verein wie dem HSV immer gefährlich. Solange es nicht komplett rund läuft oder es gar irgendwas zu feiern gibt, drohen Ärgernisse. Vor allem, wenn es irgendwo nicht läuft. Wie im Unterbau. Wobei: Dass es im Nachwuchs nicht rund läuft, war zu erwarten. Die U21 wurde personell durch verschiedene Beförderungen quasi zerpflückt. Und wofür man Christian Titz auf der einen Seite („neuer Jugendstil“) feiert, will man jetzt Steffen Weiß in der U21 abwatschen? Nein. Das funktioniert nicht. Und nur von brodelndem Ärger zu schreiben und dabei ein paar Wortfetzen reinzuwerfen wie den Streit von Nachwuchschef Bernhard Peters mit Sportvorstand Ralf Becker oder irgendeine Verbindung zwischen Weiß und Titz – das reicht nicht. Hier müssen Hintergründe genannt werden, um Situationen zu erklären.

Denn Misserfolge sind manchmal erklärbar. Manchmal sogar schwer zu verhindern. In diesem Fall ist der Absturz der U21 sogar ein Kollateralschäden. Denn wenn man die Stützen einer Mannschaft herausnimmt, ohne sie gleichwertig zu ersetzen, dann kann man nicht den gleichen Erfolg wie vorher erwarten. Und das liegt auch nicht allein an dem bis dato recht unerfahrenen vorherigen Trainer Steffen Weiß, obgleich er noch immer Anpassungsprobleme zu haben scheint. Mannschaftsintern, das kann ich sagen, genießt er fachlich einen guten Ruf. Aber er ist im Auftritt noch nicht die Autorität, die einige Youngster offenbar brachen, weil sie sich selbst nicht genug disziplinieren können/wollen.

Und ich gebe zu, auch ohne mit Weiß gesprochen zu haben, hatte ich ein ungutes Gefühl, als ich ihn das erste Mal getroffen habe. Völlig subjektiv und komplett ohne tieferen Einblick in seine Fähigkeiten. Inzwischen weiß ich, dass Weiß ein sehr interessantes, abwechslungsreiches Training anbietet. Langweilig wird es nicht. Ich weiß aber auch, dass seine Ansprachen in der Wirkung noch nicht an die seines Vorgängers heranreichen. Allerdings alles mit der Ursache verbunden, dass seine Mannschaft nicht mehr die Qualität seines Vorgängers hat, um seine Pläne und Ansagen umzusetzen. Und Fakt ist: Erfolge sind immer auch die Grundlage für die Glaubwürdigkeit des Trainers gegenüber seiner Spieler.

Die Besetzung des Nachwuchses war im Sommer tatsächlich ein extrem heißes Thema beim HSV. Die U19, die immer wieder Spieler für Profis und vor allem für die U21 abstellt, hat sich im Sommer komplett aus dem eigenen Nachwuchs der (zweifelsfrei bärenstarken U17) bedient. Dass hier Engpässe entstehen würden, wenn Spieler von dieser Mannschaft auch in der U21 oder bei den Profis aushelfen sollen, hatte deren Trainer Daniel Petrowsky angemerkt. Ohne große Wirkung. Ebenso gestaltete sich die Planung für die U21. Denn der direkte Profi-Unterbau hat mit Matti Steinmann seinen absoluten Leader ebenso verloren, wie etliche weitere Akteure, die unter der Woche „oben trainieren“, um am Wochenende teilweise „unten mitzuspielen“. Dass die Trainingseinheiten bei aller inhaltlichen Vielfalt nicht annähernd so produktiv sein können, wie Trainingseinheiten unter Titz, der in der vergangenen Saison immer seine 20 bis 25 Spieler vom Wochenende auch unter der Woche zusammen hatte – logisch.

Titz und Weiß tauschen sich hierbei nicht nur auf Spielerebene aus. Sie sprechen viel - und das muss bei einer guten Zusammenarbeit auch so sein. Wobei, nicht ganz ernst gemeint: Wenn Titz und Weiß ein ähnliches (Un-)Verhältnis hätten, wie es Markus Gisdol als HSV-Bundesligatrainer zu Titz als U21-Coach pflegte, dann gäbe es die ganzen Probleme im Nachwuchs wahrscheinlich gar nicht. Denn Gisdol verzichtete aus Prinzip auf Hilfe von Titz, sprach kein Wort mit dem U21-Trainer und wollte am besten auch keine Spieler von ihm. Aber das ist jetzt anders. Also im Grunde besser.

Titz und Weiß tauschen sich intensiv aus. Nicht über Bücher im selben Verlag, wie meine Kollegen leicht süffisant schrieben. Es geht um Inhalte. Die U21 spielt das hohe Torwartspiel ebenso wie die Profis, um alle daran zu gewöhnen. Dass es in der Regionalliga jetzt schon zu unnötigen Gegentoren geführt hat, ist bitter. Aber ich behaupte, dass die fehlende Möglichkeit, Dinge unter der Woche einstudieren und automatisieren zu können, hier das Kernproblem ist. Und das hat einen Ursprung, der weder bei Titz, noch bei Weiß zu suchen ist: Das liegt an der Kaderplanung. Denn es war allen bekannt, dass die Profis etliche Spieler hochziehen werden, wenn auch nur zum Training. Titz und Weiß warnten davor. Der Nachwuchsetat der Vorsaison wurde zwar gehalten, aber eben nicht aufgestockt, wie es Peters beim Vorstand angefragt hatte. Und deshalb ist es eine einfache Rechnung: Schiebe Nachwuchsspieler hoch (wofür der „neue Jugendstil“ gefeiert wird), kaufe keinen Ersatz unten (weil kein Geld dafür da ist) und Du hast oben gute Laune – aber unten eben nicht.

Sportvorstand Ralf Becker war mit der Profimannschaft ausgelastet. Das sagte er bei seinem Amtsantritt – und so war es dann auch. Die Kaderplanung im Nachwuchs hatten Nachwuchschef Bernhard Peters und Dr. Dieter Gudelt unter sich. Und beide waren der Meinung, man müsse den Etat aufstocken. Ohne Erfolg. Der Vorstand lehnte ab. Anschließend planten die beiden die Kader und man hoffte, über weniger externe Zugänge die Förderung der eigenen Talente zu forcieren. Man wollte aus der Not eine Tugend machen. Und wenn das sportlich erfolgreicher wäre, würde man sie auch dafür feiern. Da es aber bei beiden Teams im Vergleich zum außergewöhnlich erfolgreichen Vorjahr nicht so funktioniert – U19 ist mit zwei Siegen und zwei Niederlagen Neunter, die U21 mit zwei Siegen und fünf Niederlagen 16. – kann man sagen, dass diese Idee bis heute nicht funktioniert.

Und deshalb verwundert es mich auch nicht, dass Becker hier Analysen und daraus resultierende Gespräche ankündigt. Im Gegenteil: Das muss er als sportlich Hochrangigster des HSV zwingend machen. Und es ist auch davon auszugehen, dass es hier zu kontroversen Gesprächen kommen wird, weil die eine Seite sagen wird „Wir haben Euch gewarnt“, während die andere Seite sagen wird, „wir wollten ja aufstocken, konnten aber nicht“. Und mittendrin Becker, der sportlich beim HSV hauptverantwortlich ist und hier delegiert hat, nein: delegieren musste. Dass daraus ob des aktuellen Misserfolges schnell auch personelle Veränderungen entstehen, um zu demonstrieren, dass man Schuldige für die Krise ausgemacht hat – es ist normal in diesem Geschäft.

Und ehrlich gesagt wurden hier auch Fehler gemacht. Von allen. Die Kaderplanung der U21 hat die Beförderungen verschiedener Spieler nicht aufgefangen, dadurch wurden U19-Spieler in die U21 hochgezogen werden. Ergebnis: Beide Teams funktionierten nicht. Hier scheint die Kaderplanung – sofern man das nach vier U19-Spieltagen und sieben U21-Spieltagen sagen darf – von Peters und Gudelt nicht gegriffen zu haben. Becker hatte zu wenig Zeit, sich seiner Position entsprechend zu informieren. Aber Becker ist nun mal der Chef – und nicht nur verantwortlich, sondern er entscheidet. Sein angespanntes Verhältnis zu Peters bietet daher tatsächlich eine Grundlage, die personelle Konsequenzen erahnen lässt, obgleich es längst nicht allein an Peters lag.

Womit ich beim zweiten „Ärgernis“ bin, das ich aus gutem Grund nicht näher beleuchten will, sondern dem ich meinen herzlichsten Glückwunsch vorausschicken will. Denn Heribert Bruchhagen feiert heute seinen 70. Geburtstag. Menschlich einer der sympathischsten Vorstandsvorsitzenden meiner gesamten HSV-Zeit, hatte er zuletzt sportlich (leider) keinen Erfolg. Seine Entscheidungen haben den HSV dahin geführt, wohin ihn seine Vorgänger über Jahre gelenkt hatten: In die Zweite Liga. Mit Spielern wie Holtby und Co. – und mit vielen eigenen Fehlern. Dass beide Seiten jetzt anfangen, dem jeweils anderen den Großteil der Schuld anzulasten – es ist nur albern. Und daher hier kein weiteres Thema.

Dafür freue ich mich, den Blog mit einem sehr positiven Thema abschließen zu können: Die Mannschaft hat heute den Betrag von 10.000€ gespendet und an die Fanbetreuung übergeben. Eine richtig tolle Geste, wie ich finde! Dieser Betrag soll denen zugute kommen, die umsonst nach Dresden gereist bzw. Kosten durch die Spielabsage hatten/haben. Die Pressemitteilung im Wortlaut:

Unterstützung für die Spielabsage in Dresden

Alle HSV-Karten für das Spiel gegen Dynamo können zurückgegeben werden, Bahntickets und Reisepakete, die über den HSV bezogen wurden, werden ebenfalls erstattet und den Fanclubs eine Unterstützung für eine erneute Anreise geboten.

Die kurzfristige Absage des Auswärtsspiels in Dresden am vergangenen Freitagabend hat bei den HSV-Fans nicht nur für große Enttäuschung und Frust gesorgt. Bei einigen Anhängern waren zu diesem Zeitpunkt, neben den Aufwendungen für Ihre Eintrittskarten, bereits Reise- und Übernachtungskosten entstanden, andere wiederum werden bei einem möglichen Nachholtermin in der Woche nicht nach Dresden reisen können.

Alle gekauften Tickets für das Nachholspiel in Dresden behalten ihre Gültigkeit. Für HSV-Fans, die nicht erneut nach Dresden reisen können, bietet das HSV-Ticketing ab sofort eine Rückgabemöglichkeit der Karten an.

Darüber hinaus hatte sich die Mannschaft bereits am Sonnabend dazu entschieden, für die Fans Geld zu sammeln und sie damit zu unterstützen. Insgesamt sind dabei 10.000 € zusammengekommen. Die Fanbetreuung sollte entscheiden, wie diese Unterstützung am sinnvollsten eingesetzt werden kann. Nach Rücksprache mit allen Beteiligten werden nun folgende Maßnahmen umgesetzt, mit denen dem größten Teil der betroffenen Anhänger geholfen ist:

  • Allen Fans, die über den HSV eine Fahrt oder ein Hotelzimmers gebucht hatten, werden sämtliche Kosten vom HSV zurückerstattet
  • Fanclubs, denen aufgrund der Absage des Spiels Kosten entstanden sind und die eine Reise zum Nachholspiel planen, können bis zum 9. September einen Fahrtkostenzuschuss für eine erneute Fahrt mit 9-Sitzern oder Reisebussen nach Dresden unter fanbetreuung@hsv.de beantragen

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird um 15 Uhr am Stadion trainiert. Öffentlich. Passend zum Blog: Fehlen werden morgen Kwarteng, Jatta, David, Knost und Moritz, die die U21 gegen Eintracht Norderstedt unterstützen sollen. Bis dahin!

Scholle

 

P.S.: Und wenn wir schon unnötige Streitigkeiten erwähnen, hier noch eine, die bei den meisten Kollegen sicherlich größeres Aufsehen erregen wird als bei mir hier. Aber letztlich treffen hier mit Felix Magath und Bernd Hoffmann zwei ewige Kontrahenten (um den HSV-Vorsitz) aufeinander, die sich nichts Gutes gönnen wollen. Im Gegenteil: Es wird offenbar kein Seitenhieb ausgelassen. Aber lest selbst:

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