Marcus Scholz

9. April 2019

Das Spiel-Ersatztraining ist nicht besonders beliebt. Logisch! Bedeutet es doch immer auch, dass der jeweilige Teilnehmer vorher im Punktspiel wenig oder gar nicht zum Einsatz gekommen ist. Und heute hatte das Training noch den Zusatz, dass der Trainer vom gestrigen Spiel noch enttäuscht war. Er forderte nach diversen Steigerungsläufen im Abschlussspiel immer wieder den Torabschluss von seinen Reservisten. Also genau das, was gestern gegen Magdeburg ab Minute 62 nicht mehr passierte. „So wenige Szenen hatten wir eigentlich nicht“, relativierte Wolf heute die fehlende Torgefahr seiner Mannschaft im Spiel gegen Magdeburg zu B beginn der Interviewrunde, gab dann aber doch schnell auf. Anstatt wie sonst offensiv positive Szenen hervorzuheben, betonte Wolf, wie stark Magdeburgs Defensive aktuell ist. „Sie haben nicht umsonst die beste Abwehr in 2019“, so der HSV-Trainer, der sich heute auch kritische Fragen zu seinen undurchschaubaren Auswechslungen gefallen lassen musste. Und er beantwortete sie.

Aber so viel nehme ich vorweg: Bakery Jatta Auswechslung konnte ich heute ebenso wenig nachvollziehen wie gestern. Wolfs Erklärung heute: „Jatta ist extrem viel gelaufen, hat sehr viel gearbeitet, da sind 90 Minuten für ihn lang. Dann fällt das 1:1 und ich wusste, dass Magdeburg einen Tick tiefer stehen würde. Deshalb wollte ich Özcan reinbringen, der vorn in kleinen Dribblings seine Stärken hat.“ Wolf beteuerte zudem: „Es ging sicher nicht darum, mit dem Wechsel etwas abzusichern. Wir wollten nach vorn etwas bewirken.“ Da Jatta aber der einzige Spieler auf dem Platz war, der über ausreichend Tempo verfügte und genau das anschließend fehlte, blieben Wilms Erklärungen für mich wenig überzeugend. Vielmehr bleibe ich dabei, dass Wolfs Wechsel gestern wie zuletzt häufiger mehr Schwächungen nach sich zogen als dass sie Verbesserungen herbeiführten.

 

Gleiches gilt für den Umstand, Gideon Jung nicht erlöst zu haben. Natürlich ist es gut, einem zuvor lange verletzten Spieler zu vertrauen und ihm Spielpraxis zu geben. Das betonte Wolf heute auch noch mal auf die Frage, wie man Jung wieder in die Nähe seiner Normalform bringen könne. Aber wenn ein Spiel für einen Spieler so dramatisch schiefläuft wie das Spiel gegen Magdeburg für Jung - dann erachte ich es eher als Fürsorgepflicht, ihn mit einer Auswechslung zu schützen und ihn so nicht unnötig in weitere Fehler laufen zu lassen. „Die letzten Minuten hatte er sich dann gefangen“, wiederholte Wolf heute seine gestrige Aussage - und ich weiß beim besten Willen auch heute nicht, was der Trainer damit meint. Nein, Jung hatte einen wirklich ganz üblen Tag. Von Minute eins bis 90. Und ich hoffe, Jung hat damit die persönliche Talsohle auf dem Weg zurück zu alter Stärke (endlich) durchschritten.

Passend  dazu: Jung ist für mich auch kein Sechser mit Aufgaben im Spielaufbau. Bei mir würde Jung tatsächlich als Abräumer spielen. Entweder als defensiver Sechser, um den Kreativen den Rücken freizuhalten. Oder auch als Innenverteidiger. Denn sobald er mit Aufgaben im Spielaufbau belastet wird, stößt Jung sehr schnell an seine Grenzen. Sollte er dazu plötzlich auch noch etwas Platz haben wie gestern gegen Magdeburg und dementsprechend in die Zwangslage versetzt werden, etwas für die Offensive zu tun, dann ist er aufgeschmissen. Jung liegt es ganz offensichtlich mehr, gegen den Mann zu spielen. Er ist in meinen Augen einfach dann am stärksten, wenn er direkte Defensivaufgaben zu erledigen hat, die er abarbeitet. Fußball der Marke einfach. Er ist schnell, zweikampfstark und robust. Aber fürs Kreative sind eher andere verantwortlich wie beispielsweise Orel Mangala - oder auch der nächste Neue: David Kinsombi. Denn der Kieler Kapitän   steht als Neuzugang für den Sommer fest, wie der HSV heute um 16.30 Uhr vermeldete. Im Wortlaut heißt es da:

 

HSV VERPFLICHTET DAVID KINSOMBI

DER 23-JÄHRIGE MITTELFELDSPIELER WECHSELT VON KIEL NACH HAMBURG UND UNTERSCHREIBT EINEN VIER-JAHRES-VERTRAG. 

 

Der HSV ist auf dem Transfermarkt tätig geworden und hat David Kinsombi von Holstein Kiel verpflichtet. Der Kapitän der „Störche“ wechselt zum 1. Juli 2019 zu den Rothosen und unterschreibt einen ligaunabhängigen Vertrag bis 2023. Sein ursprünglich bis 2021 datierter Kontrakt an der Förde wird gegen Zahlung einer Ablösesumme aufgelöst. Aktuell laboriert der 23-Jährige an einem Schienbeinbruch, den er sich im Januar zugezogen hat. Der Reha-Prozess befindet sich allerdings auf der Zielgeraden, so dass Kinsombi berechtigte Hoffnung auf einen weiteren Einsatz in dieser Saison hat. Spätestens zur Sommervorbereitung steht einer Rückkehr in den Trainingsbetrieb aktuell nichts im Wege. 

HSV-Sportvorstand Ralf Becker arbeitete in der Saison 2017/18 als Geschäftsführer Sport der KSV mit Kinsombi zusammen und kann die vielfältigen Qualitäten des Deutsch-Kongolesen im Detail einschätzen. Dementsprechend zufrieden zeigte sich der 48-Jährige mit der Verpflichtung: „Wir sind extrem froh, dass wir einen Topspieler der 2. Bundesliga verpflichten konnten. Trotz seines jungen Alters trägt David in Kiel die Kapitänsbinde und gehört zu den absoluten Leistungsträgern des Teams. Wir arbeiten seit einem halben Jahr an diesem Transfer und sind sehr glücklich, dass wir David nun ligaunabhängig von unserem gemeinsamen Weg überzeugen konnten. Wir sind zuversichtlich, dass er uns bei der Verwirklichung unserer sportlichen Ziele weiterhelfen wird. Für den weiteren Heilungsverlauf wünschen wir alles Gute und hoffen auf eine schnelle Rückkehr in den Spielbetrieb.“

Kinsombi, der im Rückspiel gegen den HSV getroffen hatte, gilt als absoluter Wunschspieler von Becker und vor allem auch Wolf. Der 23-Jährige soll den gen Stuttgart abwandernden Orel mangala ersetzen - und er bringt sportlich sehr viel dafür mit. In 55 Pflichtspielen für Holstein erzielte Kimsombi zehn Tore und steuerte vier Assists bei. Vor allem gegen den HSV war er stark. In den beiden Aufeinandertreffen war der Sechser an vier der sechs Kieler Treffer direkt beteiligt (drei Tore, eine Vorlage). Jetzt wechselt er die Seiten. Für gut drei Millionen Euro Ablösesumme wird er zum teuersten verkauf der Kieler Vereinsgeschichte. „Ich hatte in Kiel eine coole Zeit. Die letzten zwei Jahre haben großen Spaß gemacht und mich als Spieler weiter gebracht. Ich arbeite momentan hart an meinem Comeback, um der Mannschaft im Saisonendspurt noch zu helfen. Dennoch war es für mich an der Zeit, den nächsten Schritt zu gehen. Ich freue mich auf den Wechsel zum HSV und die neue Herausforderung ab Sommer. Der HSV ist ein großer Club mit einer beeindruckenden Fanbase. Ich hatte viele gute Gespräche mit den Verantwortlichen und bin vom Konzept und dem Weg, den der Klub gehen will, voll überzeugt.“

Kinsombi ist für mich nominell ein logischer, ein wirklich guter Einkauf. Wenn er denn fit wird. Er ist handlungsschnell, technisch stark, er weiß mit Verantwortung umzugehen und er ist ein sehr umsichtiger Sechser mit großem Antizipationsvermögen. Kurzum: Kinsombi ist ein guter Stratege. Für HSV-Verhältnisse ist er finanziell zudem ein Königstransfer. Aber eben auch einer, den wenigstens Becker nur allzu gut abschätzen können muss.

Dieser Transfer bedeutet aber auch, dass der HSV in der neuen Saison erst einmal mehr als drei Millionen Euro Ablösesumme einnehmen muss, um über weitere Ablösesummen für Wunschspieler überhaupt erst nachdenken zu dürfen - Lizenzierungsbedingung. Rechtsverteidiger Jan Gyamerah (VfL Bpchum), Mittelfeldallrounder und Außenverteidiger Jeremy Dudziak (FC St. Pauli) kommen bislang ablösefrei, der offensive Mittelfeldspieler Berkay Özcan kostet bei Aufstieg drei Millionen Euro, bei Nichtaufstieg die Hälfte und jetzt eben der defensive Mittelfeldspieler Kinsopbi für gut drei Millionen Euro. Das ist die bisherige Bilanz Beckers für die kommende Saison. Hinzukommen sollen und müssen angesichts der nunmehr rund sechs Millionen Euro Ausgaben weitere Leihgeschäfte.

Und ich hoffe, dass Becker die Mittelachse weiter stärkt, soll heißen: Pollersbeck als Nummer eins halten, Kinsombi mit Hunt kurz- und Özcan längerfristig im Mittelfeldzentrum die Verantwortung übernehmen lassen - und dazu noch mindestens einen richtig guten Innenverteidiger und einen richtig guten Mittelstürmer holen. Sollten Lasogga und Arp im Sommer wechseln, müsste der HSV sicher noch einen zweiten oder auch dritten guten Angreifer verpflichten. Zumal auch Hee Chan Hwang im Sommer kaum zu halten sein wird - wenn man das denn überhaupt will. Es bleibt also viel zu tun für Becker. Und das nach der Drei-Millionen-Ablöse für Kinsombi mit zunehmend weniger Geld.

Aber zum Schluss noch einmal kurz zurück zur Gegenwart, die eine HSV-Mannschaft bereithält, deren Schwankungen den Wiederaufstieg mehr als gefährden. Am kommenden Spieltag muss der HSV am Montag nach Köln, während der Tabellendritte Union Berlin am Freitag Jahn Regensburg empfängt und dank des Besseren Torverhältnisses am HSV vorbeiziehen könnte. Zudem können Paderborn (gegen Duisburg) und Kiel (in Ingolstadt) bis auf drei Zähler an den HSV heranrücken - beide mit einem besseren Torverhältnis als der HSV ausgestattet.

Sportvorstand Ralf Becker stellte sich heute den Fragen ebenso wie Wolf. Und der Sportvorstand wurde dabei deutlich. „Natürlich war das Spiel gegen Magdeburg überraschend und enttäuschend. Gerade nach dem Pokalspiel gegen Paderborn hatten wir erwartet, dass wir uns hier anders präsentieren.“ warum die Positiverlebnisse keine Wirkung haben? „Wir müssen feststellen, dass wir immer dann die Punkte nicht holen und schwache Leistungen zeigen, wenn wir uns absetzen können. In der Rückrunde präsentieren wir uns selten, wie wir es selbst erwarten. Das müssen wir klar analysieren und besser machen, als wir es über weite Strecken der Rückrunde machen.“ Was er vom Trainer erwartet? „Hannes hat es in der Vergangenheit bewiesen, aus Rückschlägen rauszukommen. Das fällt am Tag danach schwer zu besprechen. Heute sind wir am Boden - aber wir müssen wieder aufstehen. Und Hannes kann das.“

Becker machte dabei auch sehr deutlich, dass trotz aller Jobgarantien für Wolf der interne Umgang deutlich klarer und kritischer sei als es viele wahrscheinlich vermuten würden. „Wir sind sehr ehrlich zueinander, wir stellen Fragen. Ob nach guten oder schlechten Spielen ist einerlei. Da wird kein Blatt vor den Mund genommen. Da wird alles ganz klar angesprochen.“ Man wisse sehr wohl, dass die bisherigen Auftritte in der Rückrunde nicht so waren, wie man es erwarten darf. Vielmehr würde man noch immer von der sehr guten Hinrunde zehren.

Aber, um mal eine Diskussion auch aus diesem Blogforum aufzugreifen: Eine Trainerdiskussion über inhaltliche Themen hinaus zu führen hält nicht nur Becker für abstrus. Auch ich halte das für komplett widersinnig. Und ich sage das, obwohl ich, wie ihr sicher noch wisst, bei der Entlassung von Trainier Christian Titz von einem Fehler gesprochen habe. Ich hätte den Wechsel damals nicht vorgenommen, sondern Titz bei seinem neuen Weg weiter gestärkt. Ich bin auch davon überzeugt, dass der HSV heute eher mehr als weniger Punkte hätte. Allerdings habe ich immer auch betont, dass Hannes Wolf deshalb nicht der falsche Trainer ist. Im Gegenteil: Wolf hat allemal das zeug dazu, um das große Ziel Wiederaufstieg zu erreichen. Vielmehr halte ich beide Trainer für so gut, dass sie dieses Ziel mit dieser Mannschaft erreichen müssen. Beide jetzt gegeneinander zu schneiden und zu gucken, wer besser ist, das ist Blödsinn. Sowieso. Aber auch, weil  sich  inzwischen die Voraussetzungen entscheidend verändert haben.

Die ersten zehn Spieltage der Rückrunde mit denen der Hinrunde zu vergleichen bietet sich zwar oberflächlich betrachtet an - es ist aber längst nicht so aussagekräftig, wie es einige abzuleiten versuchen. „Einige Mannschaften haben sich auf uns besser eingestellt. Das ist normal im Laufe einer Saison“, weiß Wolf. Und genau in diesem Punkt müsse man ansetzen und Mittel finden, die einstige Überlegenheit wieder herzustellen. Ein Problem, das auch Titz gehabt hätte. Und ein Problem, an dessen Lösung ich die Qualität Hannes Wolfs ableiten würde, nein: werde.

Von daher: So, wie die Entlassung von Titz für mich ein Fehler war, so falsch (und vor allem auch kontraproduktiv!) fände ich es jetzt, wenn Hannes Wolf im Saisonendspurt diskutiert würde. So quälend einige Spiele in der Rückrunde auch sind, so darf man gern über Auswechslungen diskutieren, Taktiken kritisieren. Und auch ich werde das weiter in aller Deutlichkeit machen. Aber letztlich muss beim HSV jetzt alles dem einen, gemeinsamen Ziel untergeordnet werden. Und Fakt ist: Der HSV ist Tabellenzweiter und muss noch sechsmal diesen Vorsprung auf die Konkurrenz verteidigen. Zusammenstehend, wie Becker es heute noch mal betonte. Und ich bin mir sicher, er sprach dabei nicht nur von sich und Wolf, sondern hofft auf die breite Unterstützung von außen.

In diesem Sinne, bis morgen! Da wird sich Tobias Escher wieder den taktischen Fehlern und Kniffen der Magdeburg-Partie annehmen und aufzeigen, weshalb das Spiel lief, wie es am Ende eben leider lief. Ich melde mich vorher selbstverständlich früh um 7.30 wieder mit dem MorningCall bei Euch und werde Euch über alles das informieren, was es so über den HSV zu lesen und zu hören gibt.

 

Bis dahin!

Scholle

 

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