12. November 2018
Der große Hamburger SV beim kleinen Erzgebirge Aue: Das roch im Vorhinein nach dem typischen Außenseiter-Favoriten-Duell. Also wieder einmal eine Partie, in der Hamburg den Ball laufen lässt? Weit gefehlt! Während die Auer mutig nach vorne spielten, setzte der HSV gerade in der zweiten Halbzeit auf ein schnelles Umschaltspiel. Die taktische Transformation unter Hannes Wolf schreitet voran.
Auf dem Papier sah die Aufstellung von Trainer Hannes Wolf noch unverdächtig ist. Der HSV begann mit derselben Elf wie beim 1:0-Erfolg über den 1. FC Köln. Schnell zeigte sich jedoch: Der HSV war taktisch anders aufgestellt als in den vergangenen Spielen. Das Hamburger 4-3-3 mutierte zu einem 4-3-2-1. Lewis Holtby und Aaron Hunt schossen aus dem zentralen Mittelfeld nach vorne, während sich die Außenstürmer tiefer fallen ließen.
Mit dieser Aufstellung reagierte Wolf auf das gegnerische Spielsystem. Aues Coach Daniel Meyer favorisiert eine Fünferkette. Gegen den HSV stellte er seine Mannschaft in einem 5-2-1-2 auf. Das Hamburger 4-3-2-1 war eine gute Wahl gegen die Fünferkette: Hunt und Holtby stellten in vorderster Linie eine Gleichzahl her gegen die drei Auer Innenverteidiger. Hamburgs Außenstürmer konnten wiederum die aufrückenden Außenverteidiger decken. Damit stellte der HSV den Spielaufbau der Auer gut zu. Den Hausherren gelang in der Anfangsphase kein Spielaufbau aus der eigenen Abwehr.
Jedoch zeigte sich auch Aue gut eingestellt auf das Hamburger System. Im Mittelfeld spiegelte Aue die Anordnung der Hamburger: Zehner Jan Hochscheidt nahm Mangala in Manndeckung, die Doppelsechs sicherte dahinter gegen Hunt und Holtby ab. Ein Patt im Mittelfeld, den Hamburg in den ersten Minuten nicht aufzulösen wusste.
Doch auch gegen diesen taktischen Kniff fand der HSV die richtige Lösung. Hamburgs Außenverteidiger Douglas Santos und Gotoku Sakai zogen immer wieder in die Mitte. Sie lockten damit Aues Mittelfeld aus der Reserve, was wiederum Räume für Hunt und Holbty öffnete. Während Holtby sich schwertat im Spiel nach vorne, überzeugte vor allem die Kombination Sakai-Hunt.
So leitete exakt dieses Duo die Hamburger Führung ein: Sakai lockte in der 21. Minute Clemens Fandrich aus dem zentralen Mittelfeld. Mit einem Kontakt leitete er den Ball weiter an Hunt, der sich hinter Fandrich positionierte. Dieser konnte in aller Seelenruhe den Führungstreffer einleiten.
Leider verfiel der Hamburger SV nach der Führung in einen kurzen Schlaf. So verpassten es die Hamburger, den Druck im Pressing hochzuhalten. Als Innenverteidiger Malcolm Cacutalua zum ersten Mal ohne Gegnerdruck das Spiel aufbauen konnte, leitete er just den Ausgleichstreffer ein (24.). Hamburgs Vorsprung war dahin.
Nach dem Ausgleich veränderte sich die taktische Gemengelage der Partie. Aue stellte auf ein 4-4-2-System um. Meyer wollte wohl das eigene Mittelfeld befreien und zudem das Hamburger Pressing aushebeln. Doch Wolf reagierte blitzschnell: Holtby zog sich fortan auf eine Höhe mit Mangala zurück. Der HSV verteidigte somit ebenfalls in einem 4-4-2-System. Es geschah, was häufig geschieht, wenn zwei deckungsgleiche Systeme aufeinandertreffen: Beide Teams neutralisierten sich im Mittelfeld.
In der Pause drehte Wolf abermals an einigen taktischen Stellschrauben. Seine Hamburger agierten fortan etwas zurückgezogener. Statt langsames Ballbesitzspiel gab es nun den Versuch, den Ball kurz hinter der Mittellinie zu erobern und schnell umzuschalten. Tatsächlich funktionierte das neue 4-4-2-Pressing sehr gut: Der HSV lenkte den Ball zu den Außenverteidigern und erhöhte dort den Druck. Somit erzielte man den Führungstreffer nach einem Ballgewinn in der gegnerischen Hälfte (63.).
Mit der Einwechslung von Bakary Jatta verschärfte der HSV noch einmal das Tempo. Beide Außenstürmer starteten nun ständig hinter die gegnerische Abwehr. Eine Strategie, die aufging: Nur wenige Minuten nach der erneuten Führung erhöhte Jatta auf 3:1 (68.).
In der Schlussphase verwaltete der HSV das Ergebnis. Wolf brachte mit David Bates (76., für Hunt) einen weiteren Verteidiger. Die Hamburger verteidigten fortan in einem defensiven 5-4-1. Aue, nun in einem offensiven 4-2-4-System aufgestellt, fand keinen Weg vorbei an den engen Ketten der Hamburger.
Langsam, aber sicher zeichnen sich die Konturen von Wolfs System ab. Zum zweiten Mal in einer Woche sammelte der HSV weniger Ballbesitz als der Gegner – etwas, was unter Christian Titz in dieser Saison nie vorgekommen ist. Unter Wolf legt der HSV einen höheren Wert auf das Ballerobern aus einer defensiven Ordnung. Wie gut dies funktionieren kann, beweist der verdiente Sieg gegen Aue. Dem HSV kam dabei zugute, dass die Auer das Spiel selbst auch gestalten wollten und nicht jeden Ball blindlings nach vorne droschen.
Ob das Pressing auch gegen Union Berlin so gut funktionieren wird? Union gehört zwar zu den Spitzenteams der Liga, allerdings definieren sie sich nicht über das Ballbesitzspiel. Aus einem 4-1-4-1-System oder einem 4-2-3-1-System versuchen sie, die letzte Linie des Gegners zu überladen. Union setzt häufiger auf lange Bälle als die Auer. Gut möglich, dass die Berliner im Montagsspiel selbst auf eine massierte Defensive und schnelle Konter setzen. In diesem Fall dürften wieder verstärkt Lösungen im Ballbesitzspiel gefragt sein vom Hamburger SV.