Marcus Scholz

12. Juni 2019

Ich gebe es gern zu: Ich bin ein Traditionalist. Zumindest in sehr vielen Dingen. Aber eben auch nicht ausschließlich. Ich weiß sehr wohl, dass gerade im Fußballbusiness kaum mehr Platz für das Ausleben von alten Traditionen ist. Schwarze Copa Mondial-Schuhe aus feinstem Känguruh-Leder wurden längst von Schuhen mit Kampfnamen wie „Predator“ und anderen neon-farbenen Ungetümen aus Kunststoff abgelöst. Was früher eine Ausnahme war, ist heute die Regel. Der Kommerz hat längst gewonnen und alles andere überlagert. Wenn selbst ein eher körperlich denn fußballerisch brillierender Heiko Westermann beim HSV bunte Buffer anhat… Nein, alte Werte sind längst aufgehoben und werden maximal rudimentär von verirrten Romantikern weitergelebt. Von daher habe ich die Frage, ob der Abbau der Stadionuhr Sinn macht oder nicht, tatsächlich nicht eine einzige Sekunde lang unter dem Aspekt des Traditionsbruchs betrachtet. Für mich hatte sie tatsächlich nichts von Tradition, sondern etwas von Überheblichkeit. Dass sie jetzt abgebaut werden soll, kann ich daher nur begrüßen.

 

Zumal dieser Akt auch symbolisch wichtig ist. Denn er dürfte auch dem letzten Fan deutlich machen, wo der einst so große HSV inzwischen gelandet ist. Da ist nichts mehr von europäischem Glanz oder einem schlafenden Riesen, der nur geweckt werden muss. Inzwischen ist der HSV vielmehr ein Dinosaurier geworden, den die Evolution längst überholt hat. Alle anderen Klubs haben sich längst den Erfordernissen angepasst. Und sie sind dem HSV genau diesen einen Schritt voraus: Bei ihnen liegen Anspruch und Wirklichkeit auf einer und derselben Wellenlänge.

Aber: Der HSV versucht, diesen Rückstand aufzuholen. Mit dem Abbau der Uhr wird das zumindest symbolisch verdeutlicht. Von daher bleibe ich bei meiner eingangs geäußerten Meinung: Der Abbau der Stadionuhr ist die einzig richtige Entscheidung. Sie ist zudem überfällig und darf nicht mehr als der Anfang sein. Und damit meine ich nicht die Stadionhymne von Lotto King Karl. Für mich gehört dieses Lied einfach dazu. Ich freue mich nicht mehr, wenn ich es höre - aber das geht mir mit fast allen Liedern auf der Welt so, die ich so (zu) oft hören (musste) durfte. Und wenn Ihr mich fragt, es gibt meiner Meinung nach ebenso gute Argumente für das Beibehalten der Hymne wie für die Abschaffung. Dass in der Hymne über Gegner gesprochen wird, die man in den letzten 56 Jahren Profifußball immer wieder im Volksparkstadion begrüßen durfte halte ich für völlig legitim. Und nur, weil man aktuell nicht gegen die Teams spielt, die dort erwähnt werden - drauf gesch.…

Die HSV-Hymne "Hamburg, meine Perle" sorgt für Diskussionen

Und doch lässt es viele von Überheblichkeit sprechen, die diese Hymne weghaben wollen. Mich hat die Hymne dagegen nie irgendwo schweben lassen. Ich habe sie mit einer Priese Humor genommen. Und ich glaube ehrlich gesagt auch absolut überhaupt nicht, dass sich andere Teams wahrhaftig für die sportlich besten Mannschaften der Welt halten, nur weil es in ihren jeweiligen Vereinshymnen so gesungen wird. Auch ich glaube übrigens nicht, dass der HSV aktuell Deutscher Meister wird, nur weil es in meiner persönlichen HSV-Hymne so gesungen wird.

 

Vielmehr verbinde ich mit dem Lied Erinnerungen an meine ersten Berührungen mit dem HSV, erste tolle Momente. Das Lied entfacht bei mir eine Stimmung, die ich nunmal nur mit dem HSV verbinde - unabhängig von dem Text bzw. seinem Gehalt an Realismus. Und ich behaupte, vielen - vor allem den jüngeren - HSV-Fans unter uns geht es mit dem Lotto-Song sehr ähnlich.

Der HSV muss sich endlich bekennen

Absolut eindeutig indes ist für mich, dass dieser HSV sich endlich komplett bekennen muss. Dazu bekennen, ein Ausbildungsverein zu sein. Eine Verein, der sich mit bescheideneren Mitteln wieder nach oben kämpfen muss. Und das schließt nicht aus, dass man dieses Jahr noch mal mit einem der höchsten Etats der Zweiten Liga arbeiten darf. Im Gegenteil: Wenn es finanziell gesund ist, ist das völlig okay. Aber zu suggerieren, dass es hier in Hamburg der Anspruch sein muss, Erste Liga zu spielen, das ist und bleibt nach der abgelaufenen Saison falsch. Ich weiß ehrlich gesagt nach weit über 100 MorningCalls schon gar nicht mehr, wie oft die Verantwortlichen hier ihre Haltung verändert haben. Von einem „wir müssen den Anspruch haben, aufzusteigen“ bis hin zu einem „wir müssen gar nichts, wir wollen“ waren es teilweise nur Minuten, oder sogar nur ein einfaches Umblättern in einer und derselben Zeitung. Heute hat sich Marcell Jansen noch mal geäußert und gesagt, dass der Aufstieg zwar das erklärte Ziel, selbiger aber nicht wirtschaftlich erforderlich wäre. Zudem sei Stuttgart wirtschaftlich stärker und der HSV deshalb kein Favorit. Bernd Hoffmann hat indes gesagt, dass man weiterhin in der Lage sein würde, einen der zwei, drei teuersten Etats der Liga stemmen zu können. Bedeutet das dann im Umkehrschluss, dass der HSV mindestens Dritter werden muss?

Nein. Ganz sicher nicht. Das hat nicht zuletzt die abgelaufene Saison mehr als deutlich gezeigt.

Mir wäre es tatsächlich sehr angenehm, wenn der HSV wegkäme von seinem ewigen Statusdenken. Auch Jansen sprach heute wieder von einem guten Zeichen, weil der HSV große Namen mit Hecking und Boldt an sich binden konnte. Dabei ist das doch nun wirklich scheißegal. Wie oft sprechen wir heute davon, was passiert wäre, wenn der HSV den damals noch „kleinen Trainer“ Jürgen Klopp anstelle des international erfahrenen Martin Jol genommen hätte? Oder was wäre passiert, wenn der HSV letzte Saison auf einen Trainernobody wie Steffen Baumgart gesetzt hätte? Wir wissen es nicht - weil es für nichts eine Garantie gibt. Auch nicht für den vermeintlich großen Dieter Hecking als HSV-Trainer. Anstatt den Namen von irgendwelchen Spielern, Funktionären und Trainern hervorzuheben, sollte man hier endlich kapieren, dass es nur über Inhalte besser werden kann. Und dazu gehört ein klares Konzept, das ausgerichtet sein muss an den Möglichkeiten dieses HSV von heute - und nicht an dem von vor zehn Jahren.

Bochum ist sauer - und Osei-Tutu so kein Thema mehr

Apropos eine Nummer zu groß: Christian Hoch hat mich heute angerufen und mir von seinen Gesprächen mit Verantwortlichen des VfL Bochum erzählt. Auch dort soll man sich mit einer Verpflichtung von Arsenals Talent Jordi Osei-Tutu beschäftigt haben. Sehr intensiv sogar. Allerdings soll Osei-Tutu schnell Abstand vom VfL genommen haben, als der HSV um die Ecke bog - und das soll den VfL sehr verärgert haben. Hintergrund: Der HSV hat dem VfL mit Jan Gyamerah bereits einen Rechtsverteidiger abgeluchst. Aber: Osei-Tutu, den Arsenal nur auf Leihbasis gehen lassen will, soll tatsächliche eine Einsatzgarantie eingefordert haben und damit deutlich zu hoch gegriffen haben. Denn das ist etwas, was weder der VfL noch der HSV geben werden.

 

In diesem Sinne - „könnt Ihr alle mal ein bisschen normal sein?!“ hat einer meiner liebsten Trainer früher  immer in die Runde gefragt, wenn wir anfingen, abzuheben. Und ich hoffe, dass dieser HSV diese Frage schon bald mit „ja“ beantworten kann. Die Uhr bzw. der Abbau der Uhr ist dafür zumindest ein guter Beginn. Bis morgen! Da melde ich mich natürlich wieder um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch! 

Scholle

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