Marcus Scholz

6. Januar 2018

Der Vorstandsboss war schon abgereist, als Jann-Fiete Arp auf dem Trainingsplatz sein Ständchen gesungen bekam und sich dafür mit einem flotten Spruch bedankte, der innerhalb der Mannschaft für mächtig Erheiterung sorgte, während am Rand Mama Bianca überraschend zu Gast war. Arps Mutter war am Vortag angereist und hatte ihren Sohn um Mitternacht im Mannschaftshotel überrascht. „Eine tolle Idee“, so Arp, der von seiner Mutter auch ein kleines Geschenk überreicht bekam, über dessen Inhalt wir hier lieber schweigen. Aber im Ernst: Der ganze Geburtstagstrouble schien Arp gar nichts auszumachen. „Fiete geht seinen Weg bislang sehr gut“, lobte Trainer Gisdol den Hoffnungsträger des HSV zuletzt und mahnte, dass man ihn aktuell nicht überstrapazieren dürfe. Aber dass er dahingehend gefährdet ist, scheint nicht so. Im Gegenteil: Arp zieht durch., während ein anderes Geburtags“kind“ heute mal wieder mächtig loslederte: Manfred Kaltz.

Der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beste Rechtsverteidiger der Klubgeschichte hatte in den letzten Jahren immer wieder mal mit drastischen Worten versucht, auf die HSV-Probleme deutlich hinzuweisen. Selbst an seinem heutigen 65. Geburtstag legte der Freund von Klubboss Heribert Bruchhagen noch mal nach: „Der HSV braucht wohl ein Wunder, um die Klasse zu halten. Zumal selbst Köln ja auch noch nicht komplett abgeflogen ist“, sagte der seit heute 65-Jährige meinen Kollegen von der „Bild“. Worte, die beim HSV schon auf eine Portion Trotz stoßen: „Manni ist immer wieder zu solchen Aussagen hinreißen. Mir gegenüber wiederholt er sie allerdings nicht...“, so Bruchhagen.

Egal wie richtig oder falsch die Aussage von Kaltz ist, der HSV hat seine Probleme. Und die meisten davon kennt er auch. Walace war eines davon. Allerdings ist der Brasilianer seit heute wieder im normalen Mannschaftstraining. Mit stoischer Mine, aber auf dem Platz fleißig. Es war zu lesen, dass er sich vor der ganzen Mannschaft entschuldigen müsse. Und sollte dem tatsächlich so sein, okay. Dann sollte es aber niemand nach außen lancieren sondern eine mannschaftsinterne Sache bleiben. Ansonsten halte ich derartige Ansagen für falsch. Walace selbst sollte sich sportlich wieder voll einbringen. Genau so, wie es Dennis Diekmeier sagt: „In unserer jetzigen Situation geht es einzig und allein nur darum, dass der HSV in der Ersten Bundesliga bleibt. Und jeder einzelne, der dafür 100 Prozent zu geben bereit ist, ist herzlich willkommen. Alle anderen werden nicht gebraucht.“

Stimmt. Punkt.

Im Training war Walace heute bei den sehr zweikampfintensiven Übungen nichts davon anzumerken, dass er sich unwohl fühlt. Zusammen mit seinem Berater Rogerio Braun, der weiterhin bemüht ist, eine Lösung zu finden, die auch im Sinne Walaces ist. Ergebnis: offen. Denn klar ist, dass Walace wechseln will Unverändert. Und das hängt zum einen mit seiner hochschwangeren Frau zusammen, die sich in Hamburg nie richtig wohlgefühlt haben soll, wie der Mittelfeldspieler bereits vor der Jahreswende gegenüber Sportchef geäußert hatte. Zum anderen hängt es aber auch mit dem schwierigen Verhältnis zum Trainer zusammen.

Und ehrlich gesagt habe ich diese Beobachtung auch gemacht. Walace hat beim HSV-Trainer einen schwereren Stand als so manch andere. Worin das begründe ist, kann ich nicht sagen und Markus Gisdol wird das sicher nie zugeben. Aber die Tatsache, dass Walsce immer schnell wieder geopfert bzw. auf die Bank versetzt wurde, wenn er mal nicht so gut spielte, zeigt das schon. Acht Spiele durfte er zu Saisonbeginn ran, bis er in Mainz ausgewechselt und anschließend nur noch auf die Bank gesetzt wurde. Negativer Höhepunkt war dann sicherlich das Frankfurt-Spiel, wo der HSV zwischen Minute 15 und 40 unter die Räder zu geraten drohte und Gisdol Walace auswechselte – Höchststrafe. Aber für mich alles noch kein Grund, dass es nicht mehr funktionieren kann.

Vielmehr ist diese Situation auch eine Chance. Der HSV kann Rückgrat beweisen und auf seine Rechte bestehen, die der Vertrag bis 2021 mit sich bringt. Es wäre eine klare Ansage an Nachahmer, die es immer wieder gibt. Zudem könnte auch der Trainer Größe beweisen, wenn er es (im Verbund mit Walace) schafft, den Brasilianer am Ende für den Verein doch noch gewinnbringend einzubauen.

So oder so: Walace abzugeben kann sich der HSV wirtschaftlich und noch weniger personell erlauben, wie auch die heutige Nachmittagseinheit verdeutlichte. Denn da fehlten gleich mehrere Spieler, die am Vormittag noch dabei waren. Der Trainer muss hier genau darauf achten, die Belastung so zu steuern, dass am ersten Rückrundenspieltag ausreichend Spieler vorhanden sind. 28 Mann sind in Jerez dabei, darunter vier Torhüter sowie die Talente Jonas Behounek und Patric Pfeiffer sowie natürlich Walace, Dauertalent Bakery Jatta. Demnach bleiben 20 Feldspieler der Kategorie Bundesligaprofi. Gideon Jung, Luca Waldschmidt, Aaron Hunt, Tatsuya Ito, Lewis Holtby, Julian Pollersbeck sowie Kyriakos Padopoulos und Albin Ekdal fehlten heute Nachmittag.

Belastungssteuerung hieß es, wobei auch noch nicht hundertprozentig klar ist, ob Pollersbeck (Leistenprobleme) morgen im zweiten Test gegen den SC Freiburg spielen kann. Sollte der Keeper – wonach es aktuell nicht aussieht – tatsächlich ausfallen, würde sich die Torwartfrage erledigt haben. Dann bliebe Christian Mathenia zwangsläufig im Tor. Ohne Widerstand und ohne ein wirklich überzeigendes Spiel. Denn die Partie gegen Malaga kann sicher für vieles herbeigezogen werden, aber nicht für Mathenia als Empfehlung. Wie mein ehemaliger Arbeitskollege Kai Schiller heute in der Presseschau sagt, hatte Mathenia nicht viel bis nichts zu tun, und sah dennoch beim Gegentor nicht gut aus. Nein, die extrem kurze Vorbereitungszeit in diesem Winter kommt dem HSV nicht wirklich entgegen.

Andererseits ist zu hören, dass Werder Bremen beispielsweise ein Testspiel absagen musste, weil sie zu viele Verletzte zu beklagen haben. Der 1. FC Köln kommt offenbar nicht in Fahrt. Anders der FSV Mainz, den ich neben den Kölnern als erste Abstiegskandidaten sehe bzw. gesehen habe. Aber nachdem sich der FSV nach Ujah auch noch Ex-HSV-Leistungsträger Nigel de Jong geholt hat, scheint dort Optimismus vorzuherrschen. Ujah traf auch gleich im ersten Testspiel gegen St. Gallen. Und beim HSV? Da gibt es zumindest keine längerfristigen Verletzungen zu beklagen. „Viele schauen nur im eigenen, engen Umfeld und denken, wenn es hier nicht gut ist, dann muss es eine Katastrophe geben. Dabei wird vergessen, dass auch andere Klubs ihre Probleme haben“, hatte mir Heribert Bruchhagen gestern im Zuge seines Wutausbruches über die Wahrnehmung des HSV gesagt. Und er mag damit auch in Teilen Recht haben. Allerdings darf das auch nicht dazu führen, dass man Probleme und Fehler einfach hinnimmt.

Und ein ganz entscheidender wäre, so weiterzumachen und zu hoffen, dass es in der Rückrunde einfach besser wird. Irgendwie. „Last-Minute-Transfer“ wird auch hier in Jerez immer wieder gemunkelt. Kategorie: Zweckoptimismus eben. Zumal das bedeuten würde, dass man erst nach dem dritten Rückrundenspiel einen (oder mehrere) Neue dazubekommt. Also nach den Partien in Augsburg, gegen Köln und in Leipzig. 14 Spiele blieben dann noch um die von allen Seiten geforderten und für den Klassenerhalt notwendig erachteten 25 Punkte zu holen. 25 von 42 möglichen Punkten – abzüglich derer natürlich, die in den ersten drei Rückrundenspielen schon eingefahren wurden. Ein Wagnis, wie ich weiterhin finde.

Aber okay, inzwischen ist zu hören, dass die Atmosphäre zwischen dem HSV und Klaus Michael Kühne bzw. zu dessen Berater Volker Struth derart angespannt ist, dass mit Hilfe Stand heute nicht zu rechnen ist. Insofern ist das, was ich hier mache bzw. was ich nicht müde werde anzumahnen, nichts anderes als ein verzweifeltes Rufen im Walde, wie ich befürchte. Wobei ich wahrscheinlich nie verstehen werde, nach welchen Kriterien Klaus Michael Kühne investiert. Sollte es tatsächlich so extrem an die Beteiligung von Struth bei Transfers gebunden sein, wird es nie funktionieren.

Und nachdem gerade die zweite Einheit des Tages (vor allem Torabschlüsse) beendet ist, werde ich diesen Blog für heute beschließen und mich zusammen mit meinen Journalistenkollegen gen Sevilla aufmachen, wo wir das immer wieder extrem heiß umkämpfte Stadtderby sehen zwischen Betis Sevilla und FC Sevilla. Mal rauskommen aus dem Trainingslager-Umfeld, anderen Fußball sehen...

Bis morgen!

Scholle

 

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