Marcus Scholz

17. Dezember 2017

Ob bei Facebook, per Whattsapp, SMS oder per Email, es ist überall dieselbe Frage. „Glaubst Du, dass ein Trainerwechsel hilft?“ Und immer wieder gebe ich die gleiche Antwort: Nein. Ein Trainerwechsel allein ist sinnlos. Denn, das hoffe ich gestern rübergebracht zu haben, der HSV-Trainer an sich beginnt hier immer erst einmal im Minus. Er muss Hindernisse aus dem Weg räumen und stößt dabei schnell an seine Grenzen. Beim HSV läuft es eben nicht normal. Da geht nicht der Trainer zum Sportchef, bespricht mit ihm, was er spielen lassen will und legt ihm eine Liste mit Wunschspielern vor, die dieser dann mit ihm bestmöglich umzusetzen versucht. Nein, beim HSV regiert überall das Prinzip Hoffnung. Der Trainer muss darauf hoffen, dass sein Sportchef bzw. der Vorstand an sich einen guten Draht zu Mäzen und Investor Klaus Michael Kühne hat.

Auch jetzt, wo er gern noch zwei Neue im Winter dazuholen würde, ist er entsprechend defensiv in seiner Formulierung. Gisdol nach dem Freitagsspiel „Mir wäre wohler, wenn wir uns auf ein, zwei Positionen verbessern könnten. Das im Winter umzusetzen ist aber unglaublich schwer.“ Stimmt. Denn dafür muss Klaus Michael Kühne (oder ein anderer Mäzen) erst einmal sein Okay geben. Ansonsten ist nichts drin. Kein Geld – und somit auch kein neuer Spieler. Dementsprechend sinnlos ist es, langfristig Pläne zu schmieden. Denn finanziell ist der HSV schlichtweg nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen. Auch deshalb hat ein Thomas Tuchel damals abgesagt. Er habe das Gefühl, müsse in Hamburg mehr sein als nur ein Trainer, so der Ex-BVB-Coach, den Ihr hier immer wieder als Wunschtrainer äußert, damals. Die einzig logische Entscheidung eines ambitionierten Trainers. Und obwohl Gisdol das ganz sicher auch ist, stellte er sich hier in Hamburg der Aufgabe. Er wollte es schaffen – und er schaffte es auch, den HSV in der ersten Liga zu halten. Ein schwieriges Unterfangen.

Und leichter ist es bis heute nicht geworden. Im Gegenteil: Im Sommer hatte der Trainer eine ca. 15 Spieler umfassende Liste erstellt. Innenverteidiger, Sechser, Zehner und Außenverteidiger – er hatte pro Position mehrere Kandidaten. Allesamt ablösetechnisch im unteren Millionenbereich. Allerdings kam von ihnen keiner. Stattdessen fraßen die bekannten Transfers – wobei Hahn dabei ausdrücklich Gisdols Wunsch war – das eh schon durch Kühne fremdfinanzierte Budget auf. Auch deshalb verkauften es Vorstandsboss Heribert Bruchhagen und Sportchef Jens Todt als Strategie, weniger Transfers zu machen. Schließlich wolle man so den jungen Talenten den Weg freihalten.

Dass mit Tatsuya Ito und Jann-Fiete Arp gleich zwei tolle Talente hochkamen und überzeugen konnten, es war das Positive in einer Zwangssituation. Und vielleicht, so meine leise Hoffnung, führt das ja zu einem allgemeinen Umdenken im Klub. Investitionen in die Jugend, in den Nachwuchsbereich erhöhen – das wäre zumindest ein schöner Anfang. Vergleichsweise kleines Geld kann hier mit ehrlicher, guter Arbeit auf Sicht große Renditen abwerfen. Zumindest wäre es ein Modell, eine echte Option, wie sich der HSV auch in der AG mit guter Arbeit tatsächlich auf lange Sicht wieder selbst versorgen könnte. Aber Ihr seht, auch hier regiert das Prinzip Hoffnung. Zumindest bei mir. Ich hoffe einfach, dass die Verantwortlichen irgendwann vernünftig werden und umdenken.

Allein Markus Gisdol hilft das für den Moment nicht. Er muss letztlich seinen Kopf für den sportlichen Misserfolg hinhalten. Tag für Tag. Und wie gestern geschrieben, hat er bei 15 Punkten aus 17 Spielen nur sehr wenige Argumente für sich sammeln können. Dass dieses schlechte Ergebnis nicht allein an ihm und seiner Arbeit liegt, logisch. Aber das ist für den Fan an sich schwer bis gar nicht nachzuvollziehen. Man kriegt es nicht mit. Deshalb ist es für die eigentlich Verantwortlichen auch immer leicht, sich hinter dem jeweiligen Trainer und seinem Team zu verstecken.

Warum ich das schreibe? Weil ich mir in vielen Gesprächen über einen gewissen Zeitraum ein Bild von dem aktuellen HSV gemacht habe und das sportliche Abschneiden deshalb einfach nicht allein Gisdol zuschreiben kann. Vorsicht: Damit nehme ich ihn lange nicht aus der Haftung, ganz sicher nicht! Aber er verdient zumindest in Teilen mildernde Umstände. Denn wie oben geschrieben, der HSV-Trainer an sich muss sich hier gegen Miss- und teilweise auch Widerstände im eigenen Verein durchsetzen, die es so bei nicht vielen Bundesligaklubs gibt. Vorsichtig formuliert.

Trotzdem bin ich weiterhin davon überzeugt, dass der Trainer ganz eigene Versäumnisse hat, die er leicht vermeiden könnte. Mit Extratraining und vor allem mit einem Extratrainer für Toptalente und die Spieler, die aktuell keine Rolle spielen, könnte man hier noch deutlich mehr aus dem Kader herausholen. Um nur ein Beispiel zu nennen. Dennoch ist der Wechsel des Trainers hier nur die kleine Spitze eines großen Problemberges und würde vielleicht kurzweilig einen positiven Effekt haben. Aber wenn die vielen strukturellen und finanziellen) Missstände im Hintergrund nicht behoben werden, wird jeder Trainer in Hamburg über kurz oder lang scheitern. Und dabei ist es völlig egal, ob der Trainer am Ende Heindaddel, Markus Gisdol, Thomas Tuchel oder auch Pep Guardiola heißt.

Von daher noch mal in aller Deutlichkeit: Den Trainer jetzt zu wechseln, das würde zunächst einmal nur Geld für die Abfindung kosten – aber längst noch nicht die elementaren Probleme beheben. Unter anderem deshalb ist die Neubesetzung des Aufsichtsrates auch so wichtig. Der Aufsichtsrat bestimmt den Vorstand, der seinerseits wiederum den Trainer- sowie Sportchefposten besetzt und die interne Strategie festlegt. Und wenn hier die richtigen Personen sitzen, ist das mehr als die halbe Miete. Beispiel: Hätte die Struktur gepasst, wäre Tuchel heute wahrscheinlich gerade in seinem dritten Jahr beim HSV...

Der Wunsch, einfach mal alles umzubesetzen mit großen Namen und noch größeren Kompetenzen, er ist nachvollziehbar, aber wie fast alles beim HSV derzeit ohne fremde Hilfen nicht umsetzbar. Bis heute hat es noch kein Sportchef geschafft, das Vertrauen von Kühne so nachhaltig und umfänglich zu gewinnen, dass langfristig geplant werden konnte. Stattdessen wurden Namen genannt (teilweise sogar von Kühne dem HSV) und es gab Daumen hoch – oder Daumen runter vom Geldgeber. Eine Art, den Kader zusammenzustellen, die gar nicht funktionieren kann. Es gibt hier eine Abhängigkeit, die einen Sportchef an sich fast schon überflüssig macht und zeigt, wie dramatisch sich die hiesigen Strukturen in die falsche Richtung verschoben haben.

Ein Jens Todt wird von Kühne tatsächlich nur bedingt ernst genommen – entscheiden kann er am Ende ja eh selbst. Und das wissen alle, auch wenn es hier natürlich so keiner sagt. Stattdessen wird darüber hinweggeschwiegen, gegenteiliges behauptet und mit angesehen, wie der Karren immer tiefer in den Dreck gefahren wird. Immer in der Hoffnung, dass es ja vielleicht doch irgendwann und irgendwie funktionieren kann. Zum Beispiel, weil die Mannschaft plötzlich und unerwartet Erfolg hat, weil aus der Jugend nicht minder unerwartet plötzlich große Verstärkungen emporwachsen. Oder einfach, weil Klaus Michael Kühne den einen Wundertrainer spendiert, der hier alles richtet und den HSV in die Champions League führt.

Nein.

Es ist nichts als ein reines Hoffen. Mehr ist nicht drin. Tagträumereien ohne Fundament. Schon deshalb bedarf es eines Verantwortlichen in höchster Funktion, der endlich die Traute hat, diese Probleme beim Namen zu nennen und sie zu bearbeiten. Jemanden, der sich traut, auch ungemütliche Personen dazu zu holen, wenn diese denn gut sind. Bernd Hoffmann in den Aufsichtsrat? Warum denn nicht? Seine Expertise könnte dem HSV zweifellos helfen. Immerhin war er der letzte (Vorstand) beim HSV, der nicht nur hochtrabende Visionen ausgab, sondern diese auch umsetzte. Und so sehr ich mich auch über einen Vorstandsvorsitzenden der Kategorie Netzer, einen Finanzvorstand daneben sowie einen starken Vorstand Sport freuen würde – es ist einfach nicht realistisch.

Traurige Realität ist allerdings, dass bis dahin immer wieder Trainer früh geopfert werden, um die Schuld für den Misserfolg für den Moment irgendwem zuschreiben zu können. Hat ja bislang immer irgendwie funktioniert. Das Opfer beruhigt alle kurz, lässt die meisten sogar Aufbruchsstimmung verspüren – und führt am Ende doch zurück in die Sackgasse, solange diese Erfolg verhindernden Strukturen nicht endlich aufgebrochen werden. Und damit meine ich nicht den Trainerwechsel...

So, das also zu der einfachen Frage, ob ich glaube, dass ein Trainerwechsel jetzt der richtige Schritt sei. Vielen Dank für die Frage! Es musste einfach mal raus...

 

Bis morgen.

Scholle

 

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