Marcus Scholz

16. Dezember 2017

Der HSV überwintert nach dem Werder-Punkt gegen Mainz heute tatsächlich auf einem direkten Abstiegsplatz. Schon vorher herrschte hier die mehrheitliche Meinung vor: Markus Gisdol raus. Und mit nur 15 Punkten nach 17 Spielen hat der Trainer selbst tatsächlich nur sehr wenige Argumente, die für eine Fortsetzung seiner Tätigkeit beim HSV sprechen. Außer vielleicht den allgemeinen Wunsch nach Konstanz, dessen Forderung in diesem Fall eher ein Fall fürs Phrasenschwein denn sachliche Argumentation ist. Oder ist Gisdol doch richtig? Es verhält sich hier mal wieder wie mit dem Huhn und dem Ei – was war zuerst? Oder besser gefragt: Reichen die Voraussetzungen in Hamburg einem guten Trainer, um hier eine zumindest in sicheren Tabellengefilden spielende Mannschaft heranzutrainieren? Vorweggenommen: Es gibt darauf nicht die eine, alles umfassende, klare Antwort, weil die Fehlerkette beim HSV inzwischen so lang ist, dass der Anfang schon in den Archiven zu suchen ist, obwohl er bis heute Auswirkung hat. Denn es gibt verschiedene Baustellen, die es abzuarbeiten gilt. Deshalb heute der Anfang einer Serie, deren Ende ich noch gar nicht absehen kann...

Die Führungsetage:

Heribert Bruchhagen ist angetreten, um den Verein durch Sparmaßnahmen in die richtige Bahn zu lenken und um vom Klub nach außen ein Bild zu gestalten, das Seriosität und Kompetenz ausstrahlt. Letzteres schafft er zumeist, obgleich Aussetzer wie „Ich habe keine Unruhe in um den Verein herum wahrgenommen“ zuletzt weltfremd klangen und den Verdacht nahelegen, dass hier vorsätzlich fehlinformiert wird. In manchen Bereichen ist das taktisch sicher clever, um unnötig Unruhe zu vermeiden. Aber eben auch nur dann, wenn intern bereits entsprechende Änderungen vorgenommen wurden oder werden. Und das ist leider bis heute nicht der Fall. Zumindest hat Bruchhagen den Auftrag der Sparmaßnahmen bislang nicht umgesetzt. Im Gegenteil: Wie der Spiegel berichtet, gab es 2016 schon hanebüchene Maßnahmen wie das Einsparen von Blumengebinden und Klubanzüge sowie das Herunterfahren der Rasenheizung. Bei den Profis wurde der Rotstift bis heute nicht indes nicht angesetzt, obwohl hier mit dem Beheben eines kleinen Fehlers schon Millionen eingespart werden könnten. Ergo: Ziel verfehlt. Weit sogar...

 

Gleiches gilt für die Personalplanung. Darauf hatte ich mich im Sommer schon festgelegt – und ich fühle mich heute bestätigt. Sportchef Jens Todt und sein Team haben hier Flickschusterei betrieben, ohne auch nur annähernd alle offenen Personalien abzuarbeiten. Anstatt den dringend benötigten Knipser zu holen, wurde Bobby Woods Vertrag verdoppelt. Man leistete sich sogar den Luxus, Rene Adlers Vertrag nicht zu verlängern, sondern stattdessen ein Torwarttalent für vier Millionen Euro als Investition in die Zukunft zu verpflichten. Heute wissen sie alle: Mit einer (ähnlich Adler) starken Nummer eins hätte man mehr Punkte.

Zudem verzweifelt Gisdol immer mehr daran, der Mannschaft spielerische Elemente einzuhauchen. Denn obgleich das teilweise funktioniert, fehlen die Tore. Und hier verzockten sich Todt und Gisdol ebenfalls. Bobby Wood wurde als Lösung erachtet – und enttäuschte komplett. Das einzig Gute daran: Die Fehlbesetzung/Unterbesetzung im Angriffszentrum zwang Gisdol zu der Maßnahme, Jann-Fiete Arp reinzuwerfen. Und der überzeugte so, dass er zu einer echten Alternative (für mich sogar zur A-Lösung) wurde. Dennoch dürfen Ito und Arp nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Kader im Sommer zu dünn besetzt wurde. Und es ist Fakt, dass der HSV im Winter niemanden verpflichten kann, ohne neue Schulden zu machen. Oder eben wieder auf Kühnes Millionen zu hoffen. Ergo: Der HSV ist personell unterbesetzt und handlungsunfähig. Und Schuld tragen hierfür nicht nur nominell die dafür Verantwortlichen.

Und egal, wie oft die Verantwortlichen auch das Gegenteil behaupten, sie können die Fehlplanungen eigenständig lange nicht mehr beheben. Und daher gilt auch hier: Ziel verfehlt. Schlimmer noch, auch die Handelnden selbst gelten inzwischen nicht mehr als unumstritten. Und das sorgt intern für deutlich erkennbare - wenn auch von Bruchhagen dementierte - Unruhe. Seitdem die Kandidaten für die neuen Aufsichtsratsposten gesucht wurden, kursiert das Gerücht, dass diese Kontrolleure auch nach ihrer Bereitschaft ausgewählt wurden, den Vorstand neu- bzw. umbesetzen sollen. Dabei wurde immer wieder das Szenario genannt mit Frank Wettstein anstelle Bruchhagens. Aber wenn meine Informationen stimmen, scheint das – trotz der (vorsichtig formuliert) signalisierten Bereitschaft Wettsteins – momentan noch kein Thema zu sein. Vor allem auch, weil dem Klub das Geld für Abfindungen fehlt. Von daher kann man sagen, dass sich Todt und Bruchhagen mit ihren fortgeführten Fehlinvestitionen ihre Jobs – und auch den des Trainers - quasi gesichert haben.

So verrückt das auch klingt – beim HSV ist das schon normal geworden. Sebastian Kehl formulierte es gestern aus Spielersicht sinngemäß so, dass der HSV bekannt dafür sei, dass es Spielern dort einfach immer sehr gut geht. Man verdient überdurchschnittlich gut, spielt in einem tollen Stadion mit tollen Fans, lebt in einer schönen Stadt, und man hat kaum Druck, womit Kehl eher auf die Arbeitsintensität ansprach. Kehl nannte es wie wir es hier auch schon seit Jahren wahrnehmen: „Es ist einfach eine Wohlfühloase“.

Und er sprach dabei nicht in Vergangenheitsform, sondern vom aktuellen Stand. Denn der ganz normale Wahnsinn im Volkspark wird fortgesetzt. Die Frage ist nur, mit wem geht es in der Rückrunde weiter. Und daraus resultierend: Wie geht es weiter? Denn sollte der HSV im Winter nicht endlich einen ganzheitlich ausgewogenen Sanierungsplan – kurzfristig sportlich und langfristig wirtschaftlich – aufstellen, wird er scheitern. Egal, wie rosarot sich die Verantwortlichen die Spiele, die aktuelle Situation und die Aussichten auch selbst ausmalen – sie verändern nichts. Aber genau das MUSS passieren. Nicht nur auf der Führungsebene – sondern auf allen Ebenen. Aber dazu morgen mehr.

In diesem Sinne, bis morgen. Der HSV hat gestern verloren, Köln heute gewonnen und Werder den Sieg in der Nachspielzeit doch noch abgegeben. Glück auch, dass die Stuttgarter in der Nachspielzeit einen Elfer vergaben und so nicht auch noch gegen rotierende Bayern gepunktet haben. Trotzdem überwintern wir auf einem direkten Abstiegsplatz. Und so besinnlich die Weihnachtszeit auch eigentlich sein soll, diese Harmonie hat sich der HSV verspielt. Hier wird es Zeit, darüber inhaltlich nachzudenken. Es ist Zeit für Konsequenzen.

Mehr dazu morgen.

Scholle

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.