Marcus Scholz

6. Februar 2019

„Ich dachte, es kommen nur so viele, wenn wir verloren haben“, scherzte Hannes Wolf heute, sichtlich gut gelaunt. Er wusste, dass das Spiel gegen Nürnberg neben dem Weiterkommen und den Mehreinnahmen sehr viele positive Aspekte hatte. „Unser Spiel war sehr gut für die Fans, für uns. Die Mannschaft hat ein sehr gutes Spiel gemacht, sehr konstant gespielt. Wir haben verdient gewonnen und ich habe mich riesig gefreut.“ Dass der 1. FC Nürnberg enttäuscht hatte, wollte Wolf nicht beurteilen. Er schaute vielmehr auf seine Mannschaft. Dass die Nürnberger doch keine Chancen gehabt hätte, versuchte ein Kollege als Argument einzustreuen. Aber er bekam Widerspruch von Wolf: „Doch! Die am Ende war noch eine riesengroße Chance. Da dürfen wir den Ball nicht noch mal so verlieren. Das hat auch irgendwie zu uns gepasst. Es hätte irgendwie bei uns ins Bad gepasst, wenn wir das noch mal unnötig eng machen. Aber den haben wir zum Glück geblockt.“

Genau genommen war es die 92. Minute, in der die Nürnberger ihren ersten und letzten Torschuss abgaben - aus zweifelsfrei vielversprechend zentraler Position, 17 Meter vor dem HSV-Tor. „Als ich sah, wie der Ball da rausprallte, dachte ich nur: ‚Scheiße! Verlängerung…’ Aber zum Glück hat Bates sich lang gemacht und den Ball geblockt. Das war geil. Einfach geil von Batesi. Deswegen sind wir weiter - und die nicht!“, erzählte mir Rick van Drongelen nach dem Spiel im Fahrstuhl. Zusammen mit David Bates sowie den bärenstarken Außenverteidigern an diesem Abend, Gotoku Sakai und Douglas Santos, hatte der Niederländer alles im Griff. Und er bekam dafür auch ein Sonderlob von Wolf, ehe dieser die gesamte Defensivleistung lobte: „Sonst war es im Defensivbereich von allen eine sehr gute Leistung. Wir waren schon vorn im Anlaufen sehr präsent, haben es dem Gegner schwergemacht.“

Und damit sprach der Trainer auch auf Fiete Arp an, der als Stürmer gegen Nürnberg offensiv weniger in Erscheinung getreten war, als es ihm lieb gewesen sein dürfte. Dafür war er der erste Defensivspieler. Arp ackerte, um seine Chance zu nutzen. Und er gewann viele Zweikämpfe - leider vorrangig die defensiven. Offensiv blieb er immer wieder hängen, was mich zu dem Urteil „unglücklich“ kommen ließ. Wolf indes wollte das nicht gelten lassen. Er lobte Arp, der zuvor schon von Sportvorstand Ralf Becker eine „sensationelle“ Willensleistung attestiert bekommen hatte. „Unglücklich war das auf keinen Fall. Er war extrem fleißig. Er war unglaublich gut im Anlaufen. Im Defensivverhalten hat er viele Zweikämpfe geführt und auch gewonnen. Wenn man damit die letzte Situation meint, wo er ein Tor schießen kann - dann vielleicht. Aber dafür brauchst du auch das Quäntchen Glück, dass dir der Ball vor die Füße fällt.“

Einen Ball hatte er auf dem Fuß - aber sein Abschluss wurde geblockt und fiel letztlich Berkay Özcan vor die Füße und führte zum Siegtreffer. Daher sei es einfach nur Pech - aber eben ein gutes Spiel von Arp gewesen, so Wolf. „Weil da ein paar Situationen waren, wo er einfach nur ein bisschen Pech hatte, dass er den Ball nicht bekommen hat. Deshalb finde ich, dass er gut gespielt hat. Er ist extrem viel gelaufen, hat Bälle abgelegt, hat Kopfballduelle geführt und war für uns ein ganz wichtiger Faktor.“

Ebenso wie Bakery Jatta, der tatsächlich immer noch von Spiel zu Spiel - Bielefeld mal ausgenommen - besser wird. Gegen Nürnberg deklassierte er seine Gegenspieler, obgleich er schon von Beginn an etwas müde war. Drei Spiele in so kurzer Zeit sind zwar grundsätzlich für einen austrainierte Fußballprofi anstrengend - aber absolut machbar. Dennoch, mit 45 Sprints in 90 Minuten betreibt Jatta einfach in jedem Spiel einen Aufwand, der seinesgleichen sucht. Er ist nicht vergleichbar. Und dieser Aufwand führte am Ende dazu, dass Jatta gegen Nürnberg bei seiner Auswechslung „todmüde“ war, wie er selbst sagte.

Wolf indes ist bemüht, den entstehenden Hype um den Gambier einzudämmen. „Baka ist auf einem guten Weg - und auf dem soll er auch bleiben. Wir bleiben einfach normal und freuen uns, dass er gut spielt.“ Und das ist sicher auch gut so. Allerdings muss ich zugeben, dass mir Jatta unkonventionelle, kraftvolle und extrem funktionale Spielweise immer mehr imponiert. Die Leichtigkeit, mit der er selbst leicht müde an seinen Gegenspielern gestern vorbeilief - Wahnsinn. Ich freue mich tatsächlich darauf, Jatta mal gegen einen richtig guten, erfahrenen und arrivierten Erstligaprofi spielen zu sehen.

Aber wenn wir schon einzeln loben, dann muss ich Wolf in einem Punkt zu 100 Prozent zustimmen: Das, was gestern die „alten Hasen“ abriefen, war die Basis des Erfolges. Für Vasilije Janjicic habe sich Wolf sehr gefreut, da dieser es derzeit hinter dem überragenden Orel Mangala (soll am Freitag wieder ins Mannschaftstraining einsteigen) sehr gefreut, weil er durch Orels gute Verfassung wenig gespielt hat. „Wir dürfen aber die Holtbys, Santos’ und Sakais nicht vergessen. Die waren gestern die Säulen, die das Spiel getragen haben.“, lobt der HSV-Coach seine Leistungsträger. „Gotoku hat sehr gut gespielt. Und Lewis finde ich stark in der Rückrunde, wirklich stark. Weil er Fitness hat, Power hat. Das darf hier nicht untergehen. Im Moment geht er wirklich vorneweg.“ Eben so wie Douglas Santos seit Saisonbeginn. Bei Santos nimmt man es inzwischen schon fast als zu selbstverständlich hin, dass er einfach immer besser ist als seine direkten Gegenspieler in der zweiten Liga.

Nicht so Wolf: „Was Dougi da spielt ist schon herausragend. Das dürfen wir nicht als ‚normal‘ sehen. Er macht es konstant gut.“ Eine der Nebenwirkungen derart starker Leistungen ist das geweckte Interesse bei großen Klubs mit finanziellen Mitteln. Bei 25 Millionen Euro soll aktuell die Schmerzgrenze bei dem Brasilianer liegen - und die meisten gehen dann aus, dass der Brasilianer nicht über den Sommer zu halten ist. Auch deshalb ist Sportvorstand Ralf Becker intensiv auf der Suche nach neuen Außenverteidigern wie dem Bochumer Jan Gyamerah.

Bis zum Sommer ist es allerdings noch ein weiter Weg mit zwei großen Aufgaben. Und die größere, schwierige und bedeutendere davon ist zweifelsohne der Ligabetrieb und der angepeilte Wiederaufstieg in die Erste Bundesliga. Davon dürfe auch das tolle Erlebnis im DFB-Pokal nicht ablenken, mahnte Wolf heute in der ihm typischen Art. Die Auslosung des Viertelfinale sei zwar am Sonntag und er wünsche sich ein Heimspiel. „Aber das kriegen wir nur so am Rande mit“, so Wolf, „es gibt ja auch noch die andere Seite, und da haben wir das letzte Ligaspiel verloren. Wir wollen das wiederzumachen gegen Dresden. Hier und dort auch eine Top-Leistung bringen. Jetzt liegt der Fokus auf Dresden.“

 

Mit Pierre Michel Lasogga und Gideon Jung. Wahrscheinlich. Das bestätigte auch der HSV-Coach heute. Beide konnten heute schon wieder individuelle Laufeinheiten absolvieren. „Ja, erstmal sieht es so aus, dass sie nicht schwerer verletzt sind. Da müssen wir jetzt abwarten, wie die Reaktionen auf das Training sind.“  Morgen ist trainingsfrei für die Mannschaft. Nicht aber für Jung und Lasogga. Beide sollen individuell arbeiten. „Der Plan könnte sein, dass sie Freitag oder Samstag wieder einsteigen. Aber dafür sind noch ein paar Stufen zu machen, deshalb kann ich das noch nicht vollkommen abschätzen. Morgen trainieren sie individuell, dann werden wir von Tag zu Tag schauen. Bei einem guten Verlauf kommen beide Freitag oder Samstag zurück.“

Und damit könnten sie beide am Montag dabei sein. Aber auch nur dann, wenn sie voll trainieren können. Wie wichtig der Montag gegen Dynamo Dresden für Wolf ist, machte dieser heute mehr als deutlich. Selbst in dem Moment, wo man dachte, er könnte sich vielleicht tatsächlich einfach mal nur freuen, fuhr er schnell wieder runter auf Betriebsmodus und warnte - wie immer - davor, den Ligabetrieb zu leicht zu nehmen. Als mahnendes Beispiel für die oft noch unterschätzte Qualität der Zweitligateams nannte er nicht den HSV-Erfolg gegen Nürnberg, sondern Heidenheims Weiterkommen gegen Leverkusen: „Wir freuen uns riesig über den Abend - aber wir haben von den ersten drei Rückrundenspielen zwei verloren. Deswegen ist es super, das wir gut gespielt haben. Aber Montag gegen Dresden wird es nicht leichter. Heidenheim hat es gestern gegen Leverkusen bewiesen, was es heißt, Zweite Liga zu sein, was diese Mannschaften auch leisten können gegen scheinbar bessere Mannschaften. Deshalb sind wir gewarnt.“

Tatsächlich ein wenig genervt reagierte Wolf sogar auf die Behauptung, der HSV habe gegen Nürnberg ein anderes Gesicht gezeigt. „Wir haben kein anderes Gesicht gezeigt. Das stimmt nicht.“ Das 0:2 in Bielefeld sei durch die Art des Zustandekommens nicht zu werten. „Weil mit der Roten Karte alles anders war. Was sich da in den ersten 12 Minuten angedeutet hat, war das Gleiche, was wir gestern und gegen Sandhausen hatten, nämlich ein dominantes Spiel, wo der Gegner schon direkt merkt ‚Scheiße, da kommen wir nicht hin‘. Aber die Rote Karte hat das Spiel verändert. Dazu noch das irreguläre Tor - davon kannst du dich dann nicht mehr erholen. Deswegen zählen diese 80 Minuten nicht. Deshalb haben wir danach gesagt: Das bringt uns nicht von unserem Weg ab.“

Und das haben sie gegen Nürnberg gezeigt. Anerkannt von knapp 48.000 Zuschauern im Stadion, die die Mannschaft mit Jubelchören verabschiedete. Wolf glücklich: „Die Leute können sich mit unserem Spiel identifizieren. Das hat man gestern gemerkt.“ Und so endete das heutige Gespräch mit Wolf doch noch mit einem zufriedenen Lächeln. Ist bei Wolf ja nicht allzu oft so.

Morgen ist übrigens frei. Damit die Mannschaft die maximale Erholungszeit hat, ist das nächste Training erst für Freitagnachmittag angesetzt. Wir melden uns dennoch schon morgen wieder bei Euch. Dann mit der Taktikanalyse von Tobias Escher.

Bis dahin!

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