Marcus Scholz

23. Oktober 2019

Und plötzlich waren sie raus aus dem Spiel. Die Phase, in der Bielefeld am Montag nicht nur ausglich, sondern vielmehr auch hätte in Führung gehen können, beschränkte Trainer Dieter Hecking im Anschluss auf „50. bis zur 75. Minute“. Schuld daran hatte vor allem der Schiedsrichter, wie Hecking dazu wiederholt ausführte. Schiedsrichter Willenborg habe seine Linie verloren, so der HSV-Trainer, dem ich grundsätzlich auch nicht widersprechen würde. Denn Willenborg ließ etwas zu viel laufen, er ließ zu viel durchgehen. Dass sich letztlich - vor allen anderen der Gejagte Adrian Fein - niemand verletzte, man kann es als Glück für den HSV bewerten.

Dass sich die HSV-Spieler sowie der Trainer darüber beschwerten - nachvollziehbar. Aber auch falsch. Denn der HSV muss schlichtweg lernen, damit umzugehen. „Uns stehen noch viele solcher Spiele bevor“, weiß selbst Hecking. Bedeutet: Das, was anderen Mannschaften an spielerischen Mitteln fehlt, werden sie über Kampf und Härte gegen den HSV auszugleichen versuchen. Dazu gehören auch Provokationen bzw. beides kombiniert.

So, wie es Fabian Klos nahezu in Perfektion vorlebte. Der Bielefeld-Kapitän schnappte sich schon früh in der ersten Hälfte HSV-Antreiber Adrian Fein und nagelte ihn ein paarmal übel um, um dem HSV-Spiel so den Stecker zu ziehen. Da Schiri Willenborg sehr großzügig laufen ließ, sah auch Klos keine Veranlassung, sich zurückzufahren und er machte munter weiter. Bis er in der Zweiten Halbzeit Gelb sah. Hier kann man sagen: Willenborg ist seiner Linie treu geblieben - aber diese Linie war eben falsch angesetzt. Indiz dafür: Statistisch betrachtet war das Spitzenspiel auf der Alm das bislang zweitfairste Spiel der gesamten Saison. Schwer vorstellbar, oder?

Der HSV muss mit Härte und Provokationen umgehen 

Nein, sogar falsch. Denn das Spitzenspiel wurde zunehmend nickeliger, härter. Und es  fehlte dem HSV in Bielefeld in dieser Phase die Ruhe, um das eigene Spiel weiter durchzuziehen. Man verlor durch die Härte der Bielefelder die eigene Linie und gab letztlich ein Spiel unnötig her, das in der ersten Hälfte richtig gut gespielt worden war.

Bielefelds unorthodoxe Mischung aus ruhigem Ballbesitzspiel und körperbetonten Kampffußball stellte bislang alle Zweitligisten vor Probleme; auch beim HSV war dies nichts Anderes. Nach einer besonders defensiv starken ersten Halbzeit ließen sie nach der Pause nach.

Das schrieb unser Taktik-Experte Tobias Escher in seinem gestrigen Blog richtig. Und so war das Remis in Summe auch absolut in Ordnung. Aber es war eben auch unnötig. Mehr noch: Ich würde genau hier den Punkt ansetzen, den dieser HSV zwingend noch lernen muss. Denn Härte darf nicht dazu führen, dass diese Mannschaft den Fokus verliert, da diese Härte das einzige Mittel ist, das wirklich JEDE Mannschaft dem HSV in dieser Liga entgegensetzen kann - und wohl auch wird.

Wie überall bedarf es auch hier Erfahrung, die einen mit solchen Situationen ruhig umgehen lässt. Und die haben weder Adrian Fein, noch Sony Kittel oder auch Rick van Drongelen. Können sie auch noch nicht. Stattdessen wären ein Martin Harnik, ein Lukas Hinterseer oder vor allem auch ein Aaron Hunt als Führungsspieler Gold wert. Da Harnik und Hinterseer noch neu im Team sind, ist es insbesondere an Hunt, hier Stabilität reinzubringen. Er weiß, wie man den Schiedsrichter für gewisse Entwicklungen auf dem Platz (Klos hätte sicher schon früher Gelb bekommen) sensibilisiert. Vor allem aber ist Hunt der Spieler, dem die eigenen Kollegen  - sie haben ihn nicht umsonst selbst zu ihrem Kapitän gewählt - vertrauen.

Hunt ist für seine Kollegen der Fixpunkt - und ein Leader

Hunt gibt insbesondere in Ausnahmesituationen wie in so einem Spitzenspiel gegen Bielefeld den Takt vor - der Rest folgt. Und schon das allein macht ihn für Trainer Dieter Hecking in eben diesen Drucksituationen schwer bis gar nicht ersetzbar. Nun kann man trefflich darüber diskutieren, wer die besseren Skills im Offensivspiel derzeit hat, ob das der junge, kreative und schnellere Sonny Kittel ist - oder doch Hunt. Ehrlich gesagt sähe ich in dieser Kategorie auch Kittel vorn. Aber im Paket bringt Hunt dann das mit, was man in der Spitze braucht: Erfahrung, Ruhe, Führungskraft. Und die hat ein Kittel naturgemäß (noch) nicht. Wobei ich Kittel nicht so einschätze, dass er überhaupt irgendwann mal Wortführer auf dem Platz sein will und/oder wird. Kittel will einfach nur spielen…

 

„Es gibt nicht eine Trainingseinheit, in der Aaron nicht der mit Abstand Beste ist“, hatte Christoph Moritz im Rautenperle-Talk gesagt. Und Moritz ging noch weiter, nannte Hunt einen „Unterschiedsspieler“ und einen wichtigen Fixpunkt auf dem Platz für den Rest der Mannschaft. Insofern sollte sich die „Koan-Hunt“-Fraktion bzw. deren Sympathisanten mal vor Auge führen, was der HSV in dieser Saison brauchen wird. Denn das ist genau diese Mischung aus Hunt und Kittel für die Offensive. Hunt in den schwierigen Momenten, in denen Verantwortung übernommen werden muss. Und Kittel eben genau in den Momenten, wo der Freigeist, die jugendliche Kreativität gebraucht wird. Hunt ist sozusagen die Basis, Kittel die Kür.

Für das Spitzenspiel meldet sich Hunt gesund zurück

Im Optimalfall, und der scheint sich nach heutigem Stand für das Spitzenspiel am Sonnabend gegen den VfB Stuttgart wieder anzubieten, stehen beide auf dem Platz. Dann kann sich Kittel ohne den Druck, selbst Verantwortung übernehmen zu MÜSSEN, neben Hunt Schritt für Schritt an die Rolle des Chefs auf dem Platz heranarbeiten. Umso besser, dass sich Hunt heute wieder gesund zurückmeldete und das Mannschaftstraining bis zum Schluss mitmachen konnte. Bei der Spielform 5 gegen 5 am Ende der Einheit agierte er zudem als neutraler Mann und war entsprechend für beide Mannschaften anspielbar.

Und der Kapitän wirkte dabei frisch. Man werde bei Hunt sicher kein Risiko eingehen, hatte Hecking bereits angekündigt. Aber nach Risiko sah das heute auch nicht mehr aus. Auch bei den Kollegen nicht. Um der Mehrbelastung in den kommenden zehn Tagen gerecht zu werden, wird die Belastung der Spieler gezielt gesteuert. Bakery Jatta und Lukas Hinterseer sowie im Anschluss daran auch Kittel, Leibold, Letschert, van Drongelen und Keeper Heuer Fernandes durften heute früher das Training beenden und wurden behandelt, während die Rückkehrer Hunt und auch Gideon Jung sowie der Brasilianer Ewerton voll durchzogen.

Noch muss der HSV mit „Kompromissspielern“ arbeiten

Letztgenannter, dabei bleibe ich, ist im Top-Zustand hinten in der Innenverteidigung gesetzt. Und um in diesem Zusammenhang noch einmal auf das Thema Hunt zurückzukommen: Für mich ist Ewerton schon jetzt sowas wie der Hunt der Innenverteidigung. Oder anders formuliert: Ist er fit, ist er unverzichtbar. Problem dabei: Wie Hunt ist auch er zu selten fit, um verlässlich mit ihm planen zu können. Kurzum: Noch müssen wir uns damit abfinden, dass der HSV auf so genannte „Kompromissspieler“ wie sie Hunt und Ewerton nun einmal sind, setzt. Aber versprochen: In dem, Moment, wo sich der HSV derart wichtige Spieler leisten kann und sie als Konstante im Team hat, ist der HSV da, wo er aktuell noch hinkommen will: Oben - und gut.

 

In diesem Sinne, morgen wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert. Wir melden uns dennoch um 12.30 Uhr auf unserer Facebookseite live mit der Pressekonferenz von Trainer Dieter Hecking. Vorher aber werde ich mich wie gewohnt um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch melden.

Bis dahin! Scholle

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