Marcus Scholz

1. Januar 2018

Augenringe gab es nicht. Die Mannschaft wirkte frisch und tatenfreudig, als sie gegen 14 Uhr den Terminal 1 des „Helmut Schmidt“- Flughafens in Fuhlsbüttel betrat. „Ich war früh im Bett“, gestand Gotoku Sakai, der das erste Mal in seinem Leben das Silvesterfest in Hamburg („Ich habe mich erschrocken, wie laut es war...“) verbracht hatte. Musste er zwangsläufig, weil er sonst den Rückflug aus seiner Heimat Japan nicht rechtzeitig geschafft hätte. Immerhin ging es am heutigen Neujahrstag schon um 15.15 Uhr mit dem Charterflieger nach Jerez ins Trainingslager.

„Noch mal komplett einschwören und auf das gemeinsame Ziel fokussieren“, sei der primäre Part des einwöchigen Trips nach Spanien, so Jens Todt, der allerdings erklären musste, weshalb einer der Spieler fehlte: Walace. „Walace hat uns vor einigen Tagen mitgeteilt, dass er den Urlaub aus privaten Gründen eigenmächtig verlängern werde. Dem haben wir nicht zugestimmt und ihn aufgefordert, schnellstmöglich nachzureisen. Sobald das geschehen ist, werden wir diese Aktion von Vereinsseite sanktionieren.“

Ein erster, echter Hammer! Der erste Zoff noch bevor es überhaupt losgegangen war. Denn der Brasilianer versucht so, einen Wechsel zu einem anderen Klub zu erzwingen. „Er nannte uns private Gründe, die wir nicht akzeptiert haben“, so Todt, „der Wunsch, den Verein zu wechseln spielte dabei auch eine Rolle.“ Allerdings werde der HSV hier nicht von seinem vor dem Weihnachtsfest bereits deutlich formulierten Standpunkt abweichen: „Ein Verkauf war und ist für uns kein Thema. Und dabei bleibt es auch“, so Todt noch mal deutlich. Ob er denn glaube, dass sich der Verein in einer so schwierigen Phase wie dem Existenzkampf in der Rückrunde auf einen Spieler verlassen könne, der zu derartigen Mitteln greift, um wegzukommen? „Das werden wir sehen. Wir werden die Gespräche führen.“

Unter diesen Voraussetzungen wirkte ein auf Instagram von Walace veröffentlichtes Foto schon fast wie Provokation. Das Bild zeigt den brasilianischen Mittelfeldspieler am Silvesterabend unter Palmen in Brasilien mit nach oben gerissenen Armen und dem Victory-Zeichen. Zu einem Zeitpunkt, wo er längst im Flieger nach Hamburg hätte sitzen müssen. Ich hatte das Foto ehrlich gesagt für einen Scherz gehalten oder zumindest für deutlich früher aufgenommen als veröffentlicht.

So aber reiht sich Walace in eine ligaweit lange Liste von Brasilianern ein, die nach der jeweiligen Spielpause eigenmächtig ihre Urlaube verlängert haben. Beim HSV war das übrigens zuletzt mit Zé Roberto so, der unter Labbadia drei Tage länger in Brasilien blieb. Damals verkaufte es der HSV als „abgesprochen“. Später stellte sich raber heraus, dass dem mitnichten so war. Vielmehr war es der Protest Zé Robertos gegen Labbadia, mit dem er sich verstand. Höhepunkt hierbei war ein Streit im vollbesetzten Kabinentrakt, an dessen Ende Zé Roberto seinen Trainer mit „Du Amateur“ beleidigte.

Allerdings muss man beim vergleich dieser beiden Spieler nach der gemeinsamen Position auf der Sechs aufhören, wenn man Zé Roberto nichts Böses will. Denn ganz im Gegensatz zu der Aktion im Winter 2010 war Zé Roberto für mich der Profi, dem man am allerwenigsten Vorwürfe machen konnte, nicht wirklich alles in seinem Leben dem professionellen Verhalten als Profifußballer unterzuordnen. Angefangen bei einer asketischen Ernährung bis hin zu freiwilligen Einheiten, Privattraining, der vorbildlichen Einstellung auf dem Platz bis hin zu der fußballerischen Weltklasse, die ich vor ihm und nach ihm in Hamburg nicht mehr gesehen habe. Umso trauriger, dass man seine Qualitäten hier in Hamburg nicht wirklich zu nutzen wusste.

Wobei, dieses Problem hat der große Zé hier in Hamburg ja lange nicht exklusiv. Im Gegenteil: Verkannte Potenziale laufen dem HSV im Ruf seit Jahrzehnten hinterher. Soll heißen: Gut nach Hamburg gekommen wird man hier schwächer. Oder man startet in Hamburg nicht durch, dafür aber direkt nach einem Wechsel bei seinem neuen Verein. Aber den wird es bei Walace ja noch nicht so schnell geben, wenn man Todts Worten Glauben schenken darf.

Dafür wird es ein Gespräch auch mit Mannschaftskapitän Gotoku Sakai geben, der andeutete, dass das vom Mannschaftsrat auch nicht hingenommen würde, der sich aber heute noch nicht näher zur Causa Walace äußern konnte und wollte. Ob er denn für sich gute Vorsätze für 2018 habe? „Ich will meine Leistung verbessern. Ich muss an mir arbeiten und zusehen, dass ich der Mannschaft wieder helfen kann.“ Auf welcher Position der variabel hinten links und rechts sowie auf der Sechs eingesetzte Japaner sich denn 2018 vorrangig sieht? „Wenn ich viele Spiele im Zentrum und dann wieder außen spiele, ist es manchmal tatsächlich schwer. Ich spiele natürlich lieber eine Position – aber vorrangig ist, dass ich dort spielen kann, wo ich der Mannschaft helfen kann. Wenn ich mir etwas aussuchen darf, dann sicher eine Position, um dort Stabilität zu entwickeln. Und das ist eher außen – egal ob links oder rechts hinten.“

Sakai macht Santos und Diekmeier Konkurrenz, hofft aber vor allem wieder darauf, bei der WM dabei zu sein. „Letztes Mal habe ich sie verpasst, diesmal will ich dabei sein.“ Auch deshalb will Sakai sich wieder über die Außenverteidigerposition anbieten. „Zentral sind wir in der Nationalelf sehr gut besetzt. Deshalb ist die Situation für meinen Trainer schwer. Da ich hier in Hamburg immer zentral spiele, kann er mich bei der Nationalmannschaft schwer auf außen bringen. Aber okay, erst einmal ist jetzt HSV für mich.“ Hoffentlich. Denn die Situation, dass sich die in diesem Fall zum Glück nur wenigen, potenzialen Kandidaten (Sakai, Kostic, Ekdal) vor dem großen WM-Turnier in Russland nicht mehr verletzen wollen, könnte im Alltagsbetrieb Bundesliga und hier beim HSV im Abstiegskampf „wichtige Körner“ kosten...

Keine Kosten und Mühen scheuen wir natürlich, um Euch an dieser Stelle immer auf dem aktuellsten Stand zu halten. Deshalb bin ich auch wieder live mit vor Ort. Zusammen mit der Mannschaft sowie Vorstandsboss Heribert Bruchhagen und Sportchef Jens Todt sind wir sehr pünktlich um 15.15 Uhr im Charterflieger abgehoben, haben an Bord ein Baguette (wahlweise Pute oder Käse) sowie kalte und warme Getränke bekommen. Glücklicherweise werden wir von der Reiseorganisation immer in den hinteren Teil des Fliegers gesetzt. Soll heißen, ganz vorn das Trainerteam inklusive Vorstand und Sportchef, dann die Spieler, dann die acht VIP-Fans und dann wir Journalisten. Reihe 27 von 32 saß ich – eigentlich. Denn die letzten Reihen waren komplett frei, sodass ich mir eine schnappen, mein mobiles Büro aufbauen und (samt Tomatensaft und Cola light) schreiben konnte. Es gibt sicher schlimmere Arbeitsbegdingungen.

Allerdings werde ich in Jerez keinen Urlaub machen, das sei an dieser Stelle klar gesagt und versprochen. Ich werde Euch morgens mit einer kleinen „Presseschau“ einen Überblick über das verschaffen, was meine geschätzten Kollegen in ihrem jeweiligen Medium geschrieben haben. Mit dabei wird nach Möglichkeit auch immer einer der Kollegen sein, den ich Euch kurz vorstelle und mit dem ich mich über die aktuellen Geschehnisse ein wenig austausche. Das Ganze werde ich live auf der Facebookseite „Rautenperle.com“ ausstrahlen. Die genaue Uhrzeit reiche ich Euch nach, wenn ich die Abläufe vor Ort erläutert bekommen habe.

Bei dieser Gelegenheit könnt Ihr uns über die Kommentarfunktion auch immer wieder live Fragen stellen, die wir dann versuchen, zu beantworten. Tagsüber werde ich Euch dann via Facebook immer wieder Bilder und Videos von den Einheiten und Interviews übermitteln, die ich am Abend komprimiert hier mit dem Blog des Tages veröffentlichen werde. Am späten Abend rundet dann ein Interview in Tagebuchformat den HSV-Tag in Jerez ab.

 

Ich freue mich auf die nächsten, zumeist sehr intensiven HSV-Tage!

 

Bis dahin,

Scholle

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