Guido Müller

2. September 2020

Die Coronakrise bringt es nach sich, dass die diesjährige Sommer-Transferperiode vielleicht die schleppendste aller Zeiten ist. Die späteste (denn sie endet erst Anfang Oktober) ist sie sowie schon. Allerorten agieren die Klubs äußerst vorsichtig, denn niemand kann heute mit Bestimmtheit sagen, wie lange das Ganze noch dauert. Also bleiben die Geldschatullen für größere Verpflichtungen erstmal geschlossen. Das gilt für die Big Shots der Branche genauso wie für die Kleineren. 

Das Warten auf die Schwemme von vertragslosen Spielern

Denn natürlich spekulieren viele Vereine, ganz besonders die, die finanziell nicht so üppig ausgestattet sind, auf die von vielen Experten angekündigte Schwemme an vertragslosen Spielern, die sich in diesem Spätsommer über die Fußball-Landschaft ergießen soll. Dass der HSV genau in diesen Gewässern fischt, zeigt sich schon an der bisherigen Tranferbilanz der Rothosen: vier Neue, viermal wurde kein Eurocent an Ablöse bezahlt. Ich habe für dieses Agieren auf dem Markt den federführenden Jonas Boldt und Michael Mutzel bereits an anderer Stelle mein Lob ausgesprochen. 

Fünf Wochen bleiben also noch, um den Kader hier und da punktuell zu verstärken. Wobei ich die Basis als geschaffen ansehe. Denn die vier bisher verpflichteten Spieler haben in meinen Augen allesamt das Zeug dazu, eine wichtige Rolle in dieser Saison zu spielen. Drei der vier Neuen (Leistner, Gjasula und Terodde) bilden sogar eine komplett neue Achse von der Innenverteidigung über das defensive zentrale Mittelfeld bis zur Sturmspitze. Was im vergangenen Jahr die - am Ende nicht mehr funktionierende - Achse Letschert (van Drongelen) - Fein - Hinterseer (Pohjanpalo) war, ist jetzt eine neue Linie mit komplett neuen Spielern. 

Ebenfalls an anderer Stelle sagte ich bereits, dass auf spielerischer Ebene ein Vergleich zwischen Adrian Fein und Helm-Klaus (wie er schon im typischen hiesigen Boulevarblatt-Sprech getauft wurde) immer zugunsten des neuen (alten) Bayern-Spielers ausfallen muss - es aber in der Zweiten Liga nur bedingt darauf ankommt. Zwei Saisons über hat es der HSV in einer doch eher körperlich betonten Liga mit der feinen Klinge in der Schaltzentrale probiert - zweimal ist das Experiment misslungen. Wobei ich an dieser Stelle keineswegs Orel Mangala (2018) oder eben Adrian Fein (2019) die Schuld an den verpassten Aufstiegen zusprechen will. Die Gründe waren mannigfaltiger und reichten von simplerweise ungenügender Qualität auf neuralgischen Positionen (Innenverteidigung) und einer fatalen Mischung aus Selbstüberschätzung bei gleichzeitig ausbleibendem Korrektiv durch den Trainer.

Denn das ewige Schönreden (mit Ausnahme der letzten beiden Spiele, wo es dann aber leider schon zu spät war) von Thiounes Vorgänger kann zwar aus psychologischer Sicht erklärbar erscheinen, hatte aber nicht den von Hecking wohl gesuchten Effekt, dass sich die Mannschaft, dankbar darüber, dass sich jemand schützend vor sie stellt, nun endlich mal liefern würde. Im Gegenteil: es wurde in der Rückrunde, in der z.B. Unentschieden in Hannover vom Trainer als positive Ergebnisse behandelt wurden, Woche für Woche schlimmer. Die Mannschaft schien Hecking nicht mehr zu folgen - und Hecking hatte irgendwann zwischen Hin-und Rückrunde offenbar den Zugang zur Mannschaft verloren. 

Nun also auf ein Neues. Das gilt für jedes Jahr. Und vielleicht läuft es ja in dieser Saison einfach mal andersrum - dass die momentan noch überall vorhandene Skepsis erst einem vorsichtigen Optimismus und schließlich fester Überzeugung, dass es klappen könnte, weicht. Also quasi kontrazyklisch zu den vergangenen Jahren, als zu Beginn einer Saison die Neuen (die besonders in Hamburg von den Medien hochgelobt werden, noch ehe sie überhaupt ihre ersten Minuten auf dem Platz absolviert haben) für Optimismus sorgten, der dann ob der schonunglosen Realitäten auf dem Platz sukzessive Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit wich.

 

Warum nicht mal Vagnoman als Innenverteidiger ausprobieren?

Im gestrigen Blog hat Scholle eigentlich schon eine perfekte Bestandsaufnahme des Ist-Zustandes geliefert. Interessant fand ich vor allem den 4. Punkt der Baustellen-Mängel der vergangenen Saison. 

Es geht um die defensive rechte Außenverteidigerposition. 

Die gehörte zu Beginn der letzten Spielzeit dem damals neu aus Bochum geholten Jan Gyamerah. Zwar war auch bei dieser Personalie das mediale Pushing nicht ausgeblieben - so bezeichnete Peter Neururer das Quasi-Eigengewächs des VfL (kam mit 14 aus der Jugend von Arminia Bielefeld in den Pott) - damals als “Supertalent”, belegte ihn mit Attributen wie “laufstark”, “pfeilschnell” und “spielintelligent”. Doch was soll ich sagen: bis zu seiner schweren Verletzung, die ihn am Ende fast die komplette Saison verpassen ließ, sah ich Neururers Worte bestätigt. Endlich, so meine Einschätzung, haben wir auch auf der rechten Seite einen Spieler, der für Betrieb sorgt, der ins eins gegen eins gehen kann, die linke Seite des Gegners aufreißen und mit gefährlichen Hereingaben für Alarm vorm gegnerischen Tor sorgen kann. Aber wie das so ist im Fußball: die Realität holt die Träume meist schneller ein, als diese fliegen können. Mit dem Wadenbein Gyambos brach an jenem Septembertag auch etwas von meiner Hoffnung auf eine unbeschwerte Saison zusammen.

Und die folgenden Wochen sollten mir recht geben. 

Zwar hat Gyamerahs Back-Up Josha Vagnoman im Anschluss (bis zu seiner Verletzung, einen Monat später) einen ganz passablen Job gemacht - aber eben auch nicht mehr. Darüber kann auch sein erstes Profi-Tor im zweiten Spiel Post-Gyamerah (gegen Aue) nicht hinwegtäuschen. An diesem Tag glänzte übrigens auch ein Rick van Drongelen mit Diagonalpässen, die einem Ronald Koeman zur Ehre gereicht hätten. Nur war mit Aue eben die Saison nicht vorbei.

Konkret auf Josha Vagnoman bezogen, hatte ich beim letzten Testspiel gegen Feyenoord eine Art Eingebung. Ich fragte mich nämlich, warum es beim HSV so relativ selten passiert, dass Spieler “umgeschult” werden. Dass man das durchaus vorhandene und erkennbare Potential gewisser Spieler nicht herauskitzelt, notfalls um den “Preis”, ihnen eine neue Position im System zu verpassen. Konkret heißt das hier: was genau hindert die Verantwortlichen (allen voran natürlich den Trainer), es bei Josha Vagnoman mal mit einer Positionsänderung zu probieren? Denn je mehr Eindrücke ich von dem ja immer noch blutjungen Hamburger Jung sammele, desto stärker wächst in mir die Überzeugung, dass er einen mehr als passablen Innenverteidiger abgeben könnte.

Der Mann ist physisch schon mal eine Erscheinung, obwohl er mit 1,87 Metern noch nicht mal zu den allergrößten gehört. Seine wuchtige Präsenz liegt wohl auch an seiner insgesamt imposanten athletischen Figur. Mit dem Ball am Fuß ist er akzeptabel, kann sich durchaus auch mal aus schwierigeren Situationen lösen (wobei ihm da auch seine Schnelligkeit, gepaart mit körperlicher Wucht, hilft). Doch ein Außenverteidiger moderner Prägung, der die rechte Seite rauf und runter beackert und die Stürmer in der vordersten Zentrale regelmäßig mit Flanken füttert, ist er nunmal nicht. Und wird es vielleicht auch nie werden. 

Wenn man aber auf der Innenverteidigerposition durchaus noch Verstärkungen gebrauchen kann (sicher ist sicher!), gleichzeitig aber kaum Geld in den Kassen ist, ja, warum macht man dann nicht aus der Not eine Tugend - und aus einem überforderten Außen- einen akzeptablen Innenverteidiger? Ich habe mir die Vita Vagnomans in Kurzform mal angesehen: da fällt auf, dass es eben noch nie einem seiner Trainer eingefallen ist, ihn mal zentral defensiv auszuprobieren. In den Jugend-Nationalmannschaften hat er als linker Verteidiger begonnen, mittlerweile ist er nach rechts gerückt. Positionswechsel als solche kennt er also. Und Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit gibt es ja zuhauf: Alaba - von außen nach innen gezogen. Und dort fast noch stärker geworden als vorher. Halstenberg - dasselbe in grün, wobei diese Maßnahme von Nagelsmann auch handfesten personellen Engpässen geschuldet war. Andere Spieler waren sogar mal Stürmer (Durm), und wurden zu Verteidigern umgeschult. Noch andere wiederum gingen den umgekehrten Weg - wie zum Beispiel ein Gareth Bale. Der war mal als Linksverteidiger bei Tottenham Hotspur unterwegs.

Und Fußball bleibt ja auch weiterhin, innerhalb seiner intrinsischen Komplexität, ein einfaches Spiel.

Es ist keine höhere Atomphysik oder Hegelsche Dialektik. 

Zudem würde man als Klub gleichsam zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: man gewönne an Flexibilität innerhalb des Kaders und man hielte einen Local Hero bei der Stange. Denn reserviert man Vagnoman nur für die Fälle, in denen Gyamerah (bei dem ich - in fittem Zustand - davon ausgehe, dass er auf der rechten defensiven Außenbahn die erste Wahl sein wird) mal nicht spielen kann, lässt man ungenutztes Potential auf der Bank versauern. Bis irgendwann irgendein Serie A-Klub (oder von wo auch immer) um die Ecke kommt, die entsprechenden Scheine auf den Tisch legt und dem Verein ein weiteres Eigengewächs und damit auch eine Identifikationsfigur entreißt.

Also, ihr Verantwortlichen, wagt es doch einfach mal mit Vagnoman auf einer neuen Position. Sollte das aus - mir heute nicht vor Auge stehenden - Gründen am Ende noch nicht passen, kann man ihn immer noch als Außenverteidiger weiterentwickeln.

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