Guido Müller

6. November 2020

Kiel. Na, da war doch was. Erinnert ihr euch auch noch so gut wie ich? Auf die Spiele der Debüt-Saison in Liga 2, in der Spielzeit 2018/19, komm ich später noch zu sprechen. Erstmal grasen wir die letzte Saison ab. Da folgte das Nord-Derby an der Ostseeküste nämlich dem zweiten ganz großen Dämpfer der Saison. Der erste war - logischerweise - die  0:2-Niederlage am Millerntor. Der zweite das 1:1-Unentschieden in der Brita-Arena zu Wiesbaden. Mit 6:2 hatte der HSV nur eine Woche zuvor, beim rauschenden Tor-Festival gegen den Tabellenzweiten aus Stuttgart, seinen Platz an der Sonne gehalten, den er nach 10 Spieltagen innehatte. 

Im letzten Jahr folgte das Kiel-Spiel auf den Wiesbaden-Schock

Und schon damals habe ich trotz des Jubels über die neu erlebte Effizienz vorm Tor (der HSV machte gegen die Schwaben gefühlt aus drei Chancen sechs Tore) die Gewitterwolke am Horizont nicht übersehen können. Oh Gott, durchfuhr es mich als ich sah: nach dem Spitzenspiel müssen wir zum Tabellenletzten aus Wiesbaden. Eine Konstellation, an der der HSV in den Jahren zuvor immer wieder gerne gescheitert war. 

Und dann führen wir beim Schlusslicht auch tatsächlich kurz nach der Pause (Tor: Kinsombi) und etlichen zuvor vergebenen Chancen endlich mit 1:0 - und was machen wir? Wir verwalten es nur noch und lassen eine tote Mannschaft, die ab Spielminute 57 sogar mit einem Mann (Aigner flog vom Platz) weniger auskommen musste, wieder auferstehen. Und die sagte: “Danke” und ließ sich nicht zweimal bitten.

 

Dass dann am Ende auch noch ein Ex-HSVer (Törless Knöll) den Ausgleich machte, war umso bitterer. Der HSV hatte sich mal wieder - fast auch bildlich - selbst geschlagen.

Dieser völlig unnötige Punkteverlust könnte im Nachhinein zur Wurzel allen Übels erklärt werden. Denn nach Wiesbaden kam Kiel.

Und das war dann so ein Spiel, wo man sich hinterher fragte: haben wir jetzt einen Punkt gewonnen oder erneut zwei verloren? Ich entschied mich für die optimistische Variante und  hielt es damals mit der ersten Option, wofür ich dann am Ende, sieben Monate später, bestraft wurde. 

In Kiel verloren wir damals Jatta nach nicht einmal einer halben Stunde Spielzeit. Nach dessen Herausstellung wurde es gegen ambitionierte Kieler natürlich nicht leichter. Und die gingen dann auch kurz vor der Pause durch einen kapitalen Doppel-Bock von van Drongelen (Fehlpass) und Jung (rutschte am Strafraum aus) in Führung. 

Am Ende war es ausgerechnet Timo Letschert der den Ausgleich in letzter Sekunde besorgte. Ich sage ausgerechnet, weil der Holländer mit diesem Tor damals als Held taugte. One Hit- Wonder nennt man das wohl. Im Nachgang muss ich sagen, dass Letschert für mich eines der Gesichter des verpatzten Aufstiegs im vergangenen Sommer war. Aber auch nur eines von mehreren. 

Jetzt also wieder Kiel. Und wieder im Dunstkreis eines Stadtderbys. Diesmal sogar in direkter Folge. Doch schon dieses jüngst gespielte Stadtderby lief für den HSV weitaus besser als in der Vorsaison. Zugegeben: man sollte sich nicht immer mit dem schlimmsten vergleichen - aber Derbys haben nun auch einmal diesen besonderen, eigenen Charakter. Deshalb sind sie ja so beliebt. Und wenn alle Beteiligten mal ehrlich sind, war es doch eigentlich in den vergangenen Jahrzehnten immer so, dass der HSV es war, der bei diesem Spiel erheblich mehr zu verlieren hatte, als der kleine Underdog-Bruder aus dem Rotlichtviertel. 

Daran hat sich seit meiner Kindheit bis heute nichts geändert. Auch nicht in Liga 2. 

Von daher hat man ein - in meinen Augen hoch interessantes, wenn auch fehlerbehaftetes - Stadtderby bestritten und sich dabei gegen widrigste Umstände (wie eben acht Minuten vor Schluss in Rückstand zu geraten) durchgesetzt und am Ende den Punkt mitgenommen. Trotz Gjasula könnte ich noch bitter schmunzelnd hinzufügen. 

Mit einem Spiel gegen Kiel begann die Leidenszeit in Liga 2

Nun also Kiel. Das war vor etwas mehr als zwei Jahren das Debüt des HSV in Liga 2. Meine Wenigkeit war dabei. Die Hütte proppevoll, ein nasskühler August-Abend in Hamburg, von daher: ideale Bedingungen für ein Fußballspiel.

Und tatsächlich spielte der HSV die Kieler in den ersten Minuten auch sowas von an die Wand, dass man dachte, dass das ein Kantersieg zum Auftakt werden könnte. Allein Narey und Jairo Samperio hätten nach gut einer Viertelstunde schon auf 3:0 stellen können. 

Tja, und auf einmal - so nach zwanzig Minuten -  war es mit der HSV-Herrlichkeit vorbei, und statt kommod zu führen, stand es immer noch 0:0. Doch das war im weiteren Verlauf des Spiels mehr und mehr dem Unvermögen der Kieler zu verdanken, die immer besser ins Spiel kamen. Dass es zur Halbzeit noch 0:0 stand, war fast schon schmeichelhaft für den HSV. Der zerfiel dann nach der Führung der Gäste in der 56. Minute endgültig in seine Einzelteile.

Dieses Spiel hat mich damals so dermaßen schockiert, dass ich erhebliche Probleme hatte, mich für das nächste Heimspiel überhaupt noch motivieren zu können (ich hatte damals eine Dauerkarte). Aber dann gewann man 3:0 in Sandhausen, und auch die nächsten Spiele wurden irgendwie gewonnen, und man schien angekommen zu sein in Liga 2 - bis, ja bis Regensburg kam...aber das ist noch mal wieder eine ganz andere Geschichte. 

Übrigens: der Auftritt bei den Kielern in der Rückrunde jener Spielzeit 2018/19, kurz vor Heiligabend, war dann fast noch ernüchternder als das Heimspiel. Ein gewisser David Kinsombi erlegte damals arrogant auftretende Hamburger, die nie ins Spiel fanden, mit zwei Toren praktisch im Alleingang.

Die Tabelle lügt nicht - aber man muss sie auch lesen können

Doch man braucht gar nicht die Geister der Vergangenheit bemühen, um zu sehen, was am kommenden Montag im Holstein-Stadion auf dem Spiel steht. Denn eigentlich - ich wiederhole jetzt einen Satz, den ich schon nach dem Würzburg-Spiel geschrieben habe - beginnt die Saison jetzt erst richtig. 

Ein Blick auf die Tabelle mag das veranschaulichen. Wenn wir diese nämlich in die oberen 8  und die unteren 10 Mannschaften einteilen, fällt folgendes auf: von den Top 8 hat der HSV bislang nur gegen die SpVgg Greuther Fürth gespielt - und mit Ach und Krach gewonnen. Oder in anderen Worten: die bisherigen fünf Siege hat man gegen Mannschaften errungen, gegen die es - wenn man den Aufstieg zum Ziel hat - wohl auch “Pflicht” war, dreifach zu punkten (das Stadtderby lass ich mal als besonderes Spiel mit besonderen Umständen außen vor). Erst wenn wir Spiele gegen Teams wie Kiel, Bochum, Hannover, Osnabrück (die Lilien sind, wie wir, noch ungeschlagen), Regensburg oder Darmstadt auch noch siegreich gestalten (oder zumindest die meisten davon), darf man - als Fan - schon mal etwas lauter auf den Putz hauen. Aber nicht zu laut - denn die Rückrunde kommt bestimmt. 

Aus genannten Gründen heraus kommt dem Auswärtsspiel bei Holstein Kiel für mich eine extrem wichtige weil wegweisende Bedeutung zu. Ein Sieg in diesem Spiel - und ich fange wirklich zu träumen an. Und wie geil wäre es, wenn ausgerechnet Kinsombi, falls er überhaupt zum Einsatz kommt, am Montag endlich seine Kieler Version von sich zeigt. 

Angesichts der Tatsache, dass sich andere heimliche Träume von mir (z.B. endlich mal wieder den Top-Torschützen der Liga in seinen Reihen zu wissen) in dieser Spielzeit schon erfüllt haben, sei mir der Bau derartiger Luftschlösser zu diesem Zeitpunkt der Saison gestattet. Albträume hatte ich in den letzten Jahren schon genug. Vor allem wenn es gegen Kiel ging.

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