Tobias Escher

20. September 2018

Oft fragen mich Leute: „Tobi, was ist eigentlich das beste Spielsystem?“ Beantworten kann ich die Frage allerdings nicht. Fußball ist immer ein Wettstreit zweier Spielsysteme. Wie gut ein System funktioniert, hängt auch immer mit dem System des Gegners zusammen. Und damit wären wir auch schon bei Hamburgs knappem 1:0-Sieg gegen Dynamo Dresden.

Über neunzig Minuten taten sich die Hamburger schwer gegen den defensiv kompakten Gastgeber aus Dresden. Das Hamburger System bot den Dresdnern mehrere Schwachstellen, die diese dankbar annahmen. Vor allem auf den Flügeln erarbeitete sich Dynamo ein Übergewicht.

Die Spielsysteme beider Teams

Titz schickte seine Mannschaft in einer Mischung aus 4-2-3-1 und 4-3-3 auf das Feld. Christoph Moritz befeuerte das Wechselspiel zwischen den Systemen: Gegen den Ball reihte er sich neben Vasilije Janjičić im defensiven Mittelfeld ein, der HSV verteidigte mit einer Doppelsechs. Bei Ballbesitz rückte Moritz weit vor Janjičić und agierte auf einer Höhe mit Hunt.

Der HSV begann mit typischem Titz-Fußball: Aus der Abwehr eröffneten die Innenverteidiger das Spiel. Der weit aufrückende Torhüter Julian Pollersbeck unterstützte sie im Spielaufbau. Die Außenverteidiger rückten gewohnt weit nach vorne, sodass die nominellen Außenstürmer Josha Vagnoman und Khaled Narey ins Zentrum einrücken konnten. Mit langen Diagonalbällen sollte die kompakte Defensive der Dresdner geknackt werden.

Das stellte sich als schwieriges Unterfangen heraus. Dresden verteidigte mit zehn Mann hinter dem Ball. Trainer Mark Walpurgis, gerade einmal seit einer Woche im Amt, stellte seine Elf in einem defensiven 5-4-1-System auf. Die Viererreihe im Mittelfeld agierte dabei äußerst zentral, auch die Außenstürmer rückten weit ins Zentrum ein. Die Mittelfeldspieler sollten vor allem die Anspielwege ins Zentrum blockieren und hier eine Überzahl schaffen. Auf den Außen sollten wiederum die Außenverteidiger die Breite abdecken.

 

Die taktische Aufstellung von Dynamo Dresden und dem HSV

 

Dem HSV fehlt die Breite in der gegnerischen Hälfte

Das Problem: Der HSV spielte mit dem eigenen System dem Gegner vollends in die Karten. Das hohe Aufrücken von Moritz sowie die hohe Rolle von Hunt hatten zur Folge, dass beide praktisch stets hinter dem engen Dresdner Mittelfeld postiert waren. Der HSV konnte das Spiel nicht über das Zentrum ins eigene Drittel tragen, auch weil Sechser Janjičić im Spielaufbau wenig präsent war.

Stattdessen mussten die Hamburger häufig den Weg über die Flügel suchen. Die Hamburger Außenverteidiger mussten sich dafür auf Höhe der Mittellinie anbieten; sie konnten nicht derart offensiv spielen, wie es im System eigentlich vorgesehen ist. Da aber weder Vagnoman noch Narey vor ihnen die Flügel besetzten, fehlte in der gegnerischen Hälfte jegliche Breite. Dresdens Außenverteidiger konnten weit aus der eigenen Fünferkette rücken und die Hamburger Außenverteidiger attackieren. Schließlich mussten sie nicht befürchten, dass sich hinter ihnen ein Hamburger Spieler freiläuft.

So waren für den Hamburger SV sowohl die Route durch das Zentrum als auch jene über die Flügel versperrt. Es blieben nur lange Bälle. Spätestens nach dem dritten Diagonalball von Rick van Drongelen konnte Dresdens Abwehr dieses Mittel leicht ausrechnen. Wirklich vor das Tor gelangte Hamburg nur bei Hunts seltenen Ausflügen auf den Flügel. In diesen Situationen konnten sie die Lücken hinter Dresdens aufrückenden Außenverteidiger anvisieren.

Die Flügelangriffe der Gastgeber entfachten ungleich mehr Wucht. Nach Ballgewinnen starteten ihre Flügelspieler sofort in Richtung Flügel. Die Rolle der Hamburger Außenverteidiger war in zweierlei Hinsicht ein Problem: Um Breite im Angriffsspiel zu geben standen sie zu tief, um Dresdner Konter über die Flügel zu verhindern zu hoch. Bis zur Pause hatte Dresden die besseren Chancen.

Kleinere Umstellungen nach der Pause

In der Halbzeitpause wechselte Titz Rechtsaußen Hwang Hee-chan ein, Narey ging auf Linksaußen. Dies entschärfte zwar nicht die Probleme, die Hamburg mit dem eigenen System hatte. Allerdings passte Hwangs Zug zum Tor besser in die einrückende Flügelrolle als der eher Dribbling-orientierte Stil von Vagnoman. Tatsächlich konnte Hwang einige der langen Flügelwechsel erlaufen.

Dass der HSV nun öfter in die gegnerische Hälfte kam, lag vor allem an den Dresdnern. Sie bauten ihr 5-4-1-System fünf bis zehn Meter weiter in der eigenen Hälfte auf. Gerade auf den Außen agierten sie ungleich handzahmer als vor der Pause. Hamburgs Außenverteidiger bekamen mehr Möglichkeiten, den Ball anzunehmen und weiterzuverarbeiten. Dadurch, dass Dresden Bälle nun nur noch weit in der eigenen Hälfte eroberte, vergrößerten sich auch die Wege im Konter.

Tatsächlich fällt nach fünf Spieltagen ein großer Vorteil des Hamburger Systems ins Gewicht: Die Gegner müssen in der Defensive viel Aufwand betreiben, um Hamburger Pässe ins Mittelfeld und von dort ins letzte Drittel zu verhindern. Bislang konnte noch kein Gegner diesen Aufwand über neunzig Minuten durchhalten. Auch in diesem Spiel war der HSV in der zweiten Halbzeit präsent, sobald sie Räume bekamen. Mit der Einwechslung von Orel Mangala (56., für Hunt) stärkte Titz das Mittelfeld noch einmal. Mangala und Moritz boten sich etwas tiefer an.

Nach dem Hamburger Führungstreffer durch Hwang (68.) mobilisierte Dresden noch einmal alle Kräfte. Walpurgis löste die Doppelsechs auf und wechselte einen Zehner ein. Hamburg fehlte zeitweise die Kompaktheit im defensiven 4-2-3-1-System, um Dresdens wuchtige Angriffe zu verteidigen. Titz stabilisierte die Defensive, indem er kurz vor Schluss Léo Lacroix einwechselte und damit auf eine Fünferkette umstellte. Der HSV hatte nun keine Probleme mehr, die wütenden langen Bälle der Gastgeber zu klären.

Fazit

Wie schon nach dem 3:2-Sieg über Heidenheim fällt das Fazit nach dem 1:0-Erfolg gegen Dynamo Dresden zwiespältig auf. Noch greifen nicht alle Mechanismen innerhalb Titz' System, zu selten gelangt der HSV aus dem Spielaufbau in die entscheidenden Räume auf dem Flügel oder vor der gegnerischen Abwehr. Dass sie nach fünf Spieltagen Tabellenführer sind, hängt auch eng mit der Unfähigkeit der Gegner zusammen, Hamburgs schwache Konterabsicherung zu bestrafen.

Positiv hingegen ist die hohe taktische Flexibilität, die Titz an den Tag legt. Erneut hat ein Einwechselspieler dem HSV drei Punkte beschert. So kann der HSV aktuell stets einen Gang höher schalten, sobald der Gegner durch das intensive Verteidigen der Hamburger Angriffsbemühungen müde wird. Sieben der zehn Saisontreffer gelangen dem HSV nach der Pause. Auch der kommende Gegner Jahn Regensburg spielt einen intensiven Fußball. Gut möglich, dass der HSV seine starke Bilanz in der zweiten Halbzeit am Wochenende weiter ausbaut.

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