Marcus Scholz

13. März 2018

Das ist ein Brett – diesen Satz haben nicht wenige Trainer beim HSV gesagt und damit versucht aufzuzeigen, für welch große Nummer sie ihren neuen Arbeitgeber halten. Und plötzlich kommt ein Trainer an, über dessen erste Einheiten die Spieler sagen werden: „Das ist mal ein Brett“. Denn der neue HSV-Cheftrainer krempelt mächtig um. Fünf U21-Spieler nahm Titz heute mit ins Training und hatte so inklusive der vier zunächst separat trainierenden Torhüter 29 Feldspieler auf dem Platz. „Mir ist wichtig, dass der Spieler die Chance hat sich zu empfehlen“, so Titz anschließend, „aber wir wissen auch, dass wir die Kadergröße reduzieren müssen. Und das werden wir bis zum Ende der Woche auch machen.“ Dann werden die Spieler, die am Sonnabend nicht im Kader sind, parallel zu den ersten 18 trainieren.

Aber zurück zu Titz’ ersten Tag als Bundesligatrainer. Um 7.30 Uhr begann dieser für den ehemaligen U21-Trainer, der den kompletten Mannschaftsstab inklusive der Presseabteilung zusammenrief. Tagesabläufe abstimmen, Verantwortungen zuteilen. Titz ist ein akribischer Typ, der seine Vorstellungen bis ins Detail umzusetzen versucht. Immer. Glaubt man den Spielern der U21, so ist in deren Kabinentrakt keine freie Fläche mehr an der Kabinenwand, weil überall Taktikschemata hängen. Titz gilt als sehr ausdauernder Fußballlehrer – wobei die Betonung auf „Lehrer“ liegt. Denn Titz entwickelt Spieler und Spielsysteme mit eben jenen.

Womit wir zur großen Gefahr kommen, die ich auf den HSV zukommen sehe: die typische Ungeduld. Im Jugendbereich und der U21 hatte Titz jeweils lange Vorbereitungsphasen und hat zudem die Kader so zusammengestellt, dass er sein System ausreichend einstudieren konnte. Jetzt hat er gerade einmal vier Tage Zeit und muss mit einem Kader arbeiten, der schon zwei Bundesligatrainer verschlissen hat. „Wir werden anders spielen, das steht fest. Wir wollen Tore schießen, dann müssen wir auch in die Räume kommen, um Chancen zu kreieren“, so der Trainer, der bei seiner Vorstellung einen sehr gut vorbereiteten Eindruck machte.

Dennoch war schon am Trainingsrand von Kollegen und anderen Zuschauern die Skepsis herauszuhören, die ich als die größte Gefahr sehe. „Wie kann man mit dem Spielermaterial denn den Fußball spielen wollen?“ hieß es immer wieder. Und zugegeben, es sah auch häufiger mehr gewollt als gekonnt aus, was die Profis da fabrizierten. Von hinten heraus das Spiel gestalten mit Papadopoulos, van Drongelen, Mathenia und Co.? Das kann ja nur schiefgehen, hieß es. Und trotzdem bestand Titz darauf, es zu probieren.

Und Titz wird auch weiter darauf bestehen, wie es den Anschein macht. Zumindest war er bislang für gerade diese Nachhaltigkeit bekannt – und geschätzt. Sein Offensivspiel, bei dem schon der Torwart in den Aufbau mit einbezogen wird, sein Gegenpressing nach Ballverlust und vor allem die hohe Ballsicherheit sowie der daraus resultierende Ballbesitz sind Kennzeichen seines Spielstils. Und den will er auch im Profibereich einpflegen. Dass das nicht in diesen paar Tagen komplett funktionieren kann, weiß er. Er sagt es auch, wie Ihr im Video hören könnt. Andererseits befürchte ich, dass er damit ein unberechenbares Risiko eingeht. Einen Abstieg zu überstehen, das ist schwer vorstellbar bei den schnell umschwenkenden Stimmungslagen. Und das ist unabhängig vom Grad der Entwicklung. Solange es nicht gut genug ist, um Spiele zu gewinnen, reicht es nicht. Geduld zählt beim HSV bis heute nicht zu den Grundzügen der Führungsebene.

Neun Wochen und acht Spiele sind es noch bis zum Saisonende. Der Abstieg ist bei sieben Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz sehr wahrscheinlich. Und jetzt kommt da ein Trainer um die Ecke, der bei seiner ersten Station als Bundesligatrainer mit dem spielerisch kränkelnden HSV plötzlich spielerisch hochwertigen Offensivfußball spielen will.

Geht das?

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Es ist tatsächlich ein unüberschaubar großes Risiko. Allerdings halte ich den Moment für mehr als geeignet, um hier auch sportlich den Umbruch einzuleiten. Titz steht für seine Konsequenz, dominanten Fußball spielen zu lassen. Ich hoffe einfach darauf, dass er sich am Ende tatsächlich so durchsetzt, wie er es bislang bei der U17 und der U21 geschafft hat.

„Ich war am Anfang überrascht“, gibt Bastian Reinhardt zu, der vor zwei Jahren als Cotrainer von Titz begann, „und musste dann schnell erkennen, dass Christian einen richtig guten Plan hat. Und den hat er konsequent durchgezogen und damit Erfolg gehabt.“ Hoffen wir einfach mal, dass Titz das auch auf Bundesliga-, also auf Profiebene schafft. In den Trainingseinheiten unterbrach er viel, um seine Anweisungen durchzugeben. Er wiederholte Laufwege noch und nöcher, bis sie saßen. Und er brachte mit sechs weiteren U21-Spielern (Steinmann, Gouaida, Kwarteng, Seo, Ferati, Drawz) neuen Schwung ins Training. Es ist angenehm zu sehen, wie viel Elan Titz an den Tag legt. Denn sehr viel mehr kann man kurzfristig auch nicht erwarten.

Oder besser: Man sollte nicht viel mehr erwarten, wenn man nicht wieder enttäuscht werden will. Titz’ erste Auftritte heute auf sowie neben dem Platz waren auf jeden Fall ein guter Anfang. Aber seht und hört selbst:

 

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird wieder um 10 und um 15 Uhr trainiert. Bis dahin!

Scholle

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