Marcus Scholz

5. Juni 2020

Das erste Klingeln war nicht einmal beendet, da schlug mir schon eine Frage entgegen. Dabei hatte ich eigentlich vor, meinerseits Fragen beantwortet zu bekommen. „Was wollt Ihr eigentlich alle im Moment?“, wurde ich gefragt. Und ich wusste im ersten Moment nichts Besseres zu antworten als: „Dir ein paar Frage stellen“. Nach einer kurzen Atempause kam dann glücklicherweise ein Lachen durch den Hörer, gefolgt von einem ehrlich klingenden „Okay, dann los!“. Eine Aufforderung, die ich mir nicht zweimal sagen ließ.

Immerhin war es auch schon spät geworden und dieser Blog sollte Euch ja noch bis spätestens 19 Uhr online erreichen. Und zwar mit allen Antworten von Josha Vagnoman. Denn der junge HSV-Profi ist aktuell nicht nur für mich einer der interessantesten Spieler beim HSV. Zurückgekehrt aus einer halbjährigen Verletzungspause hat Vagnoman sich seinen Stammplatz auf Anhieb erobert (zurückgeholt) und zählt aktuell zu den stabilen Größen im Team. Wobei ich das „aktuell“ deshalb betone, weil echte Konstanz erst nach mehreren Monaten wirklich festzustellen ist.

Vagnoman macht sich zu Verkaufskandidat Nr. 1

Fraglich ist hierbei allerdings, und damit komme ich zuerst einmal zum Interesse von außen, ob Vagnoman diese Zeit beim HSV überhaupt bekommen wird. Denn trotz der vielen Komplimente seitens seines Trainers Dieter Hecking ist die Wahrscheinlichkeit dahingehend eher sehr gering. Ob er sich selbst schon Gedanken macht? „Das spielt alles überhaupt keine Rolle für mich“, sagt Vagnoman, als ich ihn darauf anspreche. Er will mit anderen Themen als dem nächsten Spiel gegen Kiel und dem möglichen Aufstieg nichts zu tun haben. Über Olympia habe er zwar noch mal einen Satz verloren (heute im Abendblatt), sagt Vagnoman, mehr sei jetzt aber wirklich nicht drin.

Kein Wort also über die Interessenten aus der ersten Bundesliga, aus England und aus Italien. Acht Millionen Euro waren für den jungen Rechtsverteidiger schon geboten worden – zu wenig für den HSV. Statt Vagnoman zu verkaufen wurde der Vertrag verlängert. Vorzeitig von 2021 bis 2024. Ein schlauer Schachzug seitens der HSV-Verantwortlichen, die ihrerseits darauf spekulieren, dass sich der Marktwert von Vagnoman weiter vervielfacht, zumal ein Abgang Vagnomans alles andere als auszuschließen ist. Zumindest für den Fall, dass der HSV nicht aufsteigt, gilt das als nahezu beschlossen, wie ich erfahren habe. Interessenten soll es nach wie vor aus den oben genannten Ligen geben. Dementsprechend dürfte jedes weitere Spiel Vagnomans auf dem aktuell starken Niveau seinen Preis ebenso steigern wie die Wahrscheinlichkeit, dass der HSV ihn im Sommer verkaufen kann/will/wird. Dabei will er gar nicht weg. Im Gegenteil.

 

Wenn man mit Vagnoman spricht, muss man ihn in der Regel eher motivieren, mal ein Wort oder einen Satz ausführlicher zu antworten als bei ihm üblich. Geht es aber um den HSV, fällt es dem U21-Nationalspieler nicht schwer. „Der HSV ist mein Verein“, so die simple Erklärung eines jungen Mannes, den in den letzten Jahren alle immer wieder unterschätzt haben. In der Jugend war er im Gegensatz zu seinen meisten Mannschaftskameraden lange ohne Berater unterwegs. Dafür war sein Vater Karaboue stets an seiner Seite und übernahm diese Rolle – durchaus fürsorglicher und weniger auf den Profit achtend.

Und das hat Josha Mamadou Karaboue Vagnoman sichtlich gutgetan. Der gerade mal 19-jährige Profi ist bodenständig. Er ist eh ruhig. Aber Rumspinnen ist nicht seins. Dafür sorgt auch Papa Karaboue, der bei jeder Trainingseinheit und jedem Spiel dabei ist. „Mein Vater ist mein erster Kritiker – und auch mein härtester“, sagt Vagnoman, der das Verhältnis zu seinem Vater als „so eng wie nur irgendwie möglich“ bezeichnet. Er sei Kritiker, Berater, Manager – aber am allermeisten sein Vater, so Vagnoman in einem herrlich herzlich formulierten Satz, den ich leider nicht mehr komplett zusammenbekomme. Ich will ihn aber wenigstens  beschreiben, denn er war so bedingungslos vertrauend voller Bewunderung und Liebe.

Vagnoman erinnert an den jungen Jerome Boateng

Ich muss ehrlich zugeben: So sehr ich meinen Vater auch liebe (und das tue ich!!), ihn jeden Tag und überall dabei zu haben wäre mir wahrscheinlich auch (oder gerade?) mit 19 Lenzen irgendwann zu viel geworden. Vagnoman sieht das anders. Er freut sich, seine größte Freude mit seinem Vater zu teilen. Und: Er freut sich über jeden Tag darüber auf dem Platz Fußball spielen zu dürfen, wie er sagt. Und er hat große Ziele. Mit dem HSV natürlich, wie er betont. „Fünf Spiele lang wird nichts anderes zählen als das nächste Spiel. Kiel am Montag wird schon wieder eine schwere Aufgabe“, weiß Vagnoman, der mich in seiner ganzen Art, seinem persönlichen wie sportlichen Auftreten, stark an den jungen Jerome Boateng am Anfang seiner Karriere beim HSV erinnert.

 

Auch Boateng wurde damals ob seiner schmallippigen Art oft ein wenig unterschätzt oder belächelt. Intellektuell trauten ihm die wenigsten zu, was er heute geschäftlich auf die Beine gestellt hat, und sportlich brachte auch Boateng schon in jüngsten Jahren diese rohe Naturgewalt mit, die manchmal auf dem Platz noch etwas unsortiert wirkt – bei der man aber das Gefühl hat, dass sie richtig dosiert zu einer Weltkarriere führen kann.

Stärker als vor der langen Verletzungspause

Zumindest hat es bei Boateng dazu gereicht. Um mich aber bei ihm nicht lächerlich zu machen – er würde darauf eh nicht antworten – lasse ich diesen zweifellos schmeichelnden Vergleich im Gespräch mit Vagnoman lieber weg. Stattdessen will ich von Vagnoman wissen, bei wie viel Prozent er sich denn in seiner Entwicklung sieht. „Noch lange nicht bei 100 Prozent“, antwortet die Nummer 27 des HSV, „und so lange ich die nicht habe, muss ich auch darüber nicht nachdenken. Da bringt Trainieren mit Sicherheit mehr als viele lange Interviews.“ Ein Wink mit dem Zaunpfahl für mich?

Egal. Ich brauche noch zwei, drei Antworten, um zu verstehen, was Vagnoman aktuell so gut funktionieren lässt. Und ich bekomme sie auch. Seine lange Verletztenzeit habe er im Gym und im Rehabereich des HSV verbracht. Wer genau hinsieht, der erkennt auch, dass der Oberkörper deutlich voluminöser als vor seiner Verletzung ist. „Ich hatte das volle Trainingsprogramm, die bestmöglichen Trainingsbedingungen“, sagt Vagnoman, der heute deutlich frischer wirkt als vor dem gebrochenen Fuß aus dem Pokalspiel gegen den VfB Stuttgart.

 

Im ersten Spiel nach der Coronapause gegen Fürth hatte er schon von Trainer Hecking das erste Sonderlob bekommen. Seither wiederholt sich das Woche für Woche. „Echt?“, so die Nachfrage Vagnomans. Er selbst lese nicht zu viel Zeitung. Es würde auch nur verrückt machen. Und das vermeidet Vagnoman erfolgreich. Vagnoman ist in etwa so einzustufen, wie es Jeremy Dudziak heute in einem kurzweiligen Interview bei meinem Kollegen Simon Braasch (Mopo) zum Ausdruck gebracht hat: Cool. Er denkt nicht zu viel nach. Weder über die ferne Zukunft, noch über das Hier und Jetzt. „Ich mache das, was ich am liebsten mache – Fußball spielen“, so Vagnoman, „und das versuche ich so gut zu machen, wie ich es kann. Immer. Jeden Tag. Das ist wirklich nicht allzu kompliziert.“

Zu viel Druck? Nicht für Vagnoman

Ob er denn den so oft zitierten großen Druck nicht verspüre, der in Hamburg immer wieder auf den Schultern der Spieler lastet, will ich zum Abschluss noch von ihm wissen? „Nicht mehr als sonst“, antwortet Vagnoman, ehe er eine recht schlaue Aussage folgen lässt, wie ich finde: „Wenn ich irgendwann nicht mehr das Beste erreichen will, höre ich lieber auf. Dann fehlt mir etwas. Das Beste erreichen zu wollen, nennen die einen vielleicht Druck.  Aber das gehört für mich einfach dazu. Ich will immer gewinnen. Aktuell gerade gegen Kiel. Von daher habe ich ehrlich gesagt sogar gern Druck.“

Denn sicher ist: Vagnoman würde nur zu gern selbst dafür sorgen, dass er weiter beim HSV bleiben kann. Vertraglich hat er mit seiner frühzeitigen Verlängerung schon einmal alles getan, was zu tun ist. Wenn jetzt noch der Aufstieg gelingt, wäre der HSV auch nicht in der Not, ihn teuer verkaufen zu müssen. Und das wäre nicht nur ihm zu wünschen. Denn bei einem bin ich mir ganz sicher: Diese Mischung aus Unbekümmertheit und maximaler Motivation mit körperlichem und fußballerisch außergewöhnlichem Potenzial bietet Platz für Träume, dass der HSV hier tatsächlich einen Topspieler aus den eigenen Reihen entwickelt. Und so stark Vagnoman jetzt auch schon in der Zweiten Liga auftreten mag, er ist noch lange nicht an seinem Leistungslimit. Er fängt gerade erst an. Wetten?

In diesem Sinne, bis morgen!

Scholle

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