Tobias Escher

18. Mai 2020

Über zwei Monate war es her, seit der Hamburger SV zum letzten Mal ein Pflichtspiel bestritten hatte. Der Anpfiff zum Auswärtsspiel bei Greuther Fürth beendete die erzwungene Saisonpause. Wer nun erwartet hatte, nach dieser langen Pause eine gänzlich neue HSV-Mannschaft auf dem Rasen zu sehen, wurde enttäuscht. Auch nach der Corona-Pause zeichnet den HSV Kontinuität aus – im Guten wie im Schlechten.

Vier Änderungen nahm Trainer Dieter Hecking vor im Vergleich zum 2:1-Sieg gegen Regensburg. Was in normalen Zeiten viel klingt, wird durch die lange Pause relativiert. Man ist fast sogar geneigt zu sagen, dass Heckings Aufstellung an diesem Samstag weit weniger experimentell war als jene Anfangsformation aus dem März. Während damals Christoph Moritz und Louis Schaub das Mittelfeld-Duo vor Adrian Fein bildeten, liefen diesmal die „Stammkräfte“ Jeremy Dudziak und Aaron Hunt auf diesen Positionen auf. Bakary Jatta und Jairo Samperio bildeten eine klassische Flügelzange, während Joel Pohjanpalo die Sturmspitze gab. Der HSV trat entsprechend in einem 4-3-3 auf. Hecking setzte damit auf seine in dieser Saison bevorzugte Variante.

Der HSV passiver als gewohnt

Ungewohnt hingegen war, wie passiv der HSV das Spiel begann. Ein hohes Angriffspressing unterließ der HSV gänzlich. Die Fürther durften das Spiel aus der eigenen Hälfte aufbauen. Erst am Mittelkreis begannen die Hamburger zu stören. Sie waren vor allem auf eine hohe Kompaktheit zwischen Abwehr und Mittelfeld bedacht: Die Vierer-Abwehrkette schob weit nach vorne, sodass der Abstand zur Fünfer-Mittelfeldkette geringblieb. Im leeren Stadion hörte man Trainer Hecking von der Seitenlinie immer wieder brüllen: „Rausschieben!“

Keine Räume entstehen zu lassen war das Motto der ersten Minuten. Fürth nahm die undankbare Aufgabe an, trotz fehlendem Mannschaftstraining Ball und Gegner laufen zu lassen. Die Fürther liefen in einer 4-3-3-Formation auf, wobei ihre Außenstürmer weit ins Zentrum einrückten. Raumgewinn sollte über die Außenverteidiger erfolgen. Diese schalteten sich häufig in die Offensive ein. Bakary Jatta und Jairo Samperio waren gezwungen, viel Defensivarbeit zu verrichten.

Taktische Aufstellung Greuther Fürth - HSV
Taktische Aufstellung Greuther Fürth - HSV

 

Der HSV wiederum schaffte es in den ersten Minuten selten, den Ball länger in den eigenen Reihen laufen zu lassen. So hatte Fürth in den ersten 25 Minuten knapp 60% Ballbesitz zu verbuchen; und das obwohl der HSV eigentlich nach dem VfB Stuttgart durchschnittlich den höchsten Ballbesitz der Zweiten Liga hat. Aber Heckings Akteure wollten sich nach der langen Pause nicht zu früh verausgaben. Das Problem: Mit einer sehenswerten Verlagerung auf den linken Flügel und einer punktgenauen Flanke machte Fürth aus der ersten Chance das erste Tor (35.).

A-Elf mit A-Leistung

Fortan waren es die Fürther, die sich in einer Mischung aus 4-3-3 und 4-2-3-1 weiter in die eigene Hälfte zurückzogen. Sie verzichteten dabei auf eine Manndeckung auf Adrian Fein. Viele Gegner hatten diese Variante zuletzt gewählt, um Hamburgs Sechser so aus dem Spiel zu nehmen. Stattdessen nahmen die Fürther Dudziak und Hunt ins Visier. Das funktionierte: Fein blieb in seinen Aktionen ungewohnt ungenau, Dudziak und Hunt lange Zeit unter dem Radar.

Dennoch konnte der HSV den Rückstand schnell ausgleichen. Sie kamen nun vor allem über die Flügel. Gegen Fürths eng einrückende Abwehrkette fanden Jatta und Samperio auf dem Flügel Raum, sie konnten ins Eins-gegen-Eins gehen. Tim Leibold und Josha Vagnoman rückten häufiger mit nach vorne, wodurch die Angriffskraft über die Flügel noch einmal verstärkt wurde. So fiel auch der Hamburger Ausgleichstreffer nach einer Flanke (48.).

Wirklich dominant traten die Gäste aber erst nach der Pause auf. Mit der Einwechslung von Sonny Kittel (für Samperio) kehrte Hecking zur Erfolgsvariante aus der ersten Saisonhälfte zurück. Kittel übernahm den Posten auf Linksaußen, Jatta rückte auf die rechte Seite. Der HSV fokussierte nun deutlich die linke Angriffsseite. Der einrückende Kittel, Leibold sowie der offensiv auftretende Dudziak bildeten hier ein Dreieck, das Fürth nicht in den Griff bekam. Auch im Pressing traten die Hamburger nun aggressiver auf. Sie rückten häufiger im 4-3-3 nach vorne und störten Fürth am eigenen Strafraum. Nun waren es die Hamburger, die in der ersten halben Stunde nach der Pause 55% Ballbesitz hatten. Dudziak erzielte den verdienten Führungstreffer (48.), auch danach war der HSV das spielbestimmende Team.

Schläfrigkeit in der Schlussphase

Während Heckings Umstellungen aufgingen, tat sich sein Gegenüber Stefan Leitl schwer. Sein Versuch, Branimir Hrgota nach der Pause in den Sturm zu schicken, scheiterte genauso wie die Versetzung von Stürmer Havard Nielsen ins Mittelfeld. Bis zur 75. Minute kam Fürth selten an den Ball und konnte ihn noch seltener halten.

Dass Leitl mit Hans Nunoo Sarpei (75., für Tillmann) einen weiteren Sechser brachte, schien auf den ersten Blick kontraproduktiv. Sarpei reihte sich neben Paul Seguin ein und agierte merklich defensiver als Timothy Tillmann. Doch Sarpeis neue Rolle als Spielgestalter vor der Abwehr hatte einen Nebeneffekt: Die Außenverteidiger konnten im nun entstehenden 4-2-4 öfter nach vorne gehen. Mit zwei Sechsern und zwei Innenverteidigern standen die Fürther weiterhin gut abgesichert. Die wenigen Konter, die der HSV hatte, vergab er teils kläglich.

 

Dass Fürth am Ende zum Ausgleich kommen konnte, war trotz der taktischen Umstellungen nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Ja, der HSV hatte beste Chancen vergeben, und ja, in der Schlussviertelstunde reihten sie sich zu oft im 4-5-1 am eigenen Strafraum auf, ohne den Gegner zu stören. Doch hätte der HSV die Ecke in der Nachspielzeit konsequenter verteidigt, niemand würde von einem unverdienten Sieg reden. Somit zeigte sich kurz vor Schluss eine weitere Konstante der Hamburger Saison: Leichtfertig verschenkten sie Punkte, obwohl sie über weite Strecken des Spiels die dominante Mannschaft waren. Alles beim Alten also beim Comeback des HSV.

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