Simon Rösel

2. Oktober 2020

Im Fußball passiert oft so viel, dass ich am Ende einer Woche schon fast ihren Anfang vergessen habe. Also nicht aktiv vergessen. Ich erinnere mich schon noch an den Montag und das Spiel in Paderborn, in dem mein Herz mehrmals stillstand. Erst nach dem erlösenden 4:3 und dem Schlusspfiff war ich mir halbwegs sicher, dass es weiter schlagen würde. Aber es ist doch so, dass manches durch die täglichen Neuigkeiten in den Hintergrund rückt, was eben noch wichtig schien. Weil so viel passiert ist, möchte ich noch einmal die Woche mit rekapitulieren. Wobei die spannendsten Dinge dann doch am Freitag passiert sind. Damit meine ich neben den Ulreich-Meldungen auch ein Interview, das Sportvorstand Jonas Boldt der FAZ gegeben hat.

Die Neue Nummer 1

Ich gebe es zu. Ich hatte den Text für heute schon fast fertig, als sich auf einmal die Meldungen zu Sven Ulreich mehrten. In der heutigen Pressekonferenz betonte Daniel Thioune zwar mehrfach, die Tinte unter dem Vertrag sei noch nicht trocken, aber er sagte auch, dass sie den Transfer sehr gerne machen wollen. Die letzten Tage befand sich Thioune noch in der Zwickmühle, dass er Heuer-Fernandes zwar das Vertrauen aussprach, es aber auch mit dem Verweis auf den Transfermarkt immer wieder einschränkte. Mit einem längeren Text zu Ulreich warte ich daher auch noch, bis die zitierte Tinte unter dem Vertrag trocken ist. Und am Sonntag wird in jedem Fall Heuer-Fernandes im Tor stehen.

 

Nach der Länderspielpause ist allerdings Ulreich als Nummer Eins eingeplant. Allein sein Jahresgehalt, sein Ansehen und seine bisherigen Verdienste machen diese Entscheidung absolut zwingend. Mehrere Informationen kursieren darüber, dass der FC Bayern bis 2021 beim Gehalt aushilft. Aber auch 2 Mio. Ablöse kassiert. Hier handelt es sich vermutlich um einen buchhalterischen Trick, mit dem der HSV die Gehaltsobergrenze von 600.000 Euro halten kann. Denn sonst hätten die Bayern ihn auch ablösefrei ziehen lassen. Tatsächlich spricht auch der Ulreich-Transfer wiederum dafür, dass der HSV in diesem Jahr unbedingt aufsteigen will. Und muss. Denn ab 2021 helfen die Bayern nicht mehr beim kolportierten 3. Mio. die Ulreich im Jahr bekommen wird.

Wer alles nicht kommt

Er sei weit davon entfernt, den Kader als final zu betrachten, sagte Daniel Thioune vor dem Paderborn-Spiel bei BILD. Und so manch einer von uns wollte ihm da gerne zustimmen. Bis zu den konkreteren Ulreich-Meldungen gab es viele Gerüchte und die Bestätigung des Transfers von Maximilian Rohr zur U21. Vor allem wissen wir, wer erstmal nicht zum HSV wechselt. Die Transfers von Philipp Hofmann und Lee Jae-Sung sind vom Tisch. Lee wäre natürlich ein toller Spieler gewesen und hätte sich wunderbar nach Pohjanpalo in die Reihe der Spieler eingereiht, die zum HSV wechseln, nachdem sie ihn einige Jahre zuvor ordentlich zerschossen haben. Hofmann wäre als Terodde-Ersatz kurz- und langfristig eingeplant gewesen, verbunden mit der Hoffnung, dass er diese Rolle besser ausfüllen kann als Lukas Hinterseer. Doch auch dieser Transfer hat sich erledigt. Hinterseer bleibt beim HSV und Hofmann ist zu teuer. Also hoffen wir vor allem, dass Terodde die Saison über fit bleibt und wir uns weiter an ihm erfreuen können. Ich habe lange keinen Spieler mehr beim HSV gesehen, der so konsequent den Abschluss sucht. Und ihn im Gegensatz zu einem Lasogga auch zuverlässig findet, statt den Ball mit seinem Eisenfuß sonst wo hin zu bolzen.

Tatsächlich sehe ich noch eine andere Stelle im Kader, die potenziell zu dünn besetzt ist, wie das Spiel gegen Paderborn gezeigt. Und zwar die Doppelsechs. Selbst, wenn Gjasula in den künftigen Spielen stabiler auftritt als gegen Paderborn - was wir alle hoffen - und Onana von Leistungsschwankungen verschont bleibt (was unwahrscheinlich ist), gibt es hier mit Aaron Hunt nur eine zuverlässige Alternative. David Kinsombi wurde in den letzten Spielen von Thioune eher als Dudziak-Ersatz eingesetzt und hat seine Stärken auch eher weiter vorne auf dem Platz – im Angriff und im Pressing. Gideon Jung soll noch abgegeben werden und hat auch im sechsten HSV-Jahr seine Hibbeligkeit und Unruhe auf dem Platz nicht abgelegt. Jonas David ist jung und eher für die Innenverteidigung geeignet. Vielleicht würde es sich lohnen nochmal bei Adrian Fein anzufragen, der bei den Bayern im Supercup wieder 90 Minuten auf der Bank saß. Der Kicker schrieb am Donnerstag, dass Fein bei Flick ohnehin nicht hoch im Kurs stehe. Und die Leitung nach München funktioniert gerade ja ganz gut.

Natürlich sind das alles nur noch mehr Spekulationen. Aber dieses Spekulanten-Ei hat der Verein sich selbst ins Nest gelegt, indem Thioune sagte, dass der Kader noch nicht final sei. Noch bleiben 3 Tage Zeit, um dieser Ankündigung auch die entsprechenden Taten folgen zu lassen.

 

Hamburger Nachthimmel

Keine Gerüchte gibt es dagegen mehr um das neue Auswärtstrikot. Nachdem es in Fifa 21 bereits – absichtlich oder unabsichtlich – zu sehen war, hat der Verein es nun auch offiziell präsentiert. Und das Trikot ist so toll und durchdacht, wie ich es mir öfters auch vom Spielerkader wünschen würde. Andersherum wäre es mir lieber, aber ich freue mich über das Trikot. Das Design ist an den Hamburger Nachthimmel angelehnt. Und vor allem gefällt mir der Gedanke, dass jedes Trikot durch die unterschiedliche Musterung ein Unikat sein soll. Vielleicht ist das ja der clevere Marketinggedanke, der den pandemiebedingten Einnahmeausfällen ein bisschen entgegenwirken kann.

Durch die Telekom als „exklusiver Techonologie- und Telekommunikationspartner“ wie es in der Pressemitteilung hieß, ist in die Finanzen noch etwas mehr Bewegung gekommen. Den Stadionnamen hat der Verein allerdings noch nicht verkauft. Bei diesem Thema bin ich wirklich zwiegespalten. Erst mal freue ich mich, dass der HSV weiter im Volksparkstadion und nicht in der Telekom- oder einer ähnlichen Arena spielt. Allerdings ist der Verkauf des Namens inzwischen so normal geworden, dass es fast ein Wettbewerbsnachteil ist, wenn ein Verein seinen Namen nicht verkauft. Doch der Geländeverkauf an die Stadt zum Zwecke der Stadionsanierung ist im Gegenzug ein Wettbewerbsvorteil, den sonst kein Zweitligist hat. Sicher hätte die Stadt auch sonst ihren Beitrag zum EM-Umbau geleistet wie es auch andere Städte und Bundesländer tun. Allerdings machte die jahrelange Misswirtschaft diese Hilfe auch umso nötiger. Bobby Woods Gehaltscheck gefällt das.

Der Vorstand spricht

Passenderweise gab dann heute noch ein Interview von Jonas Boldt mit der FAZ. Da es online hinter der Bezahlschranke steht, fasse ich für euch die wichtigsten Aussagen zusammen. Boldt sagte, dass er zu Leverkusener Zeiten, wenig überraschend, vom HSV das Bild eines Chaosklubs hatte. Und dass sie sich in Leverkusen oft über den HSV gewundert hätten. Allerdings glaubt er, dass der HSV jetzt von diesem Bild nach und nach wegkommt. „Für mich ist entscheidend, dass wir als HSV einen klaren Weg aufzeigen. So können wir einen Teil des missbrauchten Vertrauens in der Fangemeinde zurückgewinnen.“ Er sagt, dass er den Verein in einem guten Zustand und nicht als „Trümmerhaufen“ übergeben wolle, wenn er irgendwann geht. Dazu gehört vor allem die gesunde Gehaltsstruktur, die er auch Corona-bedingt versucht zu implementieren. Gerade im Licht des Ulreich-Transfers wird eine Aussage vom Ende des Interviews noch mal besonders interessant. Sie hätten Anpassungen vorgenommen „und auf Transfers verzichtet, die dir vielleicht jetzt helfen, dir im Sommer auf die Füße fallen – wie definitiv beim HSV häufiger passiert ist und gemacht wurde.“ Versteht mich nicht falsch. Ich bin größtenteils ein Fan von Boldts Transfers. Aber ob sie dem Verein nicht doch im Sommer auf die Füße fallen – das können wir erst im Sommer bewerten.

Insgesamt ist in dem Interview wie mit vielen Aussagen von Boldt. Man kann ihm schwer widersprechen, aber es gibt auch wenige Momente, in denen man denkt: „Genauso ist es, gut, dass das mal jemand sagt.“ Immerhin spricht er das „missbrauchte Fanvertrauen“ an. Aber bei der Aufstiegsfrage zog er sich auf das Wort „Ambitionismus“ zurück, was denkbar nichtssagend ist. Denn was kann ein ambitionierter Zweitligist anderes wollen als den Aufstieg. Er sagte aber auch: „Der HSV ist keinem egal.“ Und hat damit eine der Stärken ausgesprochen, die unser Verein immer noch hat. Anders als eine internationale Niederlage des VfL Wolfsburg ist das, was in Hamburg passiert, nicht am nächsten Tag schon wieder vergessen. Im Guten, wie die Solidarität für Bakery Jatta gezeigt hat, wie im Schlechten, wie wir es beim erneuten Nichtaufstieg gesehen haben.

 

Trainiert wurde heute um 13.30 und um 16 Uhr fand die Pressekonferenz mit Daniel Thioune statt. Über die PK und die Vorbereitung auf das Spiel gegen Aue lest ihr dann im morgigen Blog wiederum von mir. Scholle weilt dann schon im wohlverdienten Urlaub.

Bis dahin frage ich euch: Wie seht ihr den Ulreich-Transfer? Welche potenziellen Verstärkungen seht ihr noch? Und was hat euch in dieser Woche rund um den HSV sonst noch beschäftigt?

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