Tobias Escher

17. September 2018

Vor knapp drei Wochen – ja, solange ist das Hamburger 3:0 gegen Bielefeld schon her – feierte ich an dieser Stelle mein Debüt als Rautenperle-Taktikanalyst. Damals kritisierte ich Hamburgs Aufbauspiel. Zu selten habe man das Spiel ins Mittelfeld eröffnet, zu häufig direkt den Weg ins Angriffszentrum gesucht. Eine Analyse, die Christian Titz bei seinem Besuch bei unserem Live-Talk Rautenperle.tv unterschrieb. Dass der Cheftrainer nicht nur leere Worte sprach, unterstrich seine Aufstellung im Spiel gegen Heidenheim. Doch auch die neue Variante bot einiges zum Kritisieren.

Was hat Titz verändert? Gegen Heidenheim verstärkte der Coach das Mittelfeld: Vasilije Janjicic begann auf der Sechser-Position. Halbrechts neben ihm spielte Matti Steinmann eine Mischung aus zweitem Sechser und vorstoßendem Achter. Orel Mangala tobte sich vor den Beiden als weitestgehend frei agierender Zehner aus. Unterstützung bekam das Mittelfeld-Trio durch Aaron Hunt. Dieser agierte zwar nominell in der Sturmspitze, ließ sich aber immer wieder ins Mittelfeld fallen. Die Sturmspitze besetzten Rechtsaußen Khaled Narey und Linksaußen Hee-chan Hwang. Beide starteten immer wieder hinter die gegnerische Abwehr.

Der Fokus lag also auf der Mittelfeld-Zentrale: Hier war der HSV zahlenmäßig stark besetzt. Das war auf dem Papier keine falsche Herangehensweise gegen den Außenseiter aus Heidenheim: Deren Trainer Frank Schmidt stellte seine Mannschaft in einem 4-1-4-1-System auf. Die Außenstürmer agierten dabei äußerst defensiv: Sie deckten Hamburgs Außenverteidiger eng, auch wenn diese sich weit in die gegnerische Hälfte bewegten. So entstand aus dem 4-1-4-1 faktisch ein defensives 6-3-1-System.

Sechs Spieler in der letzten Linie, nur drei im Mittelfeld: Überzahlen konnte der HSV also am ehesten im Mittelfeld erzielen, wo sie selbst mit vier Mann agierten. Genau das taten sie auch in der ersten Halbzeit: Immer wieder suchten die Verteidiger im Spielaufbau Mangala und Hunt zwischen den Linien. Die Spieleröffnung ins Mittelfeld zündete; Titz hatte also eine Schwachstelle aus dem Bielefeld-Spiel abgestellt.

Taktische Aufstellung des HSV in der ersten Halbzeit

 

Neuer Stoff für Kritik

So verbessert das Aufbauspiel war: Im neuen System tat sich eine andere Baustelle auf. Was bringt ein gelungener Pass ins Mittelfeld, wenn ich von dort nicht weiterkomme? Das lag nicht zuletzt daran, dass der HSV viele einzelne gute Laufwege zeigte, selten aber abgestimmte Angriffe über mehrere Stationen.

So muss es gerade im Mittelfeld-Zentrum stets das Ziel sein, dass ein Spieler den Ball mit Blickrichtung zum gegnerischen Tor erhält. Nur so kann er den entscheidenden Pass hinter die Abwehr durchstecken. Das funktioniert am Besten, wenn ihm ein Mitspieler den Ball ablegt – entweder ein Stürmer mit einer klassischen Ablage oder ein neben ihm postierter Mittelfeldspieler mit einer sogenannten „Seitlage“. Das geschah jedoch viel zu selten.

Praktisch nie passten die Laufwege der HSV-Spieler zueinander. Zu häufig war der Spieler am Ball im Mittelfeld von seinen Mitspielern isoliert. Dass die Idee mit Hunt als zurückfallendem Stürmer nicht aufgeht, gestand Titz schon nach einigen Minuten ein. Er beorderte Hwang ins Sturmzentrum, Hunt fungierte fortan als einrückender Linksaußen. Das Offensivspiel verbesserte sich nur unwesentlich.

Neues System nach der Pause

In der Halbzeitpause wagte Titz daher den taktischen Rundumschlag. Er krempelte mal eben die halbe Mannschaft um: Janjicic und Rick van Drongelen blieben in der Kabine, Pierre-Michel Lasogga und Christoph Moritz kamen. Mit den Wechseln stellte Titz auf ein 4-3-3-System um: Lasogga besetzte das Sturmzentrum, flankiert von Narey und Hwang, die nun die Seiten tauschten. Dahinter agierten Hunt und Moritz als klassische Achter, während Steinmann den alleinigen Sechser vor der Abwehr gab. Mangala wechselte gleich mehrere Linien nach hinten und agierte fortan als Innenverteidiger. Vom Zehner zum Verteidiger in einer Halbzeitpause – solch einen Positionswechsel habe ich in meiner Zeit als Analyst auch noch nicht erlebt.

Mit dieser Variante kehrte Titz auch zu seinem nominellen Stammsystem zurück. Dementsprechend knüpfte der HSV in der Folge stärker an die Auftritte gegen Sandhausen und Bielefeld an: Aus der Abwehr heraus bauten die Verteidiger mit Steinmann und dem aufrückenden Torhüter Julian Pollersbeck das Spiel auf, nach Pässen auf die Flügel oder Seitenverlagerungen sollte das Spiel schnell gemacht werden. Tatsächlich hatte der HSV nun etwas mehr Zug zum Tor.

Ab der 60. Minute legte Heidenheim die Schwäche des 4-3-3-Systems offen: die Hamburger Konterabsicherung. Trainer Frank Schmidt wechselte seinen Namensvetter Patrick Schmidt ein, dieser agierte fortan als zweiter Stürmer. Im neuen 4-4-2-System, das häufig zum 6-2-2 wurde, stand Heidenheim zwar im eigenen Mittelfeld noch offener – sie spielten aber auch ihre Konter wuchtiger aus. Die beiden Stürmer beschäftigten Hamburgs Innenverteidiger. Gewürzt mit Fehlpässen im zweiten Drittel passierte das, was der HSV auf alle Fälle verhindern wollte: Sie gingen in Rückstand. Heidenheim hatte sogar Chancen, das Spiel frühzeitig zu entscheiden.

Titz hatte keine Wahl: Er musste erneut umstellen. Die Achter agierten nun merklich höher, die Außenverteidiger ebenso. Heidenheim zog sich weiter und weiter zurück. Tatsächlich hatte der HSV nun offensiv seine beste Phase. Dafür sorgten die Außenverteidiger: Vor dem Ausgleichstreffer war es Santos, der hinter die Abwehr sprintete und damit die Sechser-Abwehrreihe der Heidenheimer auf dem falschen Fuß erwischte. Vor dem 2:1 stand Goteku Sakai im rechten Halbraum frei – ein cleverer Schachzug, um eine Überzahl im Mittelfeld herzustellen. Sein Pass auf den eingewechselten Jann-Fiete Arp leitete den Treffer ein. Dass Lasogga alle drei Treffer erzielte, war indes kein Zufall: Seine Präsenz im Strafraum half dem HSV, Angriffe im Zweifel auch über Flanken zu Ende spielen zu können; eine Facette, die in der ersten Halbzeit fehlte.

Taktische Aufstellung des HSV in der zweiten Halbzeit

 

Fazit

Am Ende gab es also doch noch ein Happy End mit dem 3:2-Sieg. Aus taktischer Sicht fällt das Fazit eher zwiegespalten aus. Wenn der Trainer in der Halbzeitpause die taktischen Rollen von sieben von zehn Feldspielern ändert, war das auf der einen Seite eine clevere taktische Anpassung – auf der anderen Seite ein Eingeständnis, dass das System der ersten Halbzeit nicht funktioniert hat. Indes bleibt die schwache Absicherung gegen Konter das große Fragezeichen der Hamburger. Ich bin gespannt, wie Titz dieses Problem angeht. Bereits am Dienstag gegen Dynamo Dresden hat er die Chance dazu.

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