Marcus Scholz

19. Oktober 2020

Drei Spiele, neun Punkte – es läuft gut in der Liga für HSV-Trainer Daniel Thioune, der heute auch abseits des Platzes einen Sieg einfahren konnte. Der 46-Jährige gewann den „Fußball-Spruch des Jahres“, wie die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur, die den Fußball-Kulturpreis 2020 in vier Kategorien vergeben hat, heute bekanntgab. Thioune hatte sich (damals noch als Trainer des Ligarivalen VfL Osnabrück) kritisch über jene Clubs geäußert, die im Zusammenhang mit dem Fall Bakery Jatta Einspruch gegen die Wertung ihrer Spiele gegen den HSV in der Zweiten Liga einlegten. Jatta, an dessen Identität es Zweifel gegeben hatte, war in diesen Partien zum Einsatz gekommen, die unterlegenen Klubs hofften auf Punkte am Grünen Tisch.

„Wer es nicht schafft, gegen den HSV zu punkten, sollte nicht auf dem Rücken eines Flüchtlings, der niemandem etwas getan hat, versuchen, einen Vorteil herauszuholen, sondern besser auf die eigenen sportlichen Fehler schauen“, hatte der damalige VfL-Trainer gesagt, der heute in seiner neuen Funktion als HSV-Coach bei der Pressekonferenz vor dem Nachholspiel am Mittwoch gegen den FC Erzgebirge Aue Rede und Antwort stand. Dabei musste er wie so oft vor allem personelle Fragen beantworten. „Wir werden ihn heute und morgen nicht belasten“, sagte der 46 Jahre alte Coach  beispielsweise über Mittelfeldakteur Jeremy Dudziak, der gegen Fürth an der Schulter verletzt ausgewechselt werden musste. Sein Einsatz sei zwar noch nicht ganz ausgeschlossen, es werde aber „sehr, sehr eng“.

Leibold, Vagnoman und Kinsombi fallen aus

In Tim Leibold, Josha Vagnoman und David Kinsombi standen heute zwar drei angeschlagene Profis wieder im individuellen Training auf dem Platz. Ihren Einsatz schloss Thioune dennoch aus. Sie seien erst nach der Englischen Woche wieder eine Alternative – also erst nach dem Spiel am Sonnabend gegen die Kickers aus Würzburg. Allerdings wird im Gegensatz zum Fürth-Spiel an diesem Mittwoch Stephan Ambrosius nach seiner Erkrankung wieder im Kader stehen. Eine gute Alternative zu Toni Leistner, den der DFB heute für zwei Spiele gesperrt hat. Allerdings: So einfach, wie ich es mir heute morgen noch im MorningCall gemacht hatte, ist es offenbar nicht. Ich hätte Ambrosius einfach eingesetzt, sobald er wieder fit ist. Das hatte ich heute Morgen so gesagt. Thioune indes ließ es heute noch offen. Ehrlich gesagt klang er sogar eher so, als würde er seinen Innenverteidiger nach dessen Corona-Quarantäne noch nicht von Beginn an spielen lassen wollen. „Wir müssen dabei die Krankheit bewerten. Er hatte nicht die Symptome, dass er über die Maße krank war. Er hat sich nur ein wenig geschwächt gefühlt. Wir testen jetzt seine Belastbarkeit. Und wenn es Grünes Licht von der medizinischen Abteilung gibt, dann wird er auch ein Faktor für den Kader sein. Dann wird er dabei sein.“

 

Man müsse eh alle Spieler mit in den Kader nehmen, die gesund und einsatzbereit sind, da die Auswahl nicht mehr allzu groß sei, so der HSV-Trainer. „Der HSV geht am Stock" titelten heute einige Kollegen schon. Dementsprechend wird auch Ambrosius dabei sein, behaupte ich. „Auch wenn seine Pause zehn Tage lang war, er hat in der Zeit gut gearbeitet. Sehr intensiv. Ich gehe davon aus, dass er dann auch einsatzbereit sein wird am Mittwoch“, so Thioune, der heute insbesondere die Offensive des FC Erzgebirge Aue als „sehr gefährlich“ bezeichnete. Thioune warnte dabei vor den Sachsen, die mit sieben Punkten unmittelbar hinter dem HSV auf dem dritten Platz liegen: „Wir müssen zusehen, dass wir nicht in Konter laufen.“

1000 Zuschauer dürfen gegen Aue dabei sein

Zudem sei die Abwehr der Gäste sehr stabil, lobte Thioune, ehe er die Gäste als einen gewachsenen Zweitligisten bezeichnete. „Wir müssen am Mittwoch schauen, was uns der Gegner anbietet.“ Dabei würden die Vorbereitungen vor dem ersten Spiel noch einmal überdacht und teilweise neue Matchpläne geschmiedet, verriet Thioune. Er habe er im gestrigen Spiel der Auer gegen Heidenheim durchaus noch ein paar Aspekte entdecken können, die er vor der ersten Ansetzung der Partie noch nicht hatte. „Das Spiel gibt uns neue Erkenntnisse. Da sind schon ein paar mehr Ideen gekommen. Die Standards waren schon sehr stark, da müssen wir besonders gut verteidigen. Auch das Personal war vor 14 Tagen noch ein anderes. Ein paar Veränderungen wird es geben“, so Thioune, der damit das eigene Team meinte und andeutete, dass es auch diesmal positionsfremde Einsätze geben werde. Zuletzt hatte Moritz Heyer als Linksverteidiger gespielt – heute sprach Thioune von einer „dynamischen Entwicklung“ gerade in der HSV-Defensive.

Ursprünglich hätte die Partie des dritten Spieltags ja schon am 4. Oktober stattfinden sollen, ehe die Begegnung wegen positiver Corona-Testungen bei den Auern abgesagt worden. Da die in der Corona-Pandemie wichtige Warnstufe von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen heute überschritten wurde - die Gesundheitsbehörde gab den Wert mit 50,6 an – , dürfen am Mittwoch erneut nur 1000 Zuschauer ins Stadion. Wobei, was heißt hier „nur“? Selbst diese 1000 HSV-Fans, die heute Abend per Email vom HSV angeschrieben wurden, waren bis zur Meldung der Gesundheitsbehörde heute Abend offen. 

 

Aber nicht nur in der Abwehr wird sich der HSV-Coach etwas einfallen lassen müssen. Auch das Mittelfeld funktionierte gegen Fürth nur bedingt. Defensiv war man in der ersten Hälfte vor allem im Zentrum zu offen.  In der zweiten Hälfte wurde das zwar besser, dafür ging im selben Moment die eh schon eher geringe Kreativität und Offensivkraft verloren. Ein Schritt auf der Entwicklungsleiter, den Thioune durchaus eingeplant habe, wie er heute sagte. „Wir haben spielerisch sicher noch Luft nach oben“, so der Trainer gelassen, ehe er heute vor allem die vielen Fehlpässe im Spielaufbau von hinten heraus tadelte. „Man kann auch in Unterzahl besser Fußball spielen“, sagte Thioune, der sich mehr ausgespielte Konter gewünscht hätte. „Insgesamt war es von der Spieleröffnung und von unserem Positionsspiel nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte, weil wir die Positionen nicht so besetzt hatten.“ Aber: Der HSV-Trainer sagte auch, dass er schon ein paar Ideen habe, wie man das personell und spielerisch verändern könne, um gegen Aue besser auszusehen.

Überhaupt keine Rolle spielte bei der heutigen Pressekonferenz übrigens das Thema Vertragsverlängerung von Jonas Boldt, das ich im Urlaub mitverfolgt habe. Ich hatte dort in einem Community-Talk schon gesagt, dass ich mich als HSV in dieser Personalie überhaupt nicht unter Druck sehen würde. Und diese Meinung teile ich weiterhin. Bei mir würde das Angebot aus Rom in der Entscheidungsfindung tatsächlich keine Rolle spielen. Man kann es eh nicht beeinflussen.

Personalie Boldt darf keinen Druck ausüben

Allerdings würde ich ein schnelles, klares Bekenntnis des Sportvorstandes einfordern, ehe ich mich mit ihm hinsetzen würde. In etwa so, wie es Boldt am Rande des Fürth-Spiels bei Sky formuliert hatte. „Ich habe mich vor anderthalb Jahren dazu entschlossen, mit dem HSV einen Weg einzuschlagen, hier etwas entwickeln zu wollen. Das sehe ich nach wie vor noch so. Das ist mein oberstes Ziel, diese Geschichte weiter gestalten zu können. Wenn der HSV interessiert ist, diesen Weg weiterzugehen, dann wird es sicherlich gute Gespräche geben. Wie die ausgehen, wann die geführt werden, das ist nicht allein meine Entscheidung“, hatte Boldt – völlig richtig - gesagt.

Diesen Reflex vieler hier, die einen Abgang Boldts als existenziellen Rückschlag sähen, kann ich in Teilen nachvollziehen – in Teilen widerspreche ich hier aber auch. Denn letztlich ist die vorgegebene Philosophie, also das Konzept für die nächsten Jahre, nichts, was nur Jonas Boldt in seinem Büchlein stehen hat. Diese Philosophie ist von Vereinsseite vorzugeben und von möglichst fähigen Mitarbeitern umzusetzen. Und davon gibt es neben Boldt zweifellos noch einige mehr im Profifußball – aber eben auch ihn.  Denn Boldt hat sich hier gut eingearbeitet, er fühlt sich dem HSV nach eigener Aussage auch zugehörig und hat das zuletzt auch sehr gut gemeistert. Von daher bin ich bei Euch: Boldt sollte nach Möglichkeit gehalten werden. Aber ich sage auch ganz klar: Wie bei allen Spielern und allen anderen Investitionen muss auch hier mit vernünftigen, realistischem Augenmaß entschieden werden. Der HSV ist nicht von Boldt abhängig – und Boldt nicht vom HSV. Von daher kann und muss diese Entscheidungen allein auf Basis der Möglichkeiten und Alternativen getroffen werden. AS Rom hin oder her…

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich wieder um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch und werde Euch zum Abend hin wie gewohnt ein letztes Update zu allem geben, was es noch zum Spiel am Mittwoch gegen den FC Erzgebirge Aue zu sagen gibt.

Bis dahin!

Scholle

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