29. August 2020
Morgen geht es schon wieder zurück nach Hamburg. Eine Woche Trainingslager im österreichischen Bad Häring gehen zu Ende und haben den neuen HSV-Trainer zweifellos schlauer gemacht. Er weiß inzwischen, was seine Youngster in der Defensive leisten können – und was man auf kurze Sicht erwarten darf. Soll heißen: Er weiß, dass ein Jonas David und ein Stephan Ambrosius Spieler sind, mit denen man auf lange Sicht im Abwehrzentrum planen kann. Mindestens auf Zweitliganiveau. Er weiß aber auch, dass die beiden zusammen noch nicht reichen, um in dieser Saison die eigenen Ziele zu erreichen. Mehr noch: Thioune holte sich über mutiges Testen die Bestätigung, dass ein erfahrener Abwehrchef neben einem der beiden Youngster ebenso für den Moment hilft, die Abwehr zu stabilisieren, wie es dem jeweils neben dem „Säulenspieler“ eingesetzten Youngster hilft, sich zu entwickeln. Eine Win-Win-Situation.
Auch deshalb bin ich mir nicht sicher, ob ein zweiter „Säulenspieler“ für die Innenverteidigung wirklich nötig ist. Ich würde vielmehr darauf setzen, dass sich einer der jungen Garde neben einem erfahrenen Innenverteidiger so entwickelt, dass er in der kommenden Saison schon als Stammspieler auflaufen kann und sich hier selbst zum „Säulenspieler“ hocharbeitet. Das jedenfalls verstehe ich unter dem Begriff „Entwicklung“. Womit ich Sportvorstand Jonas Boldt sehr wohl auch Recht gebe, wenn er sagt, dass Säulenspieler ein wesentlicher Teil bei der „Entwicklung eigener Talente“ sind. Die von vielen kritisierten Transfers der älteren Klaus Gjasula, Simon Terodde und jetzt Toni Leistner können sehr wohl Sinn machen, wenn sie dafür sorgen, dass sich neben ihnen junge Spieler hochziehen und orientieren.
Dazu gehört aber auch die Einsicht, wann es für die älteren Spieler eben Zeit ist ersetzt zu werden – womit ich zum Thema Aaron Hunt überleite. Der Routinier fehlte gestern gegen Feyenoord verletzungsbedingt – und das HSV-Spiel litt nicht darunter. Im Gegenteil. Mit Gjasula räumte einer ab, während Jeremy Dudziak als Brücke zwischen defensive und Offensive das Spieltempo ebenso hoch hielt wie Sonny Kittel vorn auf der Zehn als Hunt-Ersatz. Beide zusammen funktionierten spielerisch sehr gut – was zugegebenermaßen bei Kittel nicht immer so war. In der abgelaufenen Saison hatte er meiner Meinung nach zu viele Spiele, in denen er einfach abtauchte. Allein die Tatsache, dass er immer den entscheidenden Pass, die Tor bringende Flanke oder ebene einen eigenen Treffer im Fuß hatte, rechtfertigte seinen dauerhaften Nominierungen. Gestern zeigte er, dass er sich auf der zehn sehr wohl zum Hunt- Nachfolger eignet.
Anders als der Kapitän , das ist klar. Kittel ist und wird wahrscheinlich auch nie der Typ sein, der auf dem Platz die Führung des gesamten Spiels übernimmt. Im Gegenteil: Kittel ist eher der Typ Wildfang mit genialen Momenten. Und genau so würde ich ihn auch einsetzen: Als freier Mann mit allen Freiheiten. Jede weitere Aufgabe – ob verbale Führung, Kapitänsamt, Defensivarbeit oder sonstiges – es würde bei ihm nur zu Lasten der Qualität gehen. Darüber muss man als Trainer nachdenken, da es diese komplett freien Spieler kaum noch gibt. Heute müssen alle Spieler in den eng durchgetakteten System agieren – mit Pflichten. Kittel wäre hier sicher eine Ausnahme.
Andere wie Manuel Wintzheimer beispielsweise haben dem Trainer im Trainingslager gezeigt, dass sie auch woanders Entwicklungen nehmen können. Der zuletzt an den VfL Bochum verliehene Angreifer ist in der bisherigen Vorbereitung der treffsicherste Torschütze im Team. Er zeigt, dass ihm die Leihe gutgetan hat und schafft es mit den einfachsten Mitteln, zu überzeugen. „Wir wissen um Manuels Fähigkeiten. Er ist ein fleißiger Spieler und hat sich Spielzeit verdient. Und mit Toren kann man als Stürmer ganz gut auch Spielzeit rechtfertigen“, sagte Trainer Daniel Thioune gestern nach der Partie gegen Feyenoord, die der HSV dank des Treffers von Wintzheimer mit 1:0 gewonnen konnte. „Er hat viel Konkurrenz im Sturm. Wir haben einen Zugang bekommen, der sich auch auf dem Platz zeigen möchte. Auch die anderen beiden, die heute reingekommen sind, haben es gut gemacht. Manuel ist einer von vier Spielern und hat heute gezeigt, warum er vielleicht auch länger spielen durfte als der eine oder andere.“
Ja, das hat er. Er haut sich körperlich rein, ist sich für keinen Weg zu schade und spielt nicht so verkopft wie Lukas Hinterseer, bei dem Erwartungshaltung und aktuelles Leistungsniveau nicht zusammenpassen sondern eher zu Problemen führen. Dazu die Diskussionen darüber, ob Hinterseer nun geht oder nicht – alles das führt dazu, dass Hinterseer etwas zu verlieren hat, während Wintzheimer nur noch gewinnen kann. Denn von ihm hatte niemand mehr erwartet, als dass er wieder geht oder beim HSV als Stürmer Nummer drei (hinter Hinterseer und dem anfangs ja noch nicht einmal benannten neuen – heute ist es Terodde) bleibt. Aber aktuell würde ich davon ausgehen, dass sich Wintzheimer an Hinterseer vorbei auf Rang zwei unter den Angreifern hochgearbeitet hat. Mit Fleiß und ehrlicher Arbeit. Sehr sympathisch, wie ich finde. Sorgen bereiten mir eher die Torhüter – aber um die kümmere ich mich im morgigen Blog.
Für heute soll es das gewesen sein. Zumindest fast. Denn ich habe heute Vormittag einen Anruf eines Berliner Kollegen bekommen, der mir in den allergrößten Tönen von Leistner vorschwärmte: „Der beste Zweitligaverteidiger bei uns damals“, sagte er und sprach von dem Dresdner als „Vorzeigeprofi und Stabilisator“. Leistner würde dem HSV „definitiv richtig weiterhelfen“ so mein Kollege, der dem HSV und uns zu diesem Transfer gratulierte. Hoffen wir mal, dass er Recht behält.
Geht es nach Leistner selbst, dann ist es so. Und der Innenverteidiger sprach heute. „Wer mich bei den vorherigen Stationen gesehen hat, weiß, dass ich schon einer bin, der vorweg geht und nicht zu allem ‚Ja‘ und ‚Amen‘ sagt“, erklärte der letzte Neuzugang. „Dass ich eine Mannschaft führen kann, habe ich auch in meinem ersten Jahr in England gezeigt, wo ich direkt Kapitän geworden bin. Ich möchte der Mannschaft so viel mitgeben wie möglich, auch von meiner Erfahrung. Ich denke, das werde ich den nächsten Tagen und Wochen auch machen können.“ Hoffentlich.
In diesem Sinne, Euch allen einen schönen Abend und bis morgen!
Scholle