Marcus Scholz

26. Oktober 2020

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Heißt es. Und während wir im Hamburger Amateurfußball schon wieder eine Saison unterbrechen müssen, geht es für den HSV nach dem Sieg gegen die Würzburger Kickers am Freitag schon weiter – mit dem viel beachteten Derby. „Revanche!“ schreien die einen, während andere eine Niederlage mit unvorhersehbaren Folgen befürchten. Daniel Thioune indes macht es (mal wieder) absolut richtig und misst dem Spiel keine überhöhte Bedeutung bei. „Ein wichtiges Heimspiel“ stünde bevor. Stimmt! Und das reicht. Wie zuvor gegen Aue und Würzburg auch, sagt der HSV-Trainer, der nach fünf Siegen aus fünf Ligaspielen zufrieden ist, aber nicht euphorisiert. Er weiß, dass seine Mannschaft irgendwann auch mal wieder ein Spiel verlieren wird. Und er will darauf vorbereitet sein. Wie immer.

„Ich werde mich nicht an Parolen oder Sprüchen beteiligen. Für mich ist es ein Spiel elf gegen elf, es geht um drei Punkte. Und vielleicht ist es gar nicht verkehrt, dass einer da auch etwas nüchterner rangeht.“ Sagt Thioune. Dass der HSV-Coach sehr wohl weiß, dass ein Derbysieg allein schon emotional mehr wert ist als ein 3:1 gegen Würzburg oder ein 3:0 gegen Aue – logisch. Das machte er schon direkt nach dem Spiel am Sonnabend im Mittelkreis seinen versammelten Spielern deutlich.

Thioune macht die Spieler heiß - und bleibt ruhig

Dort machte er seine Spieler heiß und wies daraufhin, was bevorsteht. Von daher für alle diejenigen, die Thiounes Worte als zu emotionslos erachten: Das eine ist das, was er laut sagt – das andere, was er mit seinen Spielern bespricht. Und eines macht er damit richtig: Er mäßigt die Euphorie im Umfeld. So, wie er es nach jedem Spiel gemacht hat. Und damit erwirbt er auch für sich und sein Team das Recht, bei einer etwaigen Enttäuschung nicht gleich zu kollabieren, wie es in Hamburg gern mal passiert.

 

Nein, Thiounes Unaufgeregtheit ist wohltuend und spiegelt sich in der bisherigen Saison auch auf dem Platz wieder. Gegen Würzburg kam der HSV nach einer schwachen ersten Halbzeit in der zweiten Hälfte beeindruckend gut zurück. Auch, weil der Trainer seiner Mannschaft in der Halbzeit taktische Lösungen mit an die Hand gab. Er stellte um, brachte neues Personal – und schon lief es besser. Das wiederum stärkt das Vertrauen der Spieler in ihren Trainer – und nicht minder das Vertrauen des Umfeldes in die gesamte Mannschaft.

Zu sehen, dass sich ein Simon Terodde zu keiner Zeit zu schade war, dem gegnerischen Torhüter die Bälle zu holen, damit es möglichst wenig Verzögerung gab – ein starkes Zeichen vom Toptorjäger an seine Kollegen. Zudem zu sehen, wie die Einwechselspieler von der ersten Sekunde an Vollgas gingen – allen voran Amadou Onana –, es war das nächste deutliche Indiz dafür, dass Trainer du Mannschaft hier auf Augenhöhe agieren. Den  der Trainer hatte vor der Saison schon gesagt, dass ihm der Teamgeist am wichtigsten sei. Wer nicht mitzieht, ist raus . Ergebnis bis heute: Alle ziehen mit.

 

Sportdirektor Michael Mutzel lobt daher die Arbeit des neuen Coaches. „Er lässt sich nicht verrückt machen, sondern macht seinen Job und schaut, dass alle dabei sind und alle mitmachen“, sagt Mutzel auch im Hinblick auf das 3:1 gegen die Würzburger Kickers, als der HSV zur Pause noch zurücklag: „Die Ansprache in der Halbzeit war passend. Es war genau das, was die Mannschaft gebraucht hat. Die Wortwahl und die Art und Weise, wie er das gemacht hat, waren genau passend. Da hat man dann auch direkt gesehen, dass die Jungs einen Gang hochgeschalten haben. Das hat er gut gemacht.“ Stimmt.  Auch deshalb vermute ich hinter Thiounes Gelassenheit einen kühlen Plan.

Thiounes kühler Plan für heiße Wochen ist schlau

Wer sich an die letzte Saison erinnert, der erinnert sicher auch noch, dass ich schon vor dem ersten Derby darüber schrieb, dass ein Zweitligaderby irgendwie nicht das Gleiche ist. Und dazu stehe ich noch immer. Es ist emotionaler als alle anderen Zweitligaspiele, logisch! Aber jetzt, wo eventuell sogar gänzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit gespielt werden muss, ist das Stadtderby gegen den FC St. Pauli am Freitag noch einmal etwas weniger  brisant, weil das ganze Theater im Umfeld wegfällt – was mich tendenziell sogar freut. Jeder Flaschen- oder Steinwurf und jede Rauferei weniger ist positiv. Und wenn die Mannschaft um Terodde herum am Ende das Gesicht der zweiten Halbzeit gegen Würzburg zeigt – dann reicht mir das an Hitzigkeit absolut. Denn dann ist sie maximal zielgerichtet.

Und das muss sie auch sein, denn auch beim Stadtrivalen ist der Fokus richtig gesetzt, wie die letzten Spiele zeigen. Ich war schon mit der Präsentation von Timo Schulz sicher, dass das gut wird, weil er vom Typ her perfekt zum Klub passt. Zusammen mit seinen jungen, bis dahin bundesweit noch unbekannten Cotrainern bildet Schulz ein Team, das hochspannend ist. Schon allen Loic Favé, der hier in Hamburg beim ETV eine der größten Jugendabteilungen Deutschlands geleitet und den Verein mit einer stadtbekannten Philosophie versehen hat, ist extrem spannend. So spannend, dass auch der HSV vor ein paar Jahren versuchte, Favé vom Wechsel ins Nachwuchsleistunsgzentrum des HSV zu überzeugen. Erfolglos.

 

Wobei die Begründung der Absage für mich entscheidend war, denn Favé lehnte ab. Er wollte lieber unter Amateurbedingungen seinen ETV entwickeln, als ins Hochglanzsystem des HSV zu wechseln. Obwohl er den HSV immer sehr spannend fand, hatte Favé einen klaren Plan. , Er wollte sich nicht in ein Gerüst pressen lassen. „Im Nachwuchs bei Profiklubs bekommst du oft von oben vorgegeben, was du unten trainieren sollst. Das ist nicht mein Weg. Ich will entwickeln“, sagte mir Favé damals. Und das macht er jetzt mit Schulz zusammen, den er über die gemeinsamen Jahre als Konkurrenten im Jugendleistungsfußball kennengelernt hat.

Auf jeden Fall gibt es von der Konstellation der beiden Klubs durchaus Parallelen. Die Zusammenstellung der Mannschaft des FC St. Pauli mit der Mischung aus jungen Eigengewächsen und arrivierten Zweitligaspielern ist stimmig. Wie beim HSV. Und ich ziehe meine Spannung auf dieses Spiel vor allem daraus, welches Trainerteam seiner Mannschaft für dieses Spiel den besseren Matchplan mitgibt. Es ist – wenn auch auf Zweitligaebene – ein sportlich wie taktisch sehr spannendes Spiel. Mit dem Bonus, dass sich der Sieger „Derbysieger“ schimpfen darf. Nicht mehr – aber auch nicht weniger. Am Ende aber, und das wird bei Thioune immer deutlicher erkennbar, steht der Gesamterfolg über allem. Über ihm als Trainer, über den Spielern – und auch über einzelnen Partien. Und das gefällt mir. Sehr sogar.

In diesem Sinne, bis morgen!

Scholle

 

 

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