Marcus Scholz

4. Juni 2020

Müde ist er. Zwei Einheiten am Tag hat Finn Porath gerade hinter sich gebracht, als ich ihn am Telefon erreiche. Wir kennen uns noch aus seiner ersten Zeit beim HSV, damals hatte ich ihn schon als Jugendspieler einmal portraitiert und ihn im Anschluss immer wieder mal gesprochen. Von daher erlaube ich mir gleich zu Beginn unserer Telefonates einen kleinen Seitenhieb auf die unglückliche Niederlage seiner Kieler gegen HSV-Aufstiegskonkurrent Arminia Bielefeld. Nur um Zentimeter hatte er dabei in der Nachspielzeit den Flankenball zum Vorlagengeber verpasst. „Du hast eben zu kleine Füße“, scherze ich, „oder willst Du nicht, dass der HSV aufsteigt?“ Porath schweigt kurz – aber lacht dann. Zum Glück. Ansonsten hätte es auch eines meiner kürzesten Gespräche aller Zeiten werden können.

So aber entwickelt sich ein sehr ehrliches, gutes Gespräch mit einem Youngster, der es beim HSV nicht geschafft hat, jetzt aber auf dem besten Wege ist, sich als Bundesligaprofi zu etablieren. Wie es denn nun um den verpassten Flankenball stünde, will ich wissen. Und Porath antwortet: In den Zweitligaspielen entscheiden oftmals Kleinigkeiten. Gegen Stuttgart haben wir so am Ende ganz knapp gewonnen, weil alles gepasst hat. Gegen Bielefeld andererseits treffen wir zweimal die Latte und haben dann in der Nachspielzeit ganz ärgerlich verloren.“ Stimmt. Weil Poraths Füße schlichtweg eine Schuhgröße zu klein sind.  Ansonsten hätte er den Ball bekommen, ärgert er sich.

Porath hat in Kiel sein Glück gefunden

Aber es ist für Porath momentan Meckern auf hohem Niveau. Denn es läuft für Porath, seitdem die Kieler den Trainer gewechselt haben. Aus Andre Schubert, der Porath nicht auf dem Schirm hatte, ist inzwischen Ole Werner geworden. Ein Kieler Urgestein mit seinen Wurzeln im Nachwuchsbereich. Also einer, der weiß, wie man mit jungen Spielern arbeitet. „Zu Beginn der Saison unter Andre Schubert war es zunächst schwerer und ich brauchte ein wenig Zeit. Ich hatte gehofft, in Kiel, wo den Talenten nicht Millionen-Euro-Einkäufe als Konkurrent auf dem Trainingsplatz gegenüberstehen, schnell ins Team zu finden. Mit etwas Anlauf ist mir das inzwischen ganz gut gelungen und ich fühle mich sehr wohl, weil ich eine Entwicklung bei mir erkenne. Es fühlt sich gerade an, als wäre das die Phase, in der ich den Grundstein für die nächsten Jahre als Profi legen kann - und will!“

Porath sprüht vor Elan. Und das war trotz seiner noch jungen Karriere schon ganz anders. Beim HSV, wo Porath die Jugend durchlief und auf dem Weg zum Profi war, setzten die Trainer nicht auf ihn. Ich erinnere mich noch sehr gut an ein Trainingslager im türkischen Belek, wo Porath als junger Spieler von Bruno Labbadia nicht nur mitgenommen worden war, sondern auch sehr gelobt wurde. Auch, weil Porath sch....frech aufspielte. Als filigraner Techniker mit ausrechend Tempo machte er es vielen schwer, gegen ihn zu spielen. Manchen – wie Nicolai Müller – sogar so schwer, dass diese ihn wiederholt rüde foulten. Meistens gelbwürdig - wobei Müller sogar mehrfach rotwürdig gegen Porath zuschlug, was ich damals in meinen Blogs aus dem türkischen Trainingslager als „feige“ bezeichnet hatte. Aber, und das rechnete ihm im Nachgang auch Müller hoch an: Porath jammerte nicht. Er stand immer wieder auf und spielte weiter, als wäre nichts gewesen. Allein zum Durchbruch beim HSV sollte es trotz des Lobes für sein Engagement nicht ganz langen.

Labbadia nahm ihn in den Kader, bei Gisdol spielte er

Er stand zwar unter Labbadia im Kader und wurde von dessen Nachfolger Markus Gisdol sogar einmal in der Schlussminute in Hoffenheim eingewechselt. Witzigerweise für Nicolai Müller. Ansonsten aber ereilte Porath ein Schicksal, das viele junge Talente in ihren Heimatklubs teilen: Er wurde in seine Verein nichts und musste wechseln, um zu zeigen, wozu er imstande ist. Porath wechselte 2017 auf Leihbasis zur SpVgg Unterhaching. „Der Schritt nach Unterhaching wurde von vielen belächelt, auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis“, erinnert sich Porath, „aber ich weiß heute, dass es richtig und wichtig war, mal 900 Kilometer weg zu sein von zuhause, mal auf mich allein gestellt zu sein. Das musste ich lernen.“ Allein sein, Erwachsen werden, Selbständigkeit – der überaus intelligente, lebensfrohe Porath  lernte schnell.

 

Auch, was es bedeutet, fußballerisch auf dem Abstellgleis zu stehen, Rückschläge zu verkraften. Der HSV schenkte ihm zumindest keine Beachtung mehr. Porath: „Vom HSV hat sich damals niemand bei mir gemeldet. Das war anfangs schwer für mich, nachdem ich meine ganze Jugend beim HSV gespielt hatte und ja auch bei den Profis mittrainieren durfte. Aber letztlich war es nicht der größte Faktor. Denn obwohl ich mir mehr Kontakt gewünscht hätte, konnte ich so den nötigen Abstand gewinnen und mich voll auf Fußball konzentrieren. Ich bin in dieser Zeit sehr selbständig geworden. Mir hat diese Zeit sehr gutgetan. Menschlich sogar noch mehr als sportlich. Auch wenn das viele in meinem Umfeld nicht verstanden haben – so war es.“ Er habe so auch mental den nötigen Abstand zu allem gewonnen, was bis dahin passiert war. „Heute fühle ich mich deutlich weiter, um viele Erfahrungen reicher – und das Beste: Ich fahre gerade einmal 45 Minuten bis nach Hause.“

Heimat ist Hamburg - aber nur privat

„Nach Hause“ bedeutet noch immer Hamburg. Hier ist er aufgewachsen, Hamburg ist Heimat. Obgleich der HSV ihn heute vor einem Jahr nicht mehr wollte. Glücklicherweise klopfte heute vor etwas mehr als einem Jahr auch Holstein Kiel bei ihm an. Und das zum bestmöglichen Zeitpunkt. Denn der Vertrag in Unterhaching lief aus – und der HSV wollte ihn nicht zurück. Porath: „Am Ende des Leihgeschäftes war es so, dass der HSV mir relativ deutlich machte, dass man dort nicht mit mir plante. Zum Glück hatte ich  damals in Haching schon länger das Interesse von Holstein Kiel auf dem Tisch. Zu wissen, dass ich eine solche Alternative habe, das hat mir Ruhe gegeben.“ Und der HSV hatte ihm seine Entscheidung leicht gemacht. „Ich wollte unbedingt nach Kiel“, so Porath, „in Hamburg waren gerade einige Spieler wieder in die U23 ins Training geschoben worden und ich wollte gar nicht erst wieder in dieses Karussell hineingeraten. Als junges Talent aus den eigenen Reihen hast du es in dem Klub immer etwas schwerer. Da bist du eben immer auch ‚das Talent‘ und gefühlt ein leichter Streichkandidat, wenn es um Kadernominierungen geht. Ich habe den HSV-Verantwortlichen damals gesagt, dass ich spielen wolle. Deshalb bin ich Holstein Kiel ins Trainingslager nachgereist - und von da an ging alles ganz schnell.“

Zum Glück, sagt er heute. „Ich gehöre auch bei Holstein noch zu den jüngeren. Aber ich merke langsam, dass mich meine letzten Schritte deutlich vorangebracht haben. Für mich beginnt gerade so etwas wie meine beste Ausbildungsphase. Nach dem Trainerwechsel habe ich sofort das Vertrauen gespürt, dass ich auch spiele, wenn ich gut trainiere. Es hängt alles an mir und dem, was ich tagtäglich anbiete.“ Was er zum HSV sagt? Nicht viel. „Das Thema HSV ist für mich ein abgeschlossenes Kapitel. Ich weiß inzwischen, dass ich früher einfach zu viel nachgedacht und gegrübelt habe. Dabei ist es ganz einfach, auch mal zufrieden zu sein mit dem, was man hat. Ich brauche nicht immer das, was ich gerade nicht haben kann. Ich bin jetzt an einem sehr guten Ort in einem sehr wichtigen Moment in meiner Karriere.“

Porath glaubt an Holstein Kiels Siegchancen

Und der nächste steht am Montag an. Dann geht es für Porath zu seinem Heimatklub. Das erste Mal als Gegner im Volksparkstadion, das ist für den jungen  Mittelfeldspieler schon noch außergewöhnlich. „Ich freue mich riesig auf mein erstes Spiel als Gegner im Volksparkstadion. Schade, dass es noch ohne Zuschauer sein muss, aber dennoch: Montagabend, Flutlicht, mein alter Verein mit meinem neuen – viel mehr geht nicht!“ Ob er es sich und seinen Kieler Kollegen zutraut, die drei Punkte aus dem Volkspark mitzunehmen?  Klar! Aber: „Ich sehe den HSV mit Stuttgart auf Augenhöhe. Beide haben eine brutale Qualität im Kader. Da braucht es schon eine richtig gute Mannschaftsleistung und etwas Spielglück, um sie zu schlagen. Aber dass das möglich ist, haben wir zuletzt ja schon bewiesen.“ Und der Aufstieg? Porath zögert. Er gönnt es seinem alten Klub. Wirklich. Aber er scheint sich einfach nicht ganz sicher zu sein. Deshalb versucht er es in Diplomatie: „Bielefeld ist meiner Meinung nach nicht mehr zu holen. Die steigen auf. Aber dahinter wird es sehr spannend. Es setzt sich hier ja schon lange niemand mehr so richtig ab.“

Leider nicht, Wobei der HSV inzwischen in der Situation ist, dranzubleiben. Und dafür darf er am Montag – so gern ich Porath auch Siege und gute Spiele wünsche – keine Rücksicht nehmen. Im Gegenteil. Wenn ich Trainer Dieter Heckings Ansagen und Handlungen der letzten Tage richtig deute, nimmt auch er keine Rücksicht mehr auf irgendwelche Befindlichkeiten. Sollte Timo Letschert weiter so schwimmen wie in den letzten zwei Spielen, dann dürfte er von Gideon Jung ersetzt werden. Sollte er sich rechtzeitig im Training fangen, dürfte Rick van Drongelen auf die Bank rotieren. So mutmaßt es heute nicht nur der Kicker, sondern so glaube auch ich, dass es kommen wird. Beim HSV hat eh schon längst wieder die Zeit begonnen, wo alles nichts ist - wenn am Ende nicht gewonnen und aufgestiegen wird. Entscheidend sind dafür nur noch die Punkte.

Auch am Montag gegen Porath und Holstein Kiel. „Ich will nichts geschenkt“, sagt Porath und lacht wieder. Er freut sich auf das Wiedersehen. Diesmal allerdings nicht mehr als der kleine, junge Finn, dem viele nachsagten, er sei zu weich fürs Profibusiness. Diesmal kommt die Nummer 27 von Holstein Kiel, seines Zeichens zweifacher Torschütze in nunmehr 14 Zweitligaspielen bei noch einer Torvorbereitung. Vor allem aber kommt ein junger Mann mit großem Selbstvertrauen – und aus meiner Sicht auch ein junger mit außergewöhnlich großer Veranlagung...

 

In diesem Sinne, bis morgen! Da melden wir uns wieder um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch, ehe ich am Abend im Blog dann hoffentlich mit einem weiteren großen Talent aufwarten kann, das gerade dabei ist, sich als Profi zu etablieren. Sehr zur Freude des HSV übrigens. Wer das ist? Das erfahrt ihr morgen!

 

Bis dahin,

Scholle

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.