Marcus Scholz

17. März 2018

Der neue Trainer hatte Veränderungen angekündigt und damit nicht gegeizt. Auch Kyriakos Papadopoulos blieb noch draußen und war nach den gar nicht nominierten Dennis Diekmeier, Mergim Mavraj, Andre Hahn und Walace der fünfte im Bunde, der höchst unzufrieden ins letztlich sehr unglückliche Debüt von Trainer Christian Titz gegangen ist. Nach einer interessanten, mutigen ersten Halbzeit und der einhergehenden 1:0-Führung musste sich der HSV auch heute geschlagen geben. Nach der Führung durch Santos (25.) trafen Lazaro (56.) und Kalou (63.) für Hertha und rückten den HSV ein Stück weiter dem Abstieg entgegen.

Der neue Trainer hat also nicht nur mächtig umgebaut, er ist im ersten Spiel – um mal in der Pokersprache zu bleiben – „all in“ gegangen. Denn die von ihm heute aussortierten bzw. nicht zum Einsatz gekommenen Spieler dürfte er in den letzten Wochen schwerlich wieder begeistern können, das nahezu Unvermeidbare noch abzuwenden. Titz begann fast mit der Startelf, die ich gestern vermutet und mir sogar ein wenig gewünscht hatte. Einzig Young-Jae Seo wurde noch gegen Gotoku Sakai getauscht. Und eben van Drongelen gegen Papadopoulos. Es war eine Startelf, die annähernd einen Vorgeschmack auf die neue Saison bzw. vor allem auf die Ausrichtung des neuen Trainers gab. Titz setzt auf Offensive, auf Fußballspielen statt Fußball arbeiten – und vor allem ist er mutig. Und das ist gut so. Denn das hat hier schon lange gefehlt.

Auch im Spiel war dieser neu geforderte Mut anfänglich zu erkennen. Allein schon an Julian Pollersbeck, der den fünften Mann in der Abwehrkette mimte. Sobald der HSV im Ballbesitz war, rückte er vor den Sechzehner als Anspielpunkt, verteilte den Ball – zu Beginn allerdings noch mit Problemen, vor allem fußballerischer Natur. Aber okay, mit etwas mehr Sicherheit kommt vielleicht auch das noch. Ansonsten war es ein Beginn, der interessant anzusehen war. Hier und da mit Stockfehlern, aber eben einer grundlegenden Spielidee, die man tatsächlich auch erkennen konnte. Hinten raus bauten Jung und van Drongelen mit Pollersbeck das Spiel auf. Sobald der Ball gen Mittelfeld gespielt wurde, war Steinmann der Anspielpunkt oder zumindest derjenige, der auf egal welcher Seite das Dreieck aus anspielbaren Spielern komplettierte.

Und Steinmann machte das – zwei mittelschwere Abspielfehler mal ausgenommen – in der ersten Halbzeit auch sehr gut. Der extrem spielintelligente Sechser sortierte und baute auf – und er leitete das 1:0 ein. Sein Pass auf Holtby war risikoreich, kam aber an und öffnete dem HSV das Feld zum Konter. Holtby weiter auf Hunt, Hunt auf Kostic und der weiter auf den durchstarteten Santos – das 1:0. Denn der Brasilianer blieb cool, schob Herthas Keeper Jarstein den Ball durch die Hosenträger zur Führung ein (25.), die auch auf den Rängen erste Fesseln zu lösen schien. Das bis dahin zweifellos bemühte Publikum war wieder voll da und wurde sogar noch mal angefeuert durch Frankfurts Führung gegen den direkten Mitabstiegskonkurrenten FSV Mainz.

Ein Start, wie man ihn sich erhofft hatte. Zumal auch Pollerbeck seine Mut machende Aktion hatte. Unmittelbar vor der Führung war es die neue Nummer eins, die bei einem Drehschuss Ibisevics (23.) stark reagierte und den Ball zur Ecke lenken konnte. Alles zusammen ließ im Stadion die Stimmung weiter ansteigen. Begeistert vom mutigen Spiel wurden kleine Stolperer weggesteckt und die Mannschaft kompromisslos angefeuert. Zumal die Mannen von Titz nach der Führung zu weiteren Chancen kamen. Hätte Fiete Arp in der 26. Minute den durchstartenden Kostic gesehen und gleich angespielt, es wäre eine so genannte Hundertprozentige geworden. Die hatte der HSV nach einem Holtby-Schuss (28.) in der 30. Minute, als Ito einen Hertha-Fehlpass aufnahm und auf Hunt durchsteckte. Leider konnte der heute deutlich aktivere Mittelfeldmann den Ball nicht unter Kontrolle bringen.

Und nachdem Pollersbeck den HSV in der 39. Minute wieder mit einem starken Reflex gegen einen Kopfball von Ibisievic die Führung sicherte, hätte Kostic sie quasi im Gegenzug erhöhen können, zielte aber zu hoch (40.). Auch deshalb blieb es zur Halbzeit bei der knappen 1:0-Führung, die Trainer Titz dazu veranlasste, ohne Wechsel in die zweite Halbzeit zu starten. Dennoch begann die zweite Hälfte anders, als die erste aufgehört hatte. Der HSV kam nicht ins Spiel, Hertha hatte mehr Ballbesitz – und kam zum Ausgleich. Nach einer Flanke von links (Plattenhardt) war Herthas Lazaro einen Schritt schneller als der bis hierhin starke Santos und drückte den Ball aus kurzer Distanz zum Ausgleich über die Linie (56.).

Und es kam noch dicker. Der HSV wackelte jetzt stark und musste in der 63. Minute das 1:2 hinnehmen. Steinmann konnte den durchstartenden Maier nicht aufhalten, der legt quer und der gerade erst eingewechselte Kalou schaltet schneller als Sakai, Salou trifft aus kurzer Distanz zur Führung für die Hauptstädter, die das Spiel jetzt im Griff zu haben schienen. Titz wechselte zwar Bobby Wood für den müde wirkenden Holtby ein, brachte später auch noch Jatta für Ito – aber Hertha kam zur nächsten Großchance. Van Drongelen verschätzte sich übel und Ibisevic spritzt dazwischen, spielt noch Jung aus und zieht aus acht Metern ab. Zum Glück aber hielt Pollersbeck weiterhin stark und parierte mit einem sehr guten Reflex zur Ecke (70.).

Titz wechselte zum dritten Mal, brachte nun auch noch Luca Waldschmidt für Arp – viel änderte sich dadurch allerdings nicht mehr. Hertha hatte das Spiel jetzt im Griff und ließ den HSV fleißig anrennen, ohne dass dabei noch Chancen entstanden. Der HSV hatte wie in der gesamten bisherigen Saison einfach keine Ideen, keine überraschenden Spielzüge parat. Kurzum: Die Kreativität fehlte. Wie sonst auch. Und dementsprechend blieb es am Ende auch bei dem bitteren 1:2, das den HSV noch ein Stück weiter in Richtung zweite Liga schiebt und auf den Rängen dafür sorgte, dass man sich sogar schon untereinander schlug.

***Nach dem Sppiel folgten noch Ausschreitungen rund ums Stadion und sogar vor der Mannschaftskabine, die Polizeiensatz bedurften. Hunderte Fans wurden festgesetzt, es kam sogar zu Festnehmen.***

Das einzige, was bleibt, ist die Hoffnung. Die Hoffnung darauf, dass der HSV die ersten 45 Minuten in den verbliebenen sieben Spielen auch auf die 90 Minuten ausbauen kann. Allerdings bleibe ich dabei, dass Titz nach langer Zeit endlich wieder ein Trainer ist, der eine Idee hat. Ihm fehlte dafür allerdings die Vorbereitung. Und ihm fehlt dafür die Qualität im Kader, dessen Zusammenstellung den HSV dieses Jahr sein Alleinstellungsmerkmal kosten könnte. Sollte der HSV aber Ruhe bewahren und Titz mit dem neuen Sportchef zusammen seine Spielidee auch in Form des neu zu holenden Personals umsetzen lassen, dann kann hier etwas sehr interessantes heranwachsen. Unabhängig davon, in welcher Liga in der kommenden Saison gespielt wird.

Nachtrag: Bei der Pressekonferenz mach dem Spiel zählte Herthas Trainer Pal Dardai seinen Neu-Kollegen mächtig an. Er verriet, dass man sehr gut vorbereitet war aufvdessen Spielidee und sprach davon "nicht überrascht" gewesen zu sein. Zudem sagt Papadopoulos nach Spielschluss, dass der Trainer kein Wort mit ihm geredet habe und der sehr verwundert sei. "Es ist brutal schade, dass erfahrene Spieler nicht im Kader waren. Das war so bestimmt nicht die beste Lösung. Mit mir hat der Trainer auch nicht gesprochen." Zuvor hatte bereits Dennis Diekmeiers Frau Dana ihren Mann verteidigen wollen und via Instagram den gepackten Rucksack ihres Mannes gepostet, der aussortiert worden war und hatte daneben geschrieben: "Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fr... halten". Wer gemeinet war - wohl klar. Klar ist auf jeden Fall, dass Titz es in den nächsten Wochen schwer haben dürfte mit einigen arrivierten Spielern...

In diesem Sinne, bis später.

Scholle

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