Marcus Scholz

30. April 2020

Am Mittwoch hatte es erste Gerüchte gegeben, der HSV hätte sich intern intensiver mit Union Berlins Keeper Rafal Gikiewicz beschäftigt. Letztlich hätte man auf eine Verpflichtung verzichtet, da man ,sich von der aktuellen Entwicklung Julian Pollersbecks viel versprechen würde. Heute teilte Union Berlin mit, dass man den im Sommer auslaufenden Vertrag von Gikiewicz auf keinen Fall verlängern wird. Oder anders gesagt: Gikiewicz hatte abgelehnt, wie der Erstliigst mitteilte: „Union bietet dem 32-Jährigen keinen neuen Vertrag mehr an, nachdem dieser das Angebot des Vereins nicht angenommen hatte“, heißt es in einer Mitteilung des Vereins. Und schon sprießen die Gerüchte wieder, ob der HSV es sich noch einmal anders überlegt hat. Ich hoffe: Nein. Denn ich bleibe bei dem, was ich seit jeher schreibe: Der HSV hat sich 2017 einen extrem talentierten Keeper geholt, der es wert ist, dass man ihm eine zweite Chance gibt.

Denn eines ist klar: Sollten sich die HSV-Verantwortlichen tatsächlich nicht irren, könnte die Geschichte Pollersbeck doch noch vom „Flop“ zur Erfolgsgeschichte werden. Zumal sich auch Trainer Dieter Hecking zuletzt für den zum Ersatzkeeper degradierten 25-Jährigen stark gemacht hatte, nachdem dieser sich seit Monaten in guter Verfassung befand. „Es ist erstmal gut, dass Julian verstanden hat, um was es für ihn in seiner Karriere jetzt geht. Nämlich zu arbeiten, Gas zu geben“, hatte Hecking im Oktober 20129 gelobt, nachdem er Pollersbeck erstmals wieder für den Kader nominiert hatte. Viele dachten damals, dass es auch danach so weitergehen würde - ging es aber nicht. Weil Hecking in Tom Mickel eine gute Nummer zwei sieht und zudem nicht auf Daniel Heuer Fernandes verzichten wollte, nachdem dieser gut gespielt hatte.

Pollersbecks offene Art wird zum Verhängnis

Und das war völlig korrekt, wie ich finde. Beim Torwart ist es nunmal so, dass man diesen nicht immer wieder wechselt. Hier muss man demjenigen Vertrauen entgegenbringen, auf den man setzt. Dafür ist die Position des Torhüters zu wichtig. Denn der Torwart ist der erste Taktgeber, der zweite Abwehrchef sozusagen. Und vor allem muss er Souveränität ausstrahlen. Das wiederum geht nur, wenn er selbst unumstrittene Nummer eins ist. „Dieses Schicksal haben wir einem Feldspieler voraus - mit allem Pro und Contra“, hatte mir Pollersbeck vor kurzem gesagt und neidlos anerkannt, dass Heuer Fernandes gut gespielt habe und er keine Ansprüche stellen könne. Als Nummer drei würde er alles machen, nur nicht laut werden, so Pollersbeck in dem Gespräch, in dem er sich mir gegenüber geläutert präsentierte.

Der einstige U21-Europameister hat erkannt, worauf es im Fußball ankommt. Und da war er zuvor nicht wirklich kompatibel. Als bayerische Frohnatur war er aufgeschlossen und hatte auch sonst keine Berührungsängste. Twitter, Facebook und vor allem Instagram wurden jeden Tag mit etlichen Fotos und so genannten Stories gefüllt, während er selbst großen Wert auf ausgefallen Kleidung, Frisuren und Dinge legte, die mit dem Profifußball an sich nichts zu tun hatten. Als er beispielsweise von Bernd Hollerbach nach dessen Amtsübernahme - der Ex-Profi kam als Nachfolger von Markus Gisdol  - auf die Bank gesetzt worden war, kam er am nächsten Tag mit strohweiß-blondiertem Kurzhaarschnitt zum Training. „Jeder hat seine Prioritäten“, sagte Hollerbach damals und machte uns deutlich, wie wenig er von derlei Verhalten halten würde. Er hatte sich mehr Gegenwehr und Kampfgeist von Pollersbeck erhofft.

 

Allerdings war Pollersbeck nach sportlich nicht immer einwandfreien Leistungen eh ein leichtes Streichopfer. Dem „bunten Vogel“ mangelnde Leistungsbereitschaft nachzusagen, das war spätestens nach dem vernichtenden Urteil seines früheren Torwarttrainers Gerry „Tarzan“ Ehrmann nicht mehr schwer. Trainiert hatte Pollersbeck meiner Meinung nach zwar auch vorher gut - von daher ging es nur darum, sich nach außen professioneller zu präsentieren. Aber das Urteil des Ex-FCK-Torwarttrainers aus der Ferne gepaart mit Pollersbecks (zu) offenherzigem Lebensstil und seiner mangelnden Erfahrung (als Nicht-NLZ-Spieler ist er in seiner Jugend nie auf den großen Profi-Zirkus in Sachen Öffentlichkeitsarbeit vorbereitet worden) - es hätte Pollersbeck fast seine komplette Karriere beim HSV gekostet. Hätte er sein Verhalten nicht im vergangenen Sommer endlich umgestellt, der HSV hätte ihn schon damals versucht zu ersetzen und wahrscheinlich in diesem Fall den 32 Jahre alten Gikiewicz vielleicht nicht abgelehnt.

Pollersbeck: Neue Chance oder Abgang?

Das Problem allerdings wird sein, dass Pollersbeck sich keine weitere Saison auf der Tribüne geben wird. Auch wenn er immer wieder betont, seinen Vertrag zu respektieren und einhalten zu wollen, weiß ich, dass sich zuerst sein Vater und später auch sein neuer Berater Roger Wittmann längst nach Alternativen zum HSV umgesehen haben und ganz sicher auch weiterhin umsehen. Und ich bin mir ebenso sicher, dass sich Heuer Fernandes als bisherige Nummer eins nicht einfach wieder zum Ersatzkeeper herabstufen lassen würde. Das macht keiner gern. Fragt mal Pollersbeck, wie schwer es war, sich nach der Degradierung und der öffentlichen Kritik noch mal hochzufahren und aus der zweiten (und zwischenzeitlich dritten) Reihe wieder über gute Trainingsleistungen anzubieten. Nein, ich behaupte, der HSV hat kein Torwartproblem, sofern Luxusprobleme nicht als echte Probleme gewertet werden. Zumindest so lange nicht, wie Heuer Fernandes und Pollersbeck da sind.

Deutlich komplexer ist derweil das Thema Wiederaufnahme der Bundesligasaison. Heute sollte eigentlich die Ministerkonferenz neue Hinweise und Entscheidungen bezüglich einer Fortsetzung der Saison bringen. Das hatten sich die Bundesligisten und DFL-Verantwortlichen zumindest erhofft. Allerdings sickerte schon früh durch, dass es in diesem Thema erst am 6. Mai zu einer Entscheidung kommen wird. Dann wird der Bund bei der nächsten Schaltkonferenz mit den Ministerpräsidenten  entscheiden, ob eine weitere Lockerung für den Profifußball und den Sport im Allgemeinen möglich ist.

Politik entscheidet am 6. Mai über Saisonfortsetzung

Damit bleibt weiter offen, ob und wann die Bundesligisten wieder auf Punktejagd gehen dürfen. Bundeskanzlerin Angele Merkel hat für die nächste Konferenz mit den Ministerpräsidenten am kommenden Mittwoch allerdings insgesamt „sehr klare Entscheidungen“ für den Sport in der Corona-Krise angekündigt, während der HSV seiner Zeit ein wenig vorauseilt. Im positiven Sinne, denn heute hat der HSV seinerseits die von der DFL im Sicherheitskonzept verlangten Corona-Tests bei seinen Spielern schon mal aufgenommen. Heute und am Montag wurden und werden die HSV-Profis und -Verantwortlichen getestet. Drücken wir mal die Daumen, dass alle wie erwartet gesund sind.

 

Und das gilt selbstverständlich nicht nur für die Profis, sondern auch für Euch und uns alle. Ich verabschiede mich für heute von Euch. Genießt das (hoffentlich für möglichst viele von Euch) lange, freie Wochenende und bleibt gesund!

Scholle

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