Marcus Scholz

14. Januar 2018

Es gibt sie immer noch. Diejenigen, die behaupten, der Kader sei gut genug für den Klassenerhalt. Und das, obgleich Wochenende für Wochenende vorgeführt wird, dass der HSV in der Breite einfach nicht ausreichend gut aufgestellt ist. Es mag sein, dass der HSV mit der ersten Elf die Möglichkeit hätte, zwei, drei Plätze weiter oben zu stehen. Meinetwegen auch vier oder fünf. Aber Fakt ist nunmal, dass man im Laufe einer Saison immer mehr als nur diese elf Spieler braucht. Und zwar mehr als elf GUTE Spieler, nicht nur Ergänzungen, wobei ich sogar behaupte, dass beim HSV schon in der ersten Elf Spieler stehen, die normalerweise Ergänzungsspieler sein sollten. In allen Mannschaftsteilen. Und das Ergebnis spricht für meine These.

Auch deshalb bin ich seit Sommer nicht müde geworden, zwei Dinge anzuprangern: Zum einen, die Fehlende Qualität in der Breite des Kaders. Und zum anderen die Fehlende Bereitschaft, aus allen Spielern das Maximum herauszukitzeln.

Heute wurde nun bekannt, dass der HSV wider die eigene Ansage vor einer Woche sehr wohl versucht, Dominik Kaiser aus Leipzig schon im Winter nach Hamburg zu lotsen. Einen Spieler, der als Mannschaftskapitän nach dem Aufstieg in die Erste Liga bei Leipzig siebenmal in der Startelf stand – und dann nicht mehr über die Rolle des Reservisten hinauskam. Einen 29 Jahre alten Mittelfeldspieler, der es diese Saison auf fünf (Mini-)Einwechslungen und einen Startelfeinsatz bringt. Und das schreibe ich nicht, weil ich Kaiser für einen prinzipiell schlechten Transfer halte.

Wenn er günstig zu haben ist, ist das eben ein Transfer der Kategorie, den sich der HSV leisten kann. Auch mit diesem Umstand muss man umgehen. Aber ich warne vor zu großen Erwartungen an Kaiser, sofern er denn wirklich kommt. Und ich sehe mal wieder, dass der HSV seine ach so tolle, fruchtbare und von durchgehend tollen Gesprächen Zusammenarbeit (O-Ton Vorstandsboss Heribert Bruchhagen) mit Kühne nicht auf eine gesunde Ebene gehoben bekommt. Denn selbst in der Schweiz sollte man erkennen können, was hier in Hamburg passiert. Daran kann auch Kühne-Berater Volker Struth nicht vorbeiargumentieren...

Nein, mir fehlt ehrlich gesagt weiterhin der Glaube an einen Plan beim HSV. Auf dem Platz wurde wieder nichts von dem umgesetzt, was Gisdol im Trainingslager einüben wollte. Der Trainer selbst sagt zwar, es fehle dabei einfach der Mut zum Risiko in der Offensive. Aber ich behaupte, dass das auch ein Qualitätsmangel ist. Selbst wenn Aaron Hunt fit wäre und ein Arp vorn den lustlos wirkenden und inzwischen meiner Meinung nach schon untragbaren Bobby Wood ersetzen würde, fehlt immer eine Zutat: Tempo. Und wenn einer Tempo hat (Hahn, Wood), dann fehlt die spielerische Klasse. Selbst Kostic war gestern in Augsburg nicht zu sehen. Und mit Hunt oder Salihovic auf der Zehn hat man zweifelsfrei tolle Techniker mit der Fähigkeit zum finalen Pass – aber beiden fehlt neben dem Sprinttempo inzwischen auch die Handlungsschnelligkeit.

Wir waren im Trainingslager beim Sevilla-Derby des FC gegen Betis. Und Betis war als Tabellen-15. Nominell klar unterlegen. Allerdings zeigte Betis alles, was Gisdol beim HSV sehen will. Sie spielten defensiv sehr kompakt und schalteten in Ballbesitz sofort um. Aber eben nur, weil sie hinten raus und dann im Mittelfeld den Ball über zwei, drei schnelle Stationen sicher passten, um überhaupt in die Situation zu kommen, die schnellen Außenstürmer zu schicken. Etwas, was beim HSV nicht funktioniert. Jung und Janjicic sind gute Jungs, die den Ball erobern und sicher zum nächsten Mann bringen. Aber Spieleröffnung geht mit ihnen nicht. Beide suchen den sicheren Pass. Und das wäre auch völlig ausreichend, wenn davor einer wäre, der das Spiel nicht nur lenkt, sondern auch das Tempo bestimmen kann. Wohlgemerkt: Nicht nur langsam und auf Ballbesitz, sondern auch mal auf schnelle Konter...

Da dem HSV diese Spieler aber fehlen, bleibe ich dabei, dass er nachbessern MUSS im Winter. Mit Dominik Kaiser? Ein 29 Jahre alter, in Leipzig nicht mehr gebrauchter Mittelfeldspieler? Okay. Wenn das das Ergebnis von nunmehr sechs Monaten Zeit ist, die man seit der verfehlten Sommertransferperiode hatte, um seine Defizite zu beheben, dann habe ich große Zweifel an der Arbeit des Sportchefs und des Vorstandes. So sehr ich mich auch freuen würde, wenn Kaiser mich eines Besseren belehrt, indem er hier maximal einschlägt – sofern er denn kommt.

Dennoch enttäuscht der HSV nicht nur im nackten Bndesliga-Ergebnis, sondern vor allem auch im Drumherum. Mitte Januar ist der Sportchef „zum Sichten“ unterwegs. Für Positionen, die seit Monaten unterbesetzt sind. Wie kann das sein? Zu diesem Zeitpunkt muss der HSV bereits eine Liste mit Kandidaten haben, die man „nur noch“ auf deren Wechselmöglichkeiten zur Rückrunde hin abklopft – was allein schon schwierig genug ist und lang dauern kann. Aber diesen Katalog von Spielern scheint es mal wieder nicht zu geben. Von daher bleibt der Verdacht, dass man beim HSV in den letzten Monaten seinen Job nicht ausreichend gut gemacht hat. Auf allen Ebenen. Und genau das lässt mich befürchten, dass der HSV mal wieder keinen Plan hat. Von dem immer wieder proklamierten „schneller, fleißiger und findiger sein“ mal komplett abgesehen...

Nein, aktuell deutet alles daraufhin, dass die Verantwortlichen den HSV sehenden Auges an die Wand fahren. So unvorbereitet sein kann man sich maximal dann erlauben, wenn man die finanziellen Mittel hat, sich zu alles zu kaufen, was man braucht. Ansonsten muss man wissen, dass man rotieren muss wie kein anderer im Bundesligageschäft. Eben „schneller, fleißiger und findiger“ sein als der Rest. Aber davon ist der HSV derzeit noch weiter entfernt als von der finanziellen Unabhängigkeit, solange er kein vernünftiges Scouting und eine sportliche Abteilung ohne entsprechenden Nichtabstiegs-Plan hat.

Aber, bevor jetzt wieder alle auf einem rumtrampeln: Es liegt ganz sicher auch an Sportchef Jens Todt. Aber lange nicht allein an ihm. Im Gegenteil. Der gesamte HSV ist in seinem Konstrukt ein Sanierungsfall. Tendenz: zunehmend. Dass jetzt der Trainer diskutiert wird, ist ob des Tabellenstandes und der fehlenden Weiterentwicklung (um nicht gar von Rückschritten zu sprechen) der Mannschaft nur logisch. Und das ganze „ich spüre die Rückendeckung“- und „wir werden nicht nervös“-Gesabbel ist nichts mehr als branchenübliches Floskeln. Denn natürlich wird Gisdol diskutiert. Das wurde er schon in der Hinrunde, egal wie oft die Hauptverantwortlichen auch das Gegenteil rausposaunen. Und so sehr es auch für den Trainer spricht, sich heute hinzustellen und den Schulterschluss mit allen Mitstreitern inklusive aller Spieler zu demonstrieren, es ist nichts mehr als eine Fassade anstelle notwendiger Klarheit.

Denn Gisdol weiß schon seit Sommer, dass der Kader so nicht ausreicht – und das hat er intern auch deutlich gesagt. Passiert ist dennoch nichts. Weil sich alle Verantwortlichen gegenseitig schützen wollen. Loyalität nennt man sowas, wenn es für den Gesamterfolg zuträglich ist. Falsche Loyalität nenne ich das. Denn es führt zu nichts anderem als zu verklärenden Darstellungen und dem 17. Tabellenplatz. Niemand haut auf den Tisch, niemand schlägt Alarm. Niemand macht klar, was alles fehlt, um konkurrenzfähig zu sein. Weil alle befürchten, sich selbst anzuklagen für die Fehler der letzten Monate und sich somit selbst auf die Streichliste zu setzen. Und diese Befürchtung ist mehr als berechtigt.

Dieser Verein braucht neue Impulse von außen. Und das jetzt, bevor es zu spät ist. Und damit muss er auf Spielerebene beginnen. Aber er darf damit längst nicht mehr aufhören. Übrigens: Just in diesem Moment, wo ich das schreibe, macht Simon Terodde in allerletzter Sekunde das 2:1 für den 1. FC Köln gegen Gladbach und verkürzt den Abstand auf den HSV vor dem direkten Duell am kommenden Sonnabend auf sechs Punkte. Ein Stürmer, den der 1. FC Köln übrigens im Winter geholt hat. Berater: Volker Struth.

Kann man sich nicht ausdenken, sowas...

In diesem Sinne, morgen ist übrigens trainingsfrei. Ob eine Streichung des freien Tages in Betracht gezogen würde? Gisdol schaut ein wenig verwundert und beurteilt den indirekten Vorschlag meines Kollegen so, dass es mich auch an seiner Wahrnehmung der Situation zweifeln lässt, in der er und seine Mannschaft stecken: „Nein. Wir werden jetzt nicht aktionistisch.“

Kann man sicher auch anders sehen...

 

Bis morgen.

Scholle

 

P.S.: Wenig überraschend und seit tagen angekündigt, hat Bernd Hoffmann seine Kandidatur für die Wahl zum Vereinspräsidenten eingereicht. Diese wird aktuell geprüft. Mehr dazu in den nächsten Tagen.

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