Tobias Escher

17. September 2019

Mit großer Vorfreude war der Hamburger SV in das Stadtderby gegangen. Unter Trainer Dieter Hecking präsentierte sich die Mannschaft zuletzt taktisch wie spielerisch auf konstant hohem Niveau. Ausgerechnet im Derby zeigte der HSV seine bisher schwächste Saisondarbietung. Ein leidenschaftlicher Gegner sowie kopfloses Agieren seitens des HSV bescherten den Rothosen eine 0:2-Niederlage.

Trainer Dieter Hecking sah keinen Anlass, seine Stammelf groß zu verändern. Einzig Rechtsverteidiger Jan Gyamerah musste ersetzt werden, für ihn rückte Josha Vagnoman in die Startelf. Der HSV begann in der gewohnten Mischung aus 4-3-3 und 4-2-3-1. St.-Pauli-Trainer Jos Luhukay wiederum veränderte seine Startelf gleich auf drei Positionen, zudem mussten zahlreiche Spieler im Vergleich zum 3:3-Unentschieden gegen Dynamo Dresden andere taktische Rollen übernehmen. Er krempelte seine Elf deutlich um.

St. Pauli überraschend dominant

Wer erwartet hätte, dass sich der Außenseiter am Millerntor von Beginn an weit zurückzieht, sah sich schnell eines Besseren belehrt. In den ersten Minuten kontrollierte St. Pauli die Partie, während sich der HSV in die eigene Hälfte zurückzog. Die Hausherren suchten ihr Glück vor allem über die Flügel. Die Doppelsechs kippte aus dem Zentrum immer wieder auf die Außenverteidiger-Positionen ab, die Außenverteidiger rückten dafür weit nach vorne. Auch Zehner Mats Møller Dæhli rückte weit auf die Flügel heraus.

In dieser Anfangsphase stimmte die Balance im Hamburger Team nicht. Einerseits standen sie bei gegnerischen Angriffen recht tief, die gegnerischen Innenverteidiger wurden nur vereinzelt angelaufen. Andererseits präsentierte sich der HSV nach eigenen Ballgewinnen offensiv, die Außenspieler rückten weit nach vorne. Vor dem tief zurückfallenden Sechser Adrian Fein klaffte eine große Lücke.

Dies Lücke machte sich vor allem nach Ballverlusten bemerkbar. St. Pauli war in der Anfangsviertelstunde zwar auf Ballzirkulation bedacht, ihre wahre Stärke liegt jedoch im schnellen Umschalten. Sie suchten den Weg über die Flügel. Das 1:0 fiel nach einem solchen Flügelangriff, als die rechte HSV-Seite zu offensiv agierte. Nach einem schnell ausgeführten Einwurf konnte  Møller Dæhli die entscheidende Flanke schlagen.

Taktische Aufstellung FCSP-HSV

 

Manndeckungen setzten dem HSV zu

Nach dem Führungstreffer entwickelte sich die Partie so, wie man es im Vorfeld erwartet hatte: St. Pauli zog sich zurück und lauerte auf Konter, während der HSV das Spiel gestaltete. War das Ballbesitzverhältnis bis zur 20. Minute noch ausgeglichen, hatte der HSV in den folgenden siebzig Minuten fast siebzig Prozent Ballbesitz. Der HSV musste einen defensiv stehenden Gegner knacken.

Das fiel den Hamburger Spielern lange Zeit schwer. St. Pauli setzte im Mittelfeld auf enge Manndeckungen. Jeder Mittelfeldspieler des FC St. Pauli bekam einen Gegenspieler zugeteilt. Sonny Kittel und David Kinsombi wurden durchgehend überwacht, auch die Außenstürmer Bakary Jatta und Khaled Narey wurden aus dem Spiel gedeckt. Einzig Fein konnte sich der gegnerischen Manndeckung entziehen, indem er sich weit nach hinten fallen ließ.

Durch St. Paulis rigorose Manndeckung waren alle Anspielstationen für den HSV zugestellt, das Mittelfeld praktisch nicht existent. Das war ein Problem für die Mannschaft, die ihre vergangenen Partien auch dank ihres präsenten Mittelfelds gewonnen hat. Die übliche Spielidee, Überzahlen in den Halbräumen zu kreieren, ging nicht auf. Das lag nicht zuletzt daran, dass Hamburgs Außenverteidiger offensiv weitaus weniger auffällig waren als in den ersten Saisonspielen.

Es gab Momente, in denen der HSV jedoch klug die Manndeckungen des Gegners auszunutzen versuchte. Ein Spieler, der bewacht wird, kann seinen Manndecker in einen „toten Raum“ ziehen und ihn damit aus dem Spiel nehmen. Tun dies alle Mittelfeldspieler, öffnet sich im Zentrum eine Gasse, in die die Verteidiger vorstoßen können. Genau diese Gasse öffneten Hamburgs Mittelfeldspieler mehrere Male.

Das Problem: Es klaffte eine große Lücke zwischen Plan und Ausführung. Rick van Drongelen und Gideon Jung stießen zwar mehrmals mit dem Ball am Fuß nach vorne, nur selten bekamen sie im Anschluss einen vernünftigen Pass zustande. Sie sind eben Innenverteidiger und keine Kreativspieler.

Beste Phase nach der Halbzeit

Die beste Phase hatte der HSV nach der Pause, als sie die Schwächen der St. Paulianer Manndeckung konsequenter bespielten. Durch die Einwechslung von Aaron Hunt (für Narey) wechselte Kittel auf den linken Flügel. Er rückte immer wieder ein und bot sich als Anspielpunkt an für die Innenverteidiger. Er belebte das Spiel über die linke Seite. Von hier wurde auch die wohl größte Chance eingeleitet, der Treffer zum Ausgleich, der wegen eines vermeintlichen Ausballs abgepfiffen wurde.

In dieser Phase war es jedoch vor allem Fein, der dem Spiel seinen Stempel aufdrückte. Er versuchte sich nun selbst an den Dribblings aus der Tiefe – und war damit wesentlich erfolgreicher als Innenverteidiger. Es beeindruckte, wie viel Verantwortung der junge Fein in einem Derby übernahm.

Leider war das Vorrücken von Fein symptomatisch für ein Problem, das den HSV nach der Pause plagte: Sie rückten zu offensiv auf. Zahlreiche Spieler stießen nach vorne, ohne sich Gedanken um die Konterabsicherung zu machen. Spätestens ab der 60. Minute fand St. Pauli große Räume vor, in die sie nach Ballgewinnen mühelos vorstoßen konnten.

Nach dem unglücklichen 0:2 verlor der HSV zudem die spielerische Linie. Sie wollten den Ausgleich nun im Derby-Stil erkämpfen. Fünf bis sechs Spieler positionierten sich in der letzten Linie und hofften auf den langen Ball. St. Pauli zog sich dagegen in einem 6-3-1 an den eigenen Strafraum zurück. Beide Teams gaben das Mittelfeld auf.

Das Problem: Während der HSV aus seinen langen Bällen keine Torgefahr erzeugte, besetzte St. Pauli das vakante Mittelfeldzentrum nach Ballgewinnen sofort. Der HSV hatte Glück, dass der Gegner die eigenen Konter nicht zu Ende spielte. Heuer Fernandes hielt das 2:0 fest.

 

Fazit

Ausgerechnet im Derby zeigte der HSV seine taktisch schwächste Saisonleistung. In der ersten halben Stunde agierte das Team zu passiv, während sie in der letzten halben Stunde kopflos nach vorne rannten. Allenfalls in der mittleren halben Stunde fand der HSV die richtige Mischung aus offensiver Spielstärke und defensiver Absicherung.

Im Idealfall ist diese Niederlage ein Warnschuss zur rechten Zeit: Sobald der HSV das Ballbesitzspiel und die Konterabsicherung vernachlässigt, wird es gegen jeden Zweitligisten schwer. Selbst gegen den kommenden Gegner aus Aue.

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