Kill Bill

1. April 2019

»Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!«

Endlich ist es soweit. Der große Fußball ist zurück und klopft sehnsüchtig an der Tür unseres HSV. Erstmals seit 2009 könnten die Rothosen wieder in den elitären Kreis der letzten 4 Mannschaften des nationalen Pokalwettbewerbes einziehen. Allerdings kommt nicht nur im Alphabet die Anstrengung vor dem Erfolg, auch für Holt Huntby & Co. gilt: Bevor auf dem Rathausbalkon das Lied von Berlin angestimmt werden darf, muss zunächst einmal Pokalschreck Paderborn aus dem Weg geräumt werden. Nicht ausgeschlossen, dass uns ein denkwürdiger Fußballabend ins Haus steht. Einerseits weil der SCP aktuell zu den offensiv- und heimstärksten Mannschaften der 2.Liga zählt, andererseits weil die Paderborner nicht nur im Pokal schon mehr als einmal Geschichten ála Hollywood produziert haben.

»Und Gott erschuf in seinem Zorn, erst Hollywood, dann Paderborn.«

Bis in das Jahr 1907 führt die Spur des SCP in die Vergangenheit zurück. Nur 4 Jahre nachdem Hollywood in den USA als eigenständige Gemeinde anerkannt wurde, gründete ein Haufen ballverrückter Buben mit der Arminia Neuhaus, den damals ersten Fußballverein im Kreis Paderborn. Als offizielle Geburtsstunde gilt jedoch die Fusion zwischen der TuS Schloß Neuhaus und dem 1.FC Paderborn zum TuS Paderborn/Neuhaus Mitte der Achtziger. Die Metamorphose zum SC Paderborn 07 e.V. wurde dann mit dem ‘97er-Relaunch vollendet. Heute bietet der Verein rund 5.400 Mitgliedern eine sportliche Heimat und zählt immerhin rund 40 Fanklubs. In Los Angeles ist bis jetzt allerdings noch keiner registriert.....

In der Saison 2004/2005 gelang dem "neuen" SCP erstmalig der Aufstieg in die 2. Bundesliga. Die Debütsaison wurde dabei auf einem respektablen 9. Platz abgeschlossen. Von einem kurzen Drittliga-Gastspiel 2008/2009 abgesehen, konnte die Liga fürs Erste kontinuierlich gehalten werden. 2014 gelang dann der bisher größte Coup der Vereinsgeschichte: Aufstieg in die Fußball-Bundesliga. Durch ein 2:1 am letzten Spieltag gegen den VfR Aalen, liefen die Paderborner mit 62 Punkten ganze 2 Zähler vor dem Tabellendritten, der SpVgg Greuther Fürth, über die Ziellinie. Diese durften zur Belohnung in den Relegations-Krimi und scheiterten dort am großen HSV (0:0/1:1). Pierre-Michel Lasogga Fußballgott.

»Unfassbar. Im Fußball ist alles möglich, doch das ist eine Sensation«

So kommentierte Aufstiegsheld Markus Krösche, mit 373 Pflichtspielen zudem Rekordspieler der Paderborner, den damals historischen Augenblick. Nach neun Spieltagen hatte der SCP als Tabellen-16ter lediglich neun Zähler auf dem Konto und galt als Abstiegskandidat Nr.1. Niemand, wirklich niemand hatte dieser Mannschaft ein solch filmreifes Comeback zugetraut. Aufstieg mit einem Mini-Etat von 6(!) Millionen Euro oder umgerechnet 1,75 Lasoggas. Zum Vergleich: Die laufende Saison durfte Krösche, heute Geschäftsführer Sport, mit einem Gesamtetat von immerhin 17 Millionen Euro planen.

Auch im Oberhaus ging das Märchen der "Partyborner" zunächst in die Fortsetzung. Nach 4 Spieltagen hatte das No-Name-Team von Aufstiegstrainer André Breitenreiter stolze 8 Punkte auf dem Konto, war Tabellenführer und Mannschaft der Stunde. Unter anderem wurde bereits im ersten Auswärtsspiel mit einem 3:0 Kantersieg im Volkspark der Skalp des HSV eingesammelt und das 83 Meter-Tor von Moritz Stoppelkamp gegen Hannover 96 wäre gewiss Tor des Jahres geworden, wenn nicht Mario Götze sondern Lionel Messi den Siegtreffer im WM-Finale 2014 erzielt hätte. Wie zu erwarten ging es zwar nicht ganz so erfolgreich weiter - 19 Punkte und Platz 10 zum Ende der Hinrunde waren trotzdem mehr als achtbar.

Die Talfahrt nach dem Jahreswechsel geriet dann allerdings umso heftiger. Ganze 12 Zähler konnten bis zum 33. Spieltag noch eingesammelt werden, Platz 18 die logische Folge. Dennoch wurde es zum Ende erneut spektakulär. Der Spielplan sah es vor, dass zum Saisonfinale der VfB Stuttgart in Paderborn vorspielte. Jene Stuttgarter hatten bis dato nur magere zwei Punkte mehr auf der Habenseite und rangierten auf Platz 16, der 17te HSV stand gar nur ein Pünktchen besser und hatte mit dem FC Schalke 04 einen Hochkaräter vor der Brust. Auch Hannover und Freiburg waren mit ihren 34 Punkten noch in der Verlosung und trafen im direkten Duell aufeinander. So träumte man in der 150.000 Einwohner-Stadt nicht ganz unberechtigt den Traum von der Relegation.

»Was in dieser Mannschaft an Mentalität und Herz steckt, dass sucht in der Bundesliga seinesgleichen.« (Kapitän Uwe Hünemeier)

Dass man sich am Schluss, trotz früher Führung, mit 1:2 gegen die von Huub Stevens betreuten Stuttgarter geschlagen geben musste und somit den SC Freiburg beim Gang in Liga 2 begleitete, war zwar bitter, so richtig störte es an diesem 23. Mai 2015 dennoch kaum jemanden. Im Gegenteil: Mit großem Applaus bedankte sich das Publikum für eine erneut leidenschaftliche Saison. Immerhin gehört Paderborn seitdem zum erlauchten Kreise jener 6 Vereine, denen es “gelang” nach zwischenzeitlicher Tabellenführung abzusteigen.

Eine Auszeichnung die selbst dem HSV noch fehlt, es sei denn, man zählt die "Tabellenführung für eine Nacht" dazu....... Der Dino durfte nach dem 2:0 Heimsieg gegen S04 dafür bekanntlich um ein weiteres Relegationsschweinchen kämpfen, diesmal gegen den Karlsruher SC. Es folgte der epische Spielfilm in 5 Akten. Hennings. Iličević. Yabo. Diaz. Müüüülllller. Tomorrow my friend, tomorrow.

»So ein Abstieg ist ja keine Apokalypse«

Der Vater dieser Botschaft stammt zwar aus Harsewinkel im Kreis Paderborn, hatte aber offensichtlich den Werdegang des SCP nicht wirklich verfolgt. Denn dass, was dort nach dem Abstieg 2014/2015 folgte, ist mit Apokalypse nur unzureichend beschrieben. Der Fahrstuhl kannte ab sofort nur eine Richtung: Nach unten. Trainerheld André Breitenreiter zog es vor in der Bundesliga zu bleiben, um für viel Geld in Gelsenkirchen zu scheitern und keiner seiner Nachfolger bekam die Diva aus Ostwestfalen unter Kontrolle. In Lichtgeschwindigkeit durchgereicht von Liga 1 bis Liga 4. Nur 972 Tage lagen zwischen historischer Tabellenführung und dem sportlichem Armageddon. Tasmania war gestern. Der dritte Abstieg in Folge, ein einzigartiger Negativrekord in der Geschichte des deutschen Fußballs. Das letztlich der Zwangsabstieg von 1860 München verhinderte, dass der SCP im finanziellen und sportlichen Jenseits der 4. Liga verschwand - mehr als ein Geschenk. »Wir sind mit zwei blauen Augen und einem Kieferbruch in der Liga geblieben. Wir haben richtig Schwein gehabt« so Markus Krösche damals. Dem ist nichts hinzuzufügen.

»Der eine ist The Special One, der andere ist The Normal One: I am The New One«

Auch wenn man diesen Satz exakt so, bisher nur einmal bei einer Trainer-Vorstellung in der Stadt mit dem kürzesten Fluss Deutschlands, der Pader (4 km), zu hören bekam, lässt sich festhalten, dass der Oscar für den nächsten Hoffnungsträger dort ähnlich inflationär verteilt wird, wie die Abfindungen in der Hansestadt Hamburg. So zählt man in diesem Jahrtausend bereits satte 21 Cheftrainer beim SCP (HSV 24). Darunter befinden sich neben Legende Breitenreiter so bekannte Namen wie Pavel Dotchev, Jos Luhukay, Holger Fach, André Schubert oder Roger Schmidt. Für längere Zeit der absoluter Blockbuster bleibt wahrscheinlich dennoch eben jener "New One", besser bekannt als "The Middle Finger" Stefan Effenberg.

Der Tiger übernahm den schlingernden Bundesliga-Absteiger am 9. Spieltag der Saison 2015/2016 auf Platz 15. Mit riesigem Bohai und Trommelwirbel wurde Effe am 14.10.2015 in Paderborn vorgestellt. Gewohnt flapsig und selbstbewusst begrüßte er die wartende Journaille wie es sich für den Messias gehört: »Ja, ich bin es wirklich!«. Auch hatte er wenig Zweifel daran, dass er den Verein retten würde, schließlich durfte er in seiner Karriere unter den größten der Branche trainieren. »Man wird schnell sehen, was meine Handschrift ist. Die Menschenführung ist das Wichtigste. Und da hatte ich mit Ottmar Hitzfeld den besten Lehrer«. Sein Start nährte dann tatsächlich die Hoffnung, dass es ihm gelingen würde »die Jungs wieder zu Helden zu machen«. 2:0 im ersten Heimspiel gegen Braunschweig, 2:0 im ersten Auswärtsspiel bei Union Berlin. Der SCP war wieder da!

Typischer Fall von Flötepiepen.

Der erste Rückschlag wartete kurz darauf im DFB-Pokal-Achtelfinale. 1:7 wurden die Paderboys bei den Borussen aus Dortmund zerpflückt. Es folgte ein Untergang, der sogar Bernd Hollerbach vor Neid erblassen ließe: 12 sieglose Spiele in der Liga, Absturz auf Platz 17, die Genitalien-Affäre des Nick Proschwitz, eine 1,4 Promille Oktoberfest-Alkoholfahrt nebst Führerscheinentzug, wegen Disziplinlosigkeit suspendierte Spieler, ein ungültiger Trainerschein dank verpasster Nachschulungen. Den finalen Akt lieferte Effenberg dann in seiner unnachahmlichen Weise, direkt vor dem Auswärtsspiel beim KSC, als er seine Verfehlungen vor laufender Kamera mit der Aussage: »Ich habe keinen Führerschein, meine Trainerlizenz ist abgelaufen. Aber ich habe einen guten Stoffwechsel und einen Bootsführerschein. Von daher ist alles in Ordnung« ins Lächerliche zog. Der Kahn war voll, das Fass ebenfalls. Paris, Athen, auf Wiedersehen. Keine fünf Monate im Amt, hatte der Tiger schon wieder ausgebrüllt.

»Der komplette Verein hat versagt.« (Moritz Stoppelkamp)

Für die Rettung allerdings kam die Einsicht, dass Effenberg so überhaupt nicht in das ostwestfälische Mittelstandsmilieu passte, etwas zu spät. So blieb seinem Nachfolger, dem Ex-Spieler René Müller, nur noch die Rolle des sportlichen Insolvenzverwalters. Der zweite Abstieg innerhalb eines Jahres war nicht mehr zu verhindern. Was bleibt, ist eine Blaupause für jede Vereinsführung, wohin inkompetente Entscheidungen in Sachen Management und Außendarstellung innerhalb kürzester Zeit führen können.

»En Isel, dei Dukoten schitt, Diän hett wey Paderbüörnsken nit.«

Anders als in Hamburg wurde in Paderborn Berichten zufolge noch nie ein Dukatenesel gesichtet. Was kein Nachteil sein muss, da diese Spezies bekanntlich gerne Ihre Münzen nach einiger Zeit, in Form von üppigen Abfindungen, wieder aus der Stadt zu tragen pflegt. Aber ähnlich wie in der Hansestadt, haben auch die Ostwestfalen mehr als einmal ihr Überleben einem Geldgeber, Fan und Förderer zu verdanken. Der Name dieses kühnen Unternehmers lautet Wilfried Finke. Sein Vermögen verdiente er dabei weder als Gurkenimperator, noch im Speditionsgeschäft, sondern einzig mit dem Verkauf von Möbelstücken. Über 20 Jahre war sein Leben eng mit den Geschicken seines Heimatvereins verbunden und wie kein Zweiter zeichnet er sich für das verantwortlich, was den SCP heute ausmacht - auch wenn nicht jede seiner Entscheidungen zum Erfolg führte.

»Bis auf das eine Jahr in der Bundesliga hätte der Verein ohne mich in keiner einzigen Saison die Lizenz erhalten«

Immer wieder "ordnete" Finke die Finanzen des Klubs, setzte gegen viele Widerstände den Bau der neuen Arena durch, engagierte sich maßgeblich beim Bau des Nachwuchsleistungszentrums und war immer zur Stelle wenn Bürgschaften, Kredite oder zusätzliche Werbeverträge gefragt waren. Hauptsponsor, Visionär, Strippenzieher, langjähriger Präsident und Patriarch in Personalunion. Der SC Paderborn 07 war seine Leidenschaft, sein Lebenswerk, sein "drittes Kind", wie er gerne betonte. Im Sommer 2018 plante er dann den Rückzug ins Private. Er trat als Präsident des SCP zurück, um den Klub in die Eigenständigkeit zu entlassen. Im Herbst folgte der Verkauf seines Unternehmens an die Krieger-Gruppe ("Höffner"). Er wollte seinen Nachlass geregelt sehen, seine Kinder gut versorgt wissen und hoffte den neuen Lebensabschnitt auf seiner Lieblingsinsel Mallorca noch ein paar Jahre genießen zu können. Wie so oft im Leben kam es anders. Wilfried Finke verstarb am 15.01.2019 nach schwerer Krankheit im Alter von 67 Jahren. R.I.P., alter Quergeist.

Paderborn, erhebe dich und lauf! Paderborn, denn Helden geb’n nie auf!

Ob Finke die Zeilen der Vereinshymne gesummt hat, als er im Frühjahr 2017, den nächsten Abstieg vor Augen, kurzerhand die komplette sportliche Führung austauschte, ist nicht bekannt. Fest steht, dass diese Personalien ein echter Glücksgriff wurden. Zwar konnte der sportliche Niedergang in der Saison 2016/2017 von Neu-Sportdirektor Markus Krösche und Neu-Trainer Steffen Baumgart nicht mehr gestoppt werden, der anschließende Höhenflug allerdings, ist definitiv eng mit der Amtsübernahme dieser beiden verbunden. Der eine baute aus ein paar rostigen Knöpfen einen schlagkräftigen Kader, dem anderen gelang es, hieraus wieder ein kreatives Kollektiv mit Siegermentalität zu formen.

»Mit 1:0-Verschiebebahnhof-Fußball kann ich nichts anfangen.«

Nur selten lassen sich Aussagen zur Philosophie eines Trainers derart beeindruckend belegen, wie im Falle des 47-jährigen Steffen Baumgart. Schon auf seiner ersten größeren Station beim Berliner AK 07 sammelte er in der Regionalliga Nordost in 39 Liga-Spielen satte 83 Punkte (Schnitt 2,13) und durfte 71 mal ein Tor seiner Jungs bejubeln (Schnitt 1,82). In Paderborn stehen seit seinem Amtsantritt 138 Punkte (Schnitt 1,97) und 157 Tore (Schnitt 2,24) in 70 Liga-Spielen zu Buche. Der ehemalige Stürmer (u.a. Hansa Rostock, Union Berlin, Energie Cottbus) liebt das Spektakel. Beispiele gefällig? - 5:3 in Köln, 4:4 gegen Magdeburg, 3:3 gegen Sandhausen, 4:4 gegen Kiel, 5:1 in Heidenheim, 6:2 gegen Darmstadt, 6:0 gegen Fürth, 3:2 nach 0:2 beim Heimspektakel gegen den Effzeh. Letzter Leistungsnachweis der wilden Kerle war der Sieg bei Union Berlin, als man der besten Abwehr der Liga im eigenen Stadion mal eben drei Kirschen einschenkte. »Bei uns ist immer Feuer auf der Platte«, so Baumgart. Tatsächlich mehr als eine Attitüde.

»Wir suchen Spieler nach Ihren Fähigkeiten aus, nicht nach Namen. Der Name kommt durch Leistung ganz von selbst.«

Auch in der Kaderplanung passen Anspruch und Wirklichkeit im Moment perfekt zueinander. So landete Markus Krösche mit seinen No-Name-Transfers einige Volltreffer. Paradebeispiel: In der Winterpause 17/18 holte Krösche seinen aktuellen Top-Scorer (13 Tore / 6 Assists) Philipp Klement (26) ablösefrei aus Mainz zum SCP. Aktueller Marktwert: 2,5 Millionen Euro, Tendenz steigend. Aber auch die anderen “Juwelen” wie TW Leopold Zingerle (24, ablösefrei), LV Jamilu Collins (24, ablösefrei), ZM Sebastian Vasiliadis (21, ablösefrei) oder RA Bernhard Tekpetey (21, 150T€) zeigen, welch feines Händchen Krösche hat. Es gehört nicht viel Fantasie und Mut dazu, um zu behaupten, dass der ein oder andere schon nächste Saison in jedem Fall erstklassig spielen wird und damit ganz nebenbei einige Dukaten in die Paderborner Portokasse spült. Der Gesamtmarktwert des 30 Mann-Kaders beträgt zur Zeit 16,85 M€ (HSV 58,8 M€) und glänzt insbesondere durch seine Unberechenbarkeit. So konnten sich in dieser Saison bereits 15 Spieler der Paderborner Wild-Boys in die Torschützenliste der 2.Liga eintragen (HSV 10).

»Das hat Schwimmbad-Niveau. Wenn ich das sehe, fühle ich mich wie bei einem Dorfverein. Hier laufen Kinder auf dem Platz, hier fahren Fahrräder, Hunde pinkeln in die Ecke. Ich bin richtig angepisst und habe die Schnauze voll!«

Mit deutlichen Worten prangerte André Breitenreiter im Oktober 2014 den damaligen Zustand der Trainingsplätze an. Dass er diese Aussage genau zu einem Zeitpunkt tätige, als die Verhandlungen zwischen Verein und Stadt über ein neues Gelände mal wieder ins Stocken geraten waren und parallel der SCP die Bundesliga aufmischte - ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Im Januar 2016 wurde dann tatsächlich das neue, 8 Millionen Euro teure Trainingszentrum für Nachwuchs und Profis feierlich eingeweiht. Einzig für Breitenreiter kam es zu spät. Steckste nicht drin.

Einen Steinwurf entfernt von den extra-feinen Trainingsplätzen, befindet sich die Benteler-Arena, seit 2008 das Wohnzimmer der Ostwestfalen. Das reine Fußballstadion bietet 15.000 Zuschauer Platz (9.200 Steh-/5.800 Sitzplätze) und kostete inkl. Infrastruktur rund 25 Millionen Euro. Eigentümer und Betreiber ist die Paderborner Stadion GmbH, mit Abstand größter Investor ist die Familie Finke mit 43,36 Prozent. In dieser Saison bestritt der SCP bisher 15 Pflichtspiele in seinem Schmuckkästchen, errang dabei 8 Siege, spielte 6 mal Remis und verlor nur das Duell gegen den FC St.Pauli mit 0:1. Die Torhymne der Scheunenrocker "Hermann Löns, die Heide brennt!" ertönte bereits 41 mal, in 22 Fällen kam Stadionsprecher Jürgen Lutter nicht umhin einen Treffer der Gäste zu verkaufen. Der Zuschauerschnitt liegt zurzeit bei rund 11.000 und wird dank der beiden ausverkauften Heimspiele gegen den HSV sogar noch ein wenig steigen. Nur in der Bundesliga-Saison pilgerten mehr Fans zu den Vorstellungen des SCP (14.859). Ein weiterer Beleg, dass die gute Arbeit von Krösche und Baumgart die Euphorie neu entfachen konnten.

»Das Ziel ist es, nach Berlin zu kommen.« (Gotoku Sakai)

Um die Mission Pokalsieg Nr. 4 nicht zu gefährden, müsste der HSV nach Erndtebrück (5:3), Wiesbaden (3:0) und Nürnberg (1:0) nun also den SC Paderborn 07 aus dem Wettbewerb kegeln. Der SCP seinerseits, würde nach Siegen gegen Ingolstadt (2:1), Chemie Leipzig (3:0) und Duisburg (3:1) mit einem Triumph gegen den FC Bayern der zweiten Liga erstmals ins Halbfinale des DFB-Pokals einziehen. Beide Teams standen sich in der Historie bisher insgesamt 4 mal gegenüber, 2 Siege hüben, 2 Siege drüben. Im letzten Match vor knapp vier Monaten, setzte sich der HSV im Volkspark, durch ein Tor von Khaled Narey, denkbar knapp mit 1:0 durch. Das denkwürdigste aller Duelle fand jedoch ohne Frage am Samstag den 21. August 2004 im Hermann-Löns-Stadion zu Paderborn statt. Die meisten der 7027 Besucher hofften an diesem Tag im DFB-Pokal einer jener Überraschungen beiwohnen zu dürfen, die dieser Wettbewerb Jahr für Jahr bereit hält. David gegen Goliath, Regionalliga gegen Bundesliga, Klempner gegen Nationalspieler, Currywurst-Verkäufer gegen Millionär. Was sie dann allerdings zu sehen bekamen, war alles andere als eine dieser typischen Pokalsensationen. Aber der Reihe nach.

»Hier ist doch was faul.« (Toppmöller nach 20.min zum Linienrichter)

Mit großen Hoffnungen waren Klaus Toppmöller und der HSV in die Saison gestartet. Nach dem traditionellen Fehlstart in der Liga, mit zwei Niederlagen (H 0:2 Bayern, A 1:2 Mainz) sowie Platz 18, wollte man sich zumindest im Pokal ein wenig Selbstvertrauen zurückholen. Folgende Elf hatte Toppi für diese Aufgabe auserkoren: Martin Pieckenhagen, Stefan Beinlich, Bastian Reinhardt, Daniel van Buyten, Raphael Wicky, Christian Rahn, David Jarolim, Mehdi Mahdavikia, Sergej Barbarez, Benjamin Lauth und Emile Mpenza. Und seine Jungs legten los wie die Hinterknittelbacher Feuerwehr. Zügig führte man durch Tore von Rahn (13.) und Mpenza (30.) mit 2:0. Alles lief nach Plan.

»Die Vorwürfe sind haltlos.« (Hoyzer über die Aussagen Toppmöllers)

Dann der erste Aufreger: Strafstoß für Paderborn. Rahn soll den Kapitän des Regionalliga-Tabellenführers Steve Waterink nach einer Ecke elfmeterwürdig gefoult haben. Hätte es 2004 schon die Kölner-Kellerkinder gegeben, sie hätten müde gelächelt, eine handvoll Knusper-Erbsen genascht und den Pfiff von Schiedsrichter Robert Hoyzer zurückgenommen. So aber verwandelte Guido Spork sicher unten links zum 1:2 (36.). Auf dem Weg zum Anstoßkreis gleich der nächste Rückschlag für den HSV. Nach kurzer Unterhaltung mit dem Mann in gelb-schwarz durfte Emile Mpenza sich auf dem Weg zu den Duschen machen. Rot wegen Schiedsrichterbeleidigung.

»Der Elfmeter war der Knackpunkt.« (Toppmöller nach dem Spiel)

Von dort an war das Spiel ein anderes. Der HSV verunsichert, haderte mit sich und der Welt. Paderborn dagegen legte seine Nervosität ab und glaubte fortan an den Triumph. Folgerichtig erzielte Stürmer René Müller noch vor der Pause per Kopf den 2:2 Ausgleich (41.). Das Stadion kochte. Sollte das Märchen wirklich wahr werden?

»Spielt ihr nur so weiter, den Rest mache ich schon.« (Hoyzer in der Halbzeit zu den Spielern vom SCP)

Und in der 63.Minute war es dann soweit. Inzwischen völlig von der Rolle, leistete sich Daniel van Buyten einen haarsträubenden Fehler im eigenen 16er und ermöglichte Daniel Cartus somit das viel umjubelte 3:2. Das Spiel war gedreht. In Unterzahl spielend und mit einem Rückstand im Nacken, fand der HSV kein Rezept mehr gegen die motivierte, vielbeinige Hintermannschaft der Ostwestfalen - die Blamage nahm seinen Lauf.

»Reg' dich nicht so auf, deine Zeit ist eh längst abgelaufen.« (Hoyzer nach seinem Elfer-Pfiff zu Sergej Barbarez)

8 Minuten vor Schluss dann die endgültige Entscheidung. Bei einem harmlosen Zweikampf im Strafraum mit Bastian Reinhardt fiel Alexander Löbe wie vom Blitz getroffen auf den Rasen des Hermann-Löns-Stadions. Gelb für Reinhardt, Elfmeter für Paderborn. Hoyzer hatte seinen Spaß. Im Kölner Keller hätte man sich spätestens jetzt eingenässt. Auch dieses Geschenk nahm Guido Spork dankend an und verwandelte zum 4:2 Endstand.

»Das soll keine Ausrede dafür sein, dass wir das Spiel verloren haben, aber es sind Dinge vorgefallen, da verliere ich den Glauben an die Gerechtigkeit im Fußball« (Toppmöller nach dem Pokal-Aus)

Der Underdog war eine Runde weiter, der Hamburger SV bis auf die Knochen blamiert, die Fußballnation feixte sich mal wieder genüsslich ins Fäustchen und die Boulevardpresse begleitete das Schauspiel mit den üblichen, schadenfrohen Schlagzeilen. Nicht zuletzt weil ein sichtlich angefressener Toppmöller noch auf dem Weg in die Kabine angekündigt hatte, dass man das Auftreten von Schiedsrichter Robert Hoyzer beim Deutschen Fußball-Bund melden werde. Welch schlechte Verlierer diese Pfeffersäcke von der Elbe doch waren.

Der Rest ist nicht weniger als ein Stück deutsche Sportgeschichte.

Klaus Toppmöller wurde 2 Monate nach dem Aus im Pokal wegen Erfolglosigkeit auf Platz 18 beim HSV entlassen. Er bekam in den folgenden Jahren nie mehr einen Trainer-Job in der Bundesliga. Am 22. Januar 2005 machte der DFB den „Fall Hoyzer“ öffentlich, im November wurde der damals 26-jährige vom Berliner Landgericht wegen Beihilfe zum Betrug zu zwei Jahren und fünf Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Im Mai 2007 tritt Hoyzer seine Haftstrafe an, kommt aber am 18. Juli 2008 vorzeitig aus dem Gefängnis frei. Der HSV erhält vom DFB zwei Millionen Euro als Entschädigung für das verschobene Pokalspiel, zudem beschloss der Verband ein Wettverbot für alle im Fußball involvierten Personen. Bei Toppmöller aber, hat sich bis heute niemand der Beteiligten entschuldigt.

»Da ist alles drüber gesagt. Das ist jetzt schon 15 Jahre her und interessiert kein Schwein mehr.«

Markus Krösche, Teil der damaligen Paderborner "Pokalhelden", spricht nicht gerne über die Geschehnisse rund um die Vergangenheit. Und so richtig er damit liegt, dass die “Dönekens” aus grauen Vorzeiten, auf dem Platz im Hier und Jetzt keine Rolle mehr spielen, so wichtig ist es in meinen Augen, die wilde Reise zu verstehen, die beide Vereine in den letzten Jahren hingelegt haben. Auf der einen Seite der “Provinzklub”, der heimlich von der großen Bühne träumt, aber noch im Sommer 2017 mit beiden Beinen im Nichts der 4.Liga stand. Auf der anderen Seite der “Big Player”, der im selben Sommer noch 19 Millionen Euro für Neuzugänge der Marke André Hahn verpulverte und jetzt versucht in der Provinz von Liga 2 zu überleben. Tatsache ist, dass nicht nur SCP-Trainer Steffen Baumgart die Chancen auf ein Weiterkommen der Kontrahenten auf realistische 50 zu 50 beziffert. Und warum? Ganz einfach: Es begegnen sich zwei Mannschaften auf Augenhöhe.

Und “Der Pokal hat seine eigenen Gesetze” hin oder “In einem Spiel ist alles möglich” her - Egal wem der finanziell erstrebenswerte Einzug ins Halbfinale gelingt, egal ob die Freude über einen Sieg für den Augenblick so manch dunkle Schmach vergessen ließe oder ein bitteres Ausscheiden wieder mal an sämtlichen Protagonisten zweifeln lassen würde - Wir alle tun gut daran, uns der Realität auch nach dem Spiel bewusst zu bleiben.

 

»Die Vergangenheit kann uns nicht sagen, was wir tun, wohl aber, was wir lassen müssen.« (José Ortega y Gasset)

In diesem Sinne: The Winner Takes It All!

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