2. Januar 2019
Das neue Jahr bei uns beginnt - und es beginnt vergleichsweise ruhig. Obwohl es nur noch etwas mehr als zwei Wochen bis zur Wahl des Präsidenten für den e.V. sind, sind die Kandidaten selbst weiterhin ruhig. Ebenso kommt der Transfermarkt ohne den HSV aus. Denn laut kann hier vom HSV eh keiner werden, dafür fehlen bekanntermaßen die Finanzen. Und verkauft wird derzeit auch nicht, dafür soll aber verhandelt werden: Mit Barry Jatta. Der Vertrag des Gambiers läuft am Saisonende aus und soll verlängert werden. Und ich weiß nicht, ob es der Umstand ist, dass in den letzten Jahren in der Regel mehr Personalien diskutiert wurden. Aber die Tatsache, dass Jatta hier für wiederholte Titelgeschichten sorgt, bevor überhaupt eine Entscheidung bezüglich seines Vertrages gefallen ist, das verwundert mich. Mehr noch: Es ist meiner Ansicht nach deutlich zu viel Theater um einen Fußballer, der als Typ ganz sicher eine außergewöhnliche (Lebens-)Geschichte erzählen kann - der aber sportlich zweifelsfrei limitiert ist. Trotz erkennbarer Steigerung.
Nein, Jatta ist für den HSV in der Zweiten Liga sicher ein interessanter Spieler. Zumal in der aktuellen Verfassung. Aber bei der Frage, ob er für die nächsten Jahre ein wichtiger Spieler im Gesamtkonstrukt sein wird, müssen die emotionalen Aspekte hintenanstehen. Hier darf es nur darum gehen, was Jatta kann. Zum Beispiel, dass er körperlich sehr robust, sehr schnell und sehr lernwillig ist. Aber es muss eben auch darum gehen, dass er spielerisch limitiert ist und taktisch noch dazulernen muss. Und natürlich darum, ob diese Qualitäten auch für den Fall des Aufstieges in der Ersten Liga ausreichen.
Und ich bin mir ehrlich gesagt auch ganz sicher, dass sich Sportvorstand Ralf Becker auch nicht treiben lassen wird, sondern genau so rational an die Sache herangeht. Weder von der öffentlichen Sympathie für Jatta, noch vom medial übertrieben wirkenden Hype um den Angreifer. Nein, Becker muss seine Ressourcen sehr gezielt einsetzen. Gezielter denn je. Und deshalb wird er ganz genau schauen, inwieweit Jatta besser als andere Spieler ist. Ist er es, bekommt er einen neuen Vertrag (und wohl mehr Geld). Ist er es nicht, wird er bestmöglich ausgetauscht und wird gehen müssen. So unromantisch funktioniert der Profifußball nunmal. Und dessen sind sich die Protagonisten alle sehr bewusst. Spieler wie Funktionäre.
Apropos: Über einen ehemaligen Spieler habe ich heute Morgen im ersten MorningCall 2019 gesprochen: Rafael van der Vaart. Der Niederländer ist glücklich in Dänemark bei seiner Freundin Estefania, dien in Esbjerg Handball-Spielerin in der Ersten Liga ist. Dass es sein erstes Jahr ohne aktiven Fußball sein wird, scheint van der Vaart gut verdaut zu haben. Wie es weitergeht, ist bei ihm noch unklar. So habe er mehr Zeit für die Dinge, die sonst immer wieder zu kurz gekommen sind. Van der Vaart will als TV-Experte Termine wahrnehmen und häufiger wieder im Volksparkstadion den HSV-Spielen beiwohnen - und da kommt bei mir wieder einmal ein Gedanke hoch, den ich schon häufiger an dieser Stelle formuliert habe: Wieso bitte bindet man van der Vaart nicht jetzt schon beim HSV ein?
Der FC Bayern hat es mit Hasan Salihamidzic vorgemacht, und ich glaube der HSV kann das auch: Sich auch Führungskräfte selbst ausbilden. „Brazzo“ war knapp zwei Jahre Assistent des Sportchefs und im Scouting aktiv. Er hat von Uli Hoeneß Einblick in alle relevanten Bereiche bekommen und gelernt. Wie genau das beim HSV aussehen soll? Ganz einfach: Van der Vaart wird ab sofort so ins Scouting eingebunden, dass er auch in Sachen Kaderplanung alle Abläufe und Mechanismen mitbekommt. Je kleiner die Möglichkeiten und dass hier tieferkqlassig gearbeitet werden muss, sehe ich nicht einmal als Nachteil. Denn das Fußball-Business auf höchstem Niveau hat der Vize-Weltmeister und Ex-Real-Madrid Profi als Weltklassespieler selbst gut mitbekommen. Er weiß um den Habitus von Sportchefs, Beratern, den Vereinen und den Spielern. Dass er auf dem Platz ein Stratege war kann sicher hilfreich sein - es bedeutet aber nicht automatisch, dass es der Niederländer auch hier ist. Aber selbst wenn nicht, zum Glück kann man die notwendigen Strategien lernen. Und sicher ist mal, dass ich van der Vaart für einen sehr intelligenten, eloquenten Fußballer halte und fest davon überzeugt bin - das ist in diesem Fall im Gegensatz zu Vertragsverhandlungen für mich ganz wichtig -, dass er den HSV wirklich im Herzen trägt und so eine hohe Portion Leidenschaft und Motivation mitbringen würde, um den HSV wieder aufzubauen.
Vor allem aber - und jetzt kommt wieder der unromantische Teil - ist van der Vaart ein Fußballexperte, auf den die Leute hören. Vereine kennen ihn und wissen, was er erreicht hat. In den Niederlanden sowieso - aber auch sonst in ganz Europa und den anderen großen Ligen kennt man van der Vaart. Er wäre bestens dafür geeignet, die Geschichte vom kleinen Rafael zu erzählen, der sich durch die Jugend eines großen Vereines (Ajax Amsterdam) bis ins Profigeschäft und letztlich von Hamburg aus in die europäische Fußballspitze gearbeitet und entwickelt hat. Er kann junge (am besten Top-)Talente sicher noch besser überzeugen, als eine Ralf Becker, ein Johannes Spors oder sonstwer aus dem HSV-Scouting, weil er weiß, wovon er spricht.
Van der Vaart bringt tatsächlich alles mit, was der HSV brauchen kann. Er müsste sich hier in Hamburg gar nicht erst groß einleben, weil er alles kennt. Er ist smart, er bringt eine große Portion Herzblut und Identifikation für den HSV sowie die Expertise als Spitzenfußballer und die Authentizität gegenüber jungen Talenten mit. Und er wird weltweit als Fußballexperte ernstgenommen. Ich behaupte einfach mal, dass es nicht viele Vereine auf diesem Planeten gibt, die bei van der Vaart sofort wieder auflegen. Und für alle, die jetzt sagen, damit holte sich Becker vielleicht seine eigene Ablösung ins Haus, denen sei gesagt: Wer Angst vor Stärke hat, bleibt schwach. Mehr noch: Wenn er es richtig gut macht und sich mit van der Vaart ergänzt, wächst sein Netzwerk und seine Reputation dadurch nur exponentiell schneller. Van der Vaarts Telefonnummer wäre auf jeden Fall eine der ersten gewesen, die ich als neuer Sportvorstand angerufen hätte.
Achja, und ganz nebenbei sei auch noch erwähnt, dass Klaus Michael Kühne und seine Frau große Fans von van der Vaart sind. Aber wie gesagt, das wirklich nur Vals Randaspekt. Denn schöner wäre es, wenn der HSV seinen aktuell eingeschlagenen Weg weg von teuren Investoren weitergeht - möglicherweise ja mit van der Vaart, der zum einen die Qualität erhöhen könnte. Ganz sicher aber würde er den Wunsch nach Einbindung ehemaliger HSVer sinnvoll erfüllen und nach seiner Zeit als Aktiver auch auf Funktionärsebene eine Art Türöffner für den HSV werden.
Fußballerisch war van der Vaart für mich (kurz nach Zé Roberto) das Beste, was der HSV in den letzten 18 Jahren im Mittelfeld anzubieten hatte - womit ich auf den vierten Teil unseres Rückblickes überleiten möchte, denn der dreht sich um das offensive Mittelfeld. Denn hier kommt man natürlich nie an die Qualität vergangener Tage ran - aber der HSV ist hier gut aufgestellt. Für den Moment. Denn Aaron Hunt ist (dreimal auf Holz geklopft) bislang dauerhaft gesund und in Spiellaune. „Ich weiß, dass es ein harter Gang wird“, hatte sich Hunt schon im Trainingslager kämpferisch gegeben und hinzugefügt: „Aber die Herausforderung nehme ich an. Ich fühle mich verantwortlich und möchte Verantwortung übernehmen.“ Gesagt, getan. Hunt stand in 16 von 18 Partien in der Startelf und spielte achtmal durch. Und das zumeist gut. Die acht Auswechslungen, die in den letzten Viertelstunden vollzogen wurden, waren dabei sogar oft diskutabel wie ich meine. Zumindest hätte ich ihn in einigen Spielen durchspielen lassen, wie beispielsweise gegen Union Berlin, wo er das letzte mal ausgewechselt wurde.
Eine Ernährungsumstellung soll ein Schlüssel zur neuen Fitness sein. Sagt Hunt. Und ich persönlich glaube, dass der 32-Jährige mit der Kapitänsbinde und dem vermasselten Klassenerhalt einen Motivationsschub bekommen hat, sich hier noch mal zu zeigen und zu beweisen, dass das bis dahin gezeigt nicht alles war. Nachdem er die Jahre davor mehr als Teilzeitverstärkung zu sehen war, ist Hunt inzwischen Denker und Lenker in der Offensive. Extrem gut unterstützt von Sechser Orel Mangala, Achter Lewis Holtby sowie den beiden oft sehr offensiv agierenden Außenverteidigern. Aber das größte Plus für Hunt waren die endlich wieder schnellen Offensivspieler. Khaled Narey und Hee-chan Hwang mit Pierre Michel Lasogga in der Spitze oder wie zuletzt noch besser mit Jatta statt Lasogga über links und Hwang im Sturmzentrum - Hunt hatte immer Angreifer vor sich, die mit Bällen in den Raum gut bedient waren und ihren Gegnern Meter abnehmen konnten. Kurz: Er hat endlich dankbare Abnehmer für seine Bälle. Insbesondere, wenn es zu einem schnellen Umschaltspiel kam, waren die schnellen Außen optimale Passempfänger.
Vor allem aber ist der HSV in der Zweiten Liga deutlich mehr in Ballbesitz. Und Hunt wird gesucht. Er ist ein Spieler, der den Ball halten kann, ihn absichert und viele Pässe an den Mann bringt. Kurz gesagt: Hunt stellt für alle seine Mitspieler in jeder Situation eine Lösung dar. Er führt das Team - wie ein Kapitän und Spielgestalter es führen soll. Die Frage bei Hunt ist nur, was passiert, wenn der HSV wieder aufsteigt. Denn dann wird der Ballbesitz zurückgehen, die Außenstürmer besser zugestellt sein - und Hunt zweifellos nicht schneller werdende Handlungsgeschwindigkeit wird auffälliger. In der aktuellen Verfassung wahrscheinlich nicht so deutlich wie in den letzten Jahren - aber erkennbar. Von daher ist der HSV sehr gut aufgestellt - aber vorerst nur für den Moment. Die Suche nach einem Nachfolger (Mein Tipp: Philipp Klement von Paderborn wäre die Mühen sicher wert) muss schon jetzt vorangetrieben werden. Nicht erst, wenn der HSV aufgestiegen oder Hunt Vertrag ausgelaufen ist.
Ebenfalls in den letzten Jahren eher enttäuscht hatte Lewis Holtby, der erst ab Saisonende 2017/2018 unter Christian Titz noch mal zu alter Form fand. Unter dem inzwischen durch Hannes Wolf ersetzten Trainer brachte es Holtby auf sieben Treffer in 15 Einsätzen. In dieser Saison fiel Holtby zweimal verletzt aus und spielte Holtby 16mal von Beginn an. Dabei war er immer sehr fleißig, was Laufpensum, Ballkontakte und die Zweikämpfe anbelangt. Allein in Sachen Torgefahr hat er in den letzten Spielen unter Wolf wieder abnehmende Tendenz. Ein Treffer und ein Assist, dazu fünf Auswechselungen in acht Spielen unter Wolf - das ist die letzte Bilanz, die auch Holtby nur bedingt zufriedenstellen wird.
Fakt ist aber auch, dass Holtby trotz seiner oft hyperaktiv wirkenden Art einer der Spieler ist, die immer Vollgas gehen. Das „Duracell-Männchen“, wie er im Mannschaftskreis genannt wurde/wird, ist zudem einer der Stimmungsmacher im Team, im positiven Sinne. Der Linksfuß, dessen Vertrag im Sommer ausläuft, ist für die Musik verantwortlich und „echt immer gut gelaunt“, wie Mitspieler Khaled Narey schnell festgestellt hatte. „Er ist ein sehr positiver Typ mit viel Enthusiasmus“, hatte Sportchef Ralf Becker bei Holtbys Vertragsverlängerung im Sommer gesagt und ergänzt: „Mit seiner Erfahrung und seiner Qualität ist ein ganz wichtiger Bestandteil der Mannschaft.“ Ob und inwieweit das auch über den Sommer hinausgehen wird, ist offen.
Sicher weiter dabei bleiben sollen Khaled Narey, Fiete Arp und eventuell auch Bakery Jatta, während Hee-chan Hwang und Pierre Michel Lasoggas Verträge auslaufen. Ob Tatsuya Ito, der unter Wolf bislang gerade 23 Minuten Zweitligaluft schnuppern durfte, bleiben wird, ist trotz Vertrages bis 2021 offen. Aber zu diesen ganzen Namen und dem Angriff an sich morgen mehr. Bis dahin, Euch allen noch einen schönen Mittwochabend. Wir hören uns morgen früh wieder im MorningCall und lesen uns morgen Abend hier.
Bis dahin!
Scholle