Marcus Scholz

2. August 2020

„Der Neuanfang“ – Klappe Nummer…., ich weiß es schon gar nicht mehr. Aber es geht wieder los. Morgen früh, am Montagmorgen, treffen sich der neue Trainer Daniel Thioune, dessen Assistenten Melvin Polzin und Hannes Drews das erste Mal mit der gesamten Mannschaft zur Sommervorbereitung auf die Saison 2020/2021. Es wird ein Zusammentreffen sein, bei dem es darum gehen wird, erst einmal die Basis für die Vorbereitung zu legen. Kennenlernen, grundsätzliche Abläufe besprechen, Termine ankündigen und per Leistungstests den körperlichen Status Quo der Spieler ermitteln. Viel mehr wird es erst einmal nicht sein. Oder besser gesagt: viel mehr wird es noch nicht sein können, denn es gibt noch viele  offene Fragezeichen. Terminlich gab es nach Bekanntwerden der ersten beiden Testspiele gegen Hansa Rostock (09.08.2020) sowie gegen den VfB Lübeck am 14. August (beide Spiele in Hamburg unter Ausschluss der Öffentlichkeit) inzwischen das dritte Testspiel in der letzten Woche vor dem ersten Pflichtspiel im Pokal bei Dynamo Dresden. Berliner Meldungen zufolge testet der HSV am 5. September  (wieder in Hamburg unter Ausschluss der Öffentlichkeit) gegen den Bundesligisten Hertha BSC. Ein letzter Härtetest, bevor es dann wieder losgeht.

Bislang scheint die Vorbereitung sowohl bei den Testspielen wie auch bei den Trainingseinheiten unbeobachtet bleiben zu müssen. Wie ich erfahren habe, ist der HSV bemüht, bei der Stadt eine teilweise Zulassung von Zuschauern zu ermöglichen – aber hier steht ein positiver Bescheid noch nicht an. Am meisten Fragezeichen aber liefert noch der Kader. Und hier rechnen die Verantwortlichen um Sportvorstand Jonas Boldt sowie Sportdirektor Michael Mutzel mit späten Entscheidungen. Bis zum letzten Tag der Transferperiode, die bis zum 5. Oktober verlängert wurde, könne sich die Planung hinziehen, so Boldt.  Und das betrifft selbstverständlich die Zu- wie auch die möglichen Abgänge gleichermaßen. Tim Leibold hatte zwar gesagt, dass er bleiben wolle. Aber wie schnell sich derartige Ansagen bei unerwarteten Angeboten ändern, wissen wir alle. Zudem stehen mit Julian Pollersbeck und Lukas Hinterseer zwei Spieler seit einigen Wochen bereits mit einem Preisschild im Schaufenster des HSV, der finanziell weiter auf neue Möglichkeiten warten muss, um seinerseits nach Wunsch tätig zu werden.

Pollersbecks Verbleib ist weiter unklar

Im Tor wartet der HSV weiter auf einen Abnehmer für Julian Pollersbeck, den man einst für rund drei Millionen Euro verpflichtet hatte, und den man jetzt mit einem knackigen Werteverlust schon bei rund einer Million Euro Ablöse ziehen zu lassen. Problem hierbei: Bislang bietet niemand so viel. Erstligist Union Berlin soll weiter auf der Suche nach einer neuen Nummer eins an Pollersbeck interessiert sein. Der HSV-Keeper seinerseits ebenso. Und allein das bisherige Szenarion lässt eine Zusammenarbeit mit dem Keeper als Nummer eins schwierig werden. Als unumstrittene Nummer eins sowieso. Von daher hat der HSV hier noch eine Personalie, die geklärt werden muss. Und obgleich ich Pollersbeck für den Keeper mit dem größten Potenzial der aktuell drei HSV-Torhütern halte, spricht derzeit mehr für einen Abgang als für einen Verbleib Pollersbecks. Und auch bei Daniel Heuer-Fernandes muss man in den nächsten Wochen ganz genau hinsehen, inwieweit der Deutsch-Portugiese nach seiner Demission am Saisonende hier noch einmal unbeschwert aufspielen kann.

In der Abwehr ist noch die größte Bewegung zu erwarten. Und wörtlich genommen ist schon eine Menge Bewegung drin. Ich habe in der vergangenen Woche im Athleticum des UKE bei einer Behandlung Gideon Jung getroffen. Ich dachte zunächst, er sei in irgendeiner Weise angeschlagen – aber er trainierte nur fleißig mit den HSV-Physios. Nicht das erste Mal – sondern eine von regelmäßigen Zusatzeinheiten. Weil Jung angreifen will. Er will ebenso wie der in der Reha befindliche Rick van Drongelen seine Leistungsstärke auf ein identisches Niveau mit seiner tadellosen Einstellung und Identifikation mit dem HSV bringen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die beiden da zumindest deutlich weiter annähern. Ansonsten würde es für beide schwer werden, sich gegen die Spieler durchzusetzen, die da nach dem Wunsch von Trainer Daniel Thioune noch kommen sollen. Denn neben dem Backup für Leibold als Linksverteidiger sollen auch noch zwei Innenverteidiger kommen.

 

Bis zum Trainingslager des HSV, das aller Voraussicht nach in der letzten August-Woche in Österreich stattfinden soll, hätte Trainer Thioune gern schon Fortschritte in der Abwehr, für die neben Jung auch die beiden Youngster Stephan Ambrosius und Jonas David derzeit fit sind. Auf der rechten Abwehrseite hat der HSV mit Jan Gyamerah und Josha Vagnoman zwei gute Alternativen, wobei die Zukunft von Vagnoman immer von dem Angebot abhängt, dass Vereine liefern. Zuletzt reichten die Zahlen, die aus England vorgelegt worden sein sollen, dem HSV-Vorstand noch nicht. Aber da tatsächlich kein Spieler beim HSV in der aktuellen Situation unverkäuflich ist (O-Ton Boldt), gilt es auch hier, abzuwarten, wer letztlich nach dem 5. Oktober beim HSV noch auf dem Platz steht.

Kommt FIete Arp zurück zum HSV? 

Apropos Talent: Fiete Arp galt ja einst als das größte Sturmtalent des HSV – und Deutschlands. Letzteres zumindest in der Jugend. Nach einem guten Start beim HSV lockte der FC Bayern mit einem unfassbaren Millionenvertrag – und Arp folgte. Was aber neben dem dicken Konto folgte, war sportlich ausschließlich enttäuschend. Inzwischen wurde er final aus dem Kader der Profimannschaft aussortiert  und soll angeblich Interesse an einem Wechsel zurück zum HSV haben. Angesichts der vier bis fünf Millionen Euro Jahresgehalt noch bis 2024v ist nicht davon auszugehen, dass sich ein neuer verein finden lässt, der das bezahlt. Ergo: Es müsste auf Leihbasis passieren. Hier käme tatsächlich der HSV in Betracht, wie zuletzt auch in München kolportiert wurde, aber ich halte das für keine gute Idee. Nicht, weil ich Arp nicht gern in Hamburg sehen würde – im Gegenteil: Ich fand und finde den gerade erst 20-Jährigen extrem spannend.

Aber ich glaube, dass auch hier eine Vorbelastung da ist, die weder dem HSV noch dem Jungen guttäte. Was ich meine, ist, dass Arp in Hamburg definitiv keinen Neuanfang machen kann. Hier ist er emotional vorbelastet – was im positiven Verlauf ebenso förderlich wäre, wie es im negativen Verlauf die Gesamtsituation überproportional verschlechtern würde. Zwischen Arp als neuen Helden und „Arp, dem Gescheiterten“ liegt hier nur ein viel zu schmaler Grat. Und bei eine, 20-Jährigen kann und darf man eine derartige Robustheit mental nicht erwartet werden. Daher würde ich weder aus HSV- noch aus Spielersicht den Schritt zum HSV gehen, solange man sich nicht sicher ist, dass Arp in Hamburg ebenso gebraucht wird wie in der Lage ist, dem Druck standzuhalten. Kurzum: Ich würde ihm etwas ganz Neues empfehlen.  Einen Klub, der sich in der Arbeit mit jungen Spielern besonders hervorgetan hat.

Wie unterschiedlich hier die mentalen Voraussetzungen sein können, zeugt das Beispiel Lukas Hinterseer. Dem Österreicher wird seit einigen Wichen schon nahegehlegt, den HSV zu verlassen. Mit anderen Worten: Man braucht ihn hier nicht. Und dennoch hat er im Vergleich zu Arp schon so viele schwierige Situationen miterlebt und gemeistert, als dass er sich auch darüber hinwegsetzen und in Hamburg funktionieren könnte. Daher sehe ich seinen Entschluss, sich hier in Hamburg trotz aller Wechsel-Empfehlungen unter dem neuen Trainer zumindest ein paar Wochen beweisen zu wollen, nicht annähernd so kritisch wie eine Arp-Rückkehr. Und wo wir gerade dabei sind: Ich begrüße es sehr, dass Thioune einen Psychologen dazuholen will. Diese prinzipielle Verweigerung eines selbigen in den letzten Jahren zeugte von einer Unvernunft und Verbohrtheit bei den Verantwortlichen, die sich auch in andere Wirkungsbereiche zog und letztlich einen ganz wesentlichen Anteil des Misserfolges ausmachte.

 

Zumal einem Neuanfang auch immer guttut, wenn neue Wege mit neuen Leuten und/oder neuen Maßnahmen gegangen wird. Hier in Hamburg  hat das Prinzip „alles, was anders ist, ist im Zweifel erst einmal besser“ schon eine längere Tradition. Personelle Wechsel  beflügelten diese Haltung ebenso wie die Hoffnung zunehmend. Zuletzt starteten neue Spieler und Trainer schon so hoffnungsbeladen, dass aus der eigentlich vorteilhaften Situation des Neuanfanges die Haltung entstand, dass man bei jedem Teilerfolg zur Freude immer auch die Skepsis „am Ende schaffen verkacken sie es eh wieder“ beimischte.  Und so entstand hier nie wirklich das Moment eines echten Neuanfanges. Von daher hoffe ich umso mehr, dass die Personalien Thioune und auch Horst Hrubesch dazu beitragen, dass hier etwas Neues entstehen kann. Letztgenannter ist tatsächlich einer der ganz wenigen, denen man in Hamburg wirklich Großes zumutet. Bei Thioune, der in seinen ersten Ankündigungen viele neue Wege ankündigte,  darf man allemal darauf hoffen.

Nicht-Erwartung an HSV ist DIE große Chance

In diesem Sinne, am Montag geht es wieder los. Kadertechnisch noch ziemlich unvollständig, aber klubtechnisch mit der guten Situation ausgestattet, noch viel vom Neuanfang gestalten zu können – und vor allem: diesen auch gestalten zu wollen. Finanziell ist man dabei noch ziemlich weit hinten, wie ihr gestern auch im Gastbeitrag von Andreas lesen konntet. Der hat die Vermarktungssituation beim HSV analysiert und verdeutlicht, dass hier ein Negativtrend anhält. Soll heißen: Eigentlich spricht momentan fast nichts für den HSV. Und ich behaupte: Genau DAS ist die größte Chance, die sich diesem HSV von heute bietet. Endlich mal keine zu hohen Erwartungen von innen heraus. Daher wäre dieser HSV auch gut beraten, dieser „Nicht-Erwartung“ nicht wieder mit großmutigen „Wir-müssen-aufsteigen“-Sprüchen zu begegnen.

Denn das ist im Moment weniger positives Selbstvertrauen denn falsche Selbsteinschätzung. Dieser HSV muss endlich Hilfe von außen annehmen. Er kann daraus eine neue Kultur entwickeln, die in den letzten Jahren ob ausschweifender Arroganz dazu geführt hatte, dass sich insbesondere viele regionale Unternehmen vom HSV distanzierten. Und dabei muss erkennbar werden, dass man es macht,  weil man es will. Schafft man diese Aufbruchstimmung nicht, wird der Tag kommen, an dem alle wissen, dass der HSV diese Hilfe annehmen MUSS. Und spätestens dann wäre dieser HSV auch ohne Anteilsverkäufe über die 24,9 Prozent hinaus nicht mehr Herr des Geschehens.  Von daher bleibt mir nur die Hoffnung und Forderung in einem: Nutzt diese Chance für diesen Neuanfang!

Es könnte die letzte sein….

Bis morgen!

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