Philipp Marquardt

8. Oktober 2020

„Wir haben zwar gesagt, dass wir kleinere Brötchen backen müssen, aber das heißt ja nicht automatisch, dass die Brötchen nicht auch schmecken dürfen“, sagte HSV-Sportvorstand Jonas Boldt nach der überraschenden wie spektakulären Verpflichtung von Bayern-Keeper Sven Ulreich. Wenn die Verantwortlichen des Klubs bis zu diesem Deal versuchten hatten, ihre Ambitionen herunterzuspielen, so war spätestens nach diesem Transfer auch dem letzten Beobachter klar: Es geht für den HSV auch in Jahr drei in Liga zwei ausschließlich um die Rückkehr in die herbeigesehnte Bundesliga. Entwicklung der Spieler? Klar, wäre schön und sehr hilfreich. Entwicklung des Vereins? Die hat auf direktem Wege stattzufinden und im Aufstieg zu münden, und zwar nicht irgendwann, sondern ganz eindeutig schon 2020/21.

Brötchen, die nach Aufstieg schmecken

Nach allen Transferaktivitäten in der 2. Liga, die – bis auf das eventuelle Nachrüsten mit vertragslosen Spielern – abgeschlossen sind, ist es Zeit für eine Bestandsaufnahme. Für einen Blick zurück und auch nach vorn. Zwei enttäuschende Zweitliga-Jahre und einmal mehr viele Personalwechsel brauchte es, damit sich der HSV zum Vorbereitungsstart den Begriff Demut ganz groß auf die Fahnen schrieb. Getreu dem Motto: Machen statt reden. Liefern statt quatschen. Vor allem der Weg mit Talenten sollte „endlich“ im Vordergrund stehen.

So weit, so gut. Bis auf die bereits im Januar fixierte Verpflichtung von Hoffenheim-Juwel Amadou Onana (19) hat der Ex-Dino mit Simon Terodde (32), Klaus Gjasula (30), Toni Leistner (30) und Überraschungscoup Sven Ulreich (32) auf Soforthilfen gesetzt, die im Normalfall keinen Wiederverkaufswert mehr generieren. Auf Spieler, die jetzt eine tragende Rolle einnehmen sollen und die Jungspunde, die ohnehin schon da sind, führen sollen. Spieler, die nach dem Erreichen des kurzfristigen Ziels nur noch eine überschaubare Rolle einnehmen könnten – Ulreich mal ausgenommen. Für die 2. Liga hat der HSV das Nonplusultra auf dem Tableau, bei einem Comeback in der Beletage müsste wohl mehr als nur nachjustiert werden. Terodde steht sinnbildlich für den Typ Profi, der für die 2. Liga eigentlich zu gut ist, in der 1. Liga aber an seine Grenzen stößt. Der HSV setzt sich selbst unter Druck, mit seinen Verpflichtungen sendet er das Signal aus: Es kann in dieser Saison nur zurück nach oben gehen! Verständlicherweise…

Terodde zeigte innerhalb kürzester Zeit, dass er bereit und fähig ist, nach Köln und Stuttgart den nächsten Klub wieder hochzuschießen. Gjasula muss den Nachweis nach einem ordentlichen und einem katastrophalen Auftritt noch erbringen, dass er für Stabilität sorgen kann. Nebenmann Onana zeigte klasse Ansätze, wird aber auch Leistungsdellen erleben – diese seien ihm selbstverständlich zugestanden. Leistner soll von hinten anführen, ist nach dem Zwischenfall in Dresden nun in der Pflicht, jene Rolle sportlich auszufüllen. Der einzige Neue, der mit 600.000 Euro eine Ablöse kostete, ist Moritz Heyer (25), der eine Soforthilfe und Investition in die Zukunft zugleich darstellt. Toptransfer Ulreich will mit dem HSV zurück nach oben, das hat er klargestellt. Für nichts anderes hat er in Hamburg unterschrieben. Dass die Rothosen dafür ihre bisherige Nummer eins Daniel Heuer Fernandes (27) degradieren mussten, wurde in Kauf genommen. Geschadet hätte es sicher keineswegs, neben den erfahrenen Tom Mickel (31) und Heuer Fernandes auf eine talentierte Kraft für die Zukunft zu setzen. Wenn ein Ulreich zu moderaten Konditionen und dank der Geberlaune des FC Bayern auf dem Markt ist, muss man allerdings zugreifen, keine Frage.

Die Hamburger sind von ihrem angepriesenen Weg, konsequent auf Entwicklung setzen zu wollen, nicht abgekommen, haben aber markante und unübersehbare Anpassungen vorgenommen, um bloß nicht noch ein viertes Jahr gegen Sandhausen, Aue & Co. antreten zu müssen. Und sich in den vergangenen Wochen durch ihre Aktivitäten auf dem Transfermarkt zum gar nicht mehr so heimlichen Aufstiegsfavoriten gemausert. In Sachen Gesamt-Kaderwert wird der HSV bei transfermarkt.de nur knapp hinter Ligaprimus Fortuna Düsseldorf mit rund 41 Millionen Euro auf Platz zwei gelistet. Der Wert aller Hamburger Spieler, die dem Profikader zuzuordnen sind, liegt bei 38 Mio. Euro. Nur Hannover 96 kann mit 30 Mio. Euro ansatzweise mithalten. Das fast in die 3. Liga abgestiegene Nürnberg und Bundesliga-Absteiger Paderborn folgen mit 22 Mio. Euro. Bedeutet: Der Kader des HSV ist beinahe das Doppelte wert. Eine andere Zielsetzung als die Rückkehr in die erste Liga verbietet sich da fast. Wird die Tatsache berücksichtigt, dass mit dem stets verletzten Ewerton (31) zumindest ein Ladenhüter abgegeben werden konnte, fällt das Transferfazit für den HSV positiv aus. Dass Topverdiener Bobby Wood (27) auch diesmal keinen neuen Verein fand – damit hatte ohnehin niemand ernsthaft gerechnet.

Das macht die Konkurrenz

Die Transfers der Konkurrenz müssen dem HSV nur bedingt Sorge bereiten. Am aktivsten unterwegs war Hannover 96, das keine Zweifel daran lässt, was es will und das auch so kommuniziert: zurück nach oben. Untermauert wurde das Vorhaben mit insgesamt zwölf Neuverpflichtungen – am Deadline Day präsentierten die Niedersachsen mit Simon Falette (28) einen Bundesliga-erprobten Verteidiger. Sommer-Ausgabenkönig Fortuna Düsseldorf – mit knapp 2,5 Mio. Euro an der Spitze -- holte am letzten Transfertag mit Angreifer Kristoffer Peterson (25) und Linksverteidiger Leonardo Koutris (25) zwei vielversprechende Neue. Der zuletzt vereinslose Mittelfeldmann Kevin Stöger (27) war kurzzeitig Thema für eine Rückkehr, schloss sich am Mittwoch aber Erstligist Mainz 05 an. Ein Mann für das Kreative soll möglichst noch her. Zudem plagen den Klub Verletzungssorgen. Eine Hürde, die einen Auftakt nach Maß verhinderte, im Laufe der kommenden Wochen aber fallen dürfte.

Der Rest der Liga kommt nicht an das Trio aus Hamburg, Hannover und Düsseldorf heran. Absteiger Paderborn ist damit beschäftigt, Halt zu finden und nichts mit dem nächsten Abstieg zu tun zu haben – eine direkte Bundesliga-Rückkehr scheint (aktuell) weit entfernt. Immerhin blieb Angreifer Streli Mamba (26), der beim 1. FC Köln durch den Medizincheck fiel. Und mit Marco Terrazzino (29) und Manuel Schmiedebach (31) könnten noch zwei Bundesliga-erfahrene Kräfte dazustoßen. Beide sind vereinslos und daher verfügbar. Der FC St. Pauli schien insbesondere bei Mittelstürmer Daniel-Kofi Kyereh (24) einen Glücksgriff gelandet zu haben, musste aber auch einige Leistungsträger und altgediente Kräfte ersetzen. Durch die Überraschungsdeals mit Schalke-Stürmer Guido Burgstaller (31) und dem zuvor ausgeliehenen Verteidiger James Lawrence (28) setzten die Kiezkicker kurz vor dem Deadline Day noch zwei Ausrufezeichen. Ob das für eine Saison im oberen Drittel ausreicht, bleibt abzuwarten.

HSV-Schreck Heidenheim hat sich durch die schmerzhaften Abgänge der Leistungsträger Niklas Dorsch (22), Tim Kleindienst (24) und Sebastian Griesbeck (29) quasi selbst aus dem Abstiegsrennen genommen. Die Zugänge Dzenis Burnic (22), Andreis Geipl (28) und Christian Kühlwetter (24) werden sie nicht sofort und eins zu eins ersetzen können. Holstein Kiel, das Rückkehrer Fin Bartels (33) holte und seine wertvollsten Spieler Janni Serra (22) und Jae-sung Lee (28) halten konnte, hat das Zeug zur Überraschungsmannschaft. Für Nürnberg mit Neu-Sportvorstand Dieter Hecking kommt das Wort Aufstieg nach einem desolaten Jahr mit dem Fast-Gang in die 3. Liga dagegen aller Voraussicht nach zu früh, wenngleich die Verpflichtungen von Torjäger Manuel Schäffler (31), Pascal Köpke (25) und Bayerns Torwarttalent Christian Früchtl (20) Hoffnung machen und Angreifer und Leistungsträger Robin Hack (22) seinen Wechselwunsch in Richtung 1. FC Köln begraben musste.

 

Summa summarum

Insgesamt haben die 18 Zweitligisten 217 neue Spieler für knapp 9 Mio. Euro verpflichtet, während durch 235 Spielerabgänge 24 Mio. Euro in die Kassen gewandert sind. Ein kleines Transferplus verzeichnete auch der HSV. Bedanken dürfen sich die Verantwortlichen vor allem bei Istanbul Basaksehir, das den zuvor ausgeliehenen Berkay Özcan (22) für 2,5 Mio. Euro fest unter Vertrag nahm. Vor einem Jahr gaben die Zweitliga-Klubs – Vorsicht, festhalten – 58 Mio. Euro für 256 Neuzugänge aus, 12 Mio. Euro davon gingen auf das Konto des HSV. Corona hat auch im Unterhaus des deutschen Fußballs große Spuren in diesem Sommer hinterlassen, kostenlose Spieler standen und stehen klar im Vordergrund, man hat sich deutlich zurückgehalten.

Corona hin oder her: Die Voraussetzungen für einen erfolgreichen dritten Anlauf beim Projekt Bundesliga-Rückkehr hat der HSV auf dem Papier und an den ersten beiden Spieltagen in Form von Ergebnissen gelegt. Oder wie Sportvorstand Boldt jüngst zu sagen pflegte: „Die Worte Ambition und Entwicklung standen in der Saisonplanung sehr weit vorne und mit dem zusammengestellten Kader unterstreichen wir das.“ Die Tatsache, dass der HSV diesmal „nur“ 600.000 Euro und keine 12 Mio. ausgab, ändert daran nichts.  Meine Prognose: Vom Potenzial her werden alleine Hannover 96 und – mit momentanen Abstrichen – Fortuna Düsseldorf dem HSV Steine oder größere Brocken in den Weg legen können. Aber die Vorjahres-Wundertüten Paderborn und Heidenheim sind Lehre und Warnung genug…

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