Marcus Scholz

25. März 2019

Ich hatte es im MorningCall schon gesagt: Das gestrige Tor zum 3:2 der Deutschen in Amsterdam war das erste Tor der Nationalmannschaft seit langer Zeit, bei dem ich richtig aufgesprungen bin und gejubelt habe. Und das, obwohl ich eigentlich jeher bei Länderspielen mitfiebere. Aber dieses Spiel war nach der sehr durchwachsenen WM und der überflüssigen sowie in meinen Augen noch völlig  unausgereiften Nations League gerade im Hinblick auf die überraschenden Veränderungen Joachim Löws ein echtes Highlight. Eine positive Überraschung. Denn der Bundestrainer hat sich etwas getraut, was viele nicht verstanden haben - was aber vor allem fast niemand sich so getraut hätte. Auch ich hatte/habe die Endgültigkeit der Ausbootungen von Boateng, Hummels und Müller nicht verstanden. Schließlich heißt es doch immer, dass nicht Namen oder Alter sondern die Leistungsfähigkeit entscheidet. Aber allein an meiner spontanen Reaktion gemessen kann ich für mich behaupten, dass Löw mich mitgenommen hat. Er hat ehrlich gesagt genau das gemacht, was der HSV seit Jahren propagiert - aber bis heute nie umgesetzt hatte.

Was ich damit sagen will: Mut zum Umbruch kann sich auszahlen. Das war in den ersten Wochen und Monaten bei Christian Titz der Fall, das setzte sich im Sommer mit den Transfers fort und das soll bzw. muss sich finanziell notgedrungen beim HSV in den nächsten Transferphasen genauso fortsetzen. Der HSV ist also zu dem gezwungen, was Löw freiwillig und als Reaktion auf die WM durchgezogen hat. Leroy Sané und Serge Gnabry überzeugen auf Anhieb, Nico Schulz überragte meiner Meinung nach, Niklas Süle ist für mich jetzt schon unverzichtbarer Stammspieler. Und auf der Bank saßen noch Nachwuchskräfte wie Julian Brandt und Kai Havertz, denen der Sprung in die fußballerische Weltklasse definitiv bevorsteht. Dass mit Neuer, Kroos, Kimmich sowie später Gündogan und Reus auch arrivierte Akteure mitwirkten, festigte das neue Konstrukt nur und machte deutlich, dass eine kontrollierte, mutige Verjüngung/Veränderung sehr wohl ein großer Erfolg werden kann.

Beim HSV ist das alles sportlich zwar um einige Stufen niedriger anzusetzen, aber es ist durchaus zu projizieren. Mit Gotoku Sakai, Douglas Santos, Lewis Holtby, Aaron Hunt und Pierre Michel Lasogga hat der HSV eine Achse gehalten, deren Erfahrung für die (zumindest teilweise) neu dazugestellten jungen Spieler wichtig ist. Diese Spieler führen Zusammen mit jungen Leadern wie Torwarttoptalent Julian Pollersbeck, Rick van Drongelen sowie dem überragenden Orel Mangala die Mannschaft, während sich Spieler wie Khaled Narey, Berkay Özcan, Bakery Jatta, Josha Vagnoman, Tatsuya Ito und eigentlich auch Fiete Arp entwickeln können und sollen. Ein Konzept, das vor der Saison klar kommuniziert und notwendig war. Obgleich der Druck groß ist, den direkten Wiederaufstieg zu schaffen. Aber dieser Druck wird auch angenommen und trotzdem halten auch Titz-Nachfolger Hannes Wolf sowie allen voran Sportvorstand Ralf Becker daran fest.

Die Frage, die sich mir stellt, ist: Wie geht es ab Sommer weiter? Lasogga und Holtby „drohen“ wegzufallen. Holtby ist schon klar und sportlich nicht unumstritten. Die Trennung von ihm ist letztlich sogar nur konsequent, da er intern bei den Verantwortlichen nicht den besten Stand hat und das Verhältnis von Holtby zum HSV sich vor allem über das sehr gute Verhältnis zu den Fans definiert. Bei Pierre Michel Lasogga verstehe ich die sportliche Diskussion allerdings nicht. Zumindest würde ich sie genau andersherum führen. Denn aktuell heißt es, dass der Angreifer am wahrscheinlichsten dann bleibt und auf rund 50 Prozent seines aktuellen Gehaltes verzichtet, wenn der HSV aufsteigt. Sollte der HSV in der zweiten Liga bleiben, wird Lasogga nahezu sicher gehen. Dabei sehe ich Lasogga - dessen Gehalt egal wie angepasst werden muss -  tatsächlich als sehr guten Zweitliga-Stürmer und hätte sportlich betrachtet deutlich mehr Bedenken, mit ihm als Angreifer Nummer eins in die erste Liga zu gehen.

Okay, das Problem von Becker ist klar: Fiete Arp hat beim FC Bayern bereits unterschrieben und sein Abgang ist unabwendbar. Zudem ist der Verbleib von Hee-chan Hwang weiterhin sehr fraglich und nur unter Umständen zu erreichen, die der HSV bei Hwangs Stammverein RB Salzburg erfragen muss. Den Verbleib des Südkoreaners hat der HSV trotz allerbester Kontakte zu dessen Berater Thies Bliemeister nicht in der eigenen Hand. Dem HSV fehlen somit schlichtweg die Angreifer, da ein Manuel Wintzheimer den Durchbruch noch immer nicht geschafft hat - und nur die wenigsten darauf noch setzen. Und das gilt aktuell noch für beide Ligen.

Auch deshalb ist der HSV auf dem Transfermarkt schon fleißig Unterwegs und hat mit Bochums Lukas Hinterseer einen möglichen Kandidaten früh angehauen, ebenso wie St. Paulis Jeremy Dudziak. Man bedient sich aktuell noch im obersten Regal - der ablösefreien Zweitligaprofis. Dazu werden einige (Zweitliga-)Topspieler wie Kiels Kinsombi derzeit warmgehalten für den Fall, dass der HSV finanziell doch noch Mittel für Verstärkungen bekommt.

Ein ganz wesentlicher Faktor dabei ist und bleibt bekanntermaßen der Verkauf des vielleicht besten HSV-Spielers: Douglas Santos. Der Brasilianer hat seinen Berater bereits vor vielen Wochen auf die Suche nach einem international spielenden Verein geschickt. Intern rechnet beim HSV niemand mehr mit Santos’ Verbleib - vielmehr ist der Verkauf das Ziel und die einzige Möglichkeit, doch noch ein paar Euro für Neue einzunehmen, ohne damit die eingereichten Lizenzunterlagen zu konterkarieren. Kolportiert wird zwar von den HSV-Verantwortlichen eine Schmerzgrenze von 25 Millionen Euro. Aber sollte es am Ende einen Verein geben, der annähernd 20 Millionen Euro bietet, der HSV müsste verkaufen  und würde damit zunächst einmal viel Geld einnehmen - aber eben auch sehr viel Qualität auf dem Platz verlieren. „Wir befinden uns immer in dem Spagat der sportlichen Ansprüche und der finanziellen Möglichkeiten“, hatte Ralf Becker gesagt. Und das gilt eigentlich immer. Zwar nicht bei seinen Vorgängern, die in den letzten Jahren mehr als 100 Millionen Euro für mehr oder zumeist leider weniger funktionierende Spieler ausgegeben hatten. Aber dieser Vorsatz wird jetzt wieder Programm.

Und ich freue mich darauf.

Denn so dumm die Zwangssituation von unverantwortlichen HSV-Verantwortlichen herbeigeführt wurde, sie zwingt den HSV nicht nur zu vernünftigen Transfers sondern vor allem dazu, sich aus der unerschöpflichen Millionen-Komfortzone eines inzwischen klar fordernden Investors heraus zu bewegen. Becker selbst hat sich intern bereits festgelegt, selbst im Falle des aktuell mehr als unwahrscheinlichen Millionenzuschusses Klaus Michael Kühnes den aktuell geplanten Transferrahmen nicht verlassen zu wollen. Soll heißen: Ablösefreie Spieler, die ihre große Karriere erst noch vor sich haben und im Rahmen der Gehaltsobergrenzen arbeiten sowie Leihspieler stehen ganz oben auf dem Zettel. Egal wie. Und so gern ich die Uhr beim HSV noch mal fünf bis zehn Jahre zurückdrehen und die damaligen finanziellen Möglichkeiten heute mit den Ansichten und Handlungsweisen eines Ralf Becker hätte - dieser neue Weg gefällt mir. Weil er realistisch ist.

Klar, er wird weh tun. Auch ich werde meckern, wenn die Mannschaft unterirdisch agiert. Aber die Halbwertzeit des Frusts wird überschaubarer, weil ich weiß, wo dieser heutige HSV herkommt.  Das mag in einer Phase, wo der Anspruch der Dominanz immer noch besteht, komisch klingen. Aber es ist so. Allemal im Aufstiegsfall. Und wenn auch der letzte HSV-Fan gemerkt hat, dass sein HSV eben nicht mehr auf den Spuren alter Erfolge wandelt, sondern sich von ganz unten mühsam wieder nach oben arbeiten muss, dann könnte es spannend werden. Sich ewig und drei Tage ausruhen, im Schlussverkauf aberwitzige Ablösen zahlen, um Foulheit und Einfallslosigkeit bei der Kaderplanung zu kaschieren, das ist alles nicht mehr drin. Kurzum: Der HSV muss umbauen und den Mut haben, Spielern wie Özcan, Narey, Vagnoman und Co. auch dauerhaft gegen Topteams das Vertrauen zu schenken. So, wie die Nationalelf es mit Gnabry, Süle, Schulz und Co. nicht zuletzt gestern gemacht hat. Und das ist als trauriges Ergebnis tausender verpasster Möglichkeiten in den letzten Jahren der letzte große, positive Aspekt für mich. Denn zumindest bei mir fördert das ein Stück weit verloren gegangenes Herzblut.

Aber das nur am Rande eines Tages, an dem es beim HSV komplett ruhig war. Erst morgen geht es um 13 Uhr mit der ersten öffentlichen Einheit der Woche weiter. Ich melde mich aber vorher wieder pünktlich und früh um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch und werde Euch kurz und knapp über alles das in Kenntnis setzen, was so über den HSV geschrieben und gesprochen wird.

Bis dahin!

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