19. September 2020
Ich muss gestehen: Ich habe nicht damit gerechnet, dass der Hamburger SV den Saisonauftakt gegen Absteiger Fortuna Düsseldorf gewinnt. Nach dem Debakel in Dresden hatte ich erwartet, dass Trainer Daniel Thioune noch lange Zeit brauchen wird, um seine Spielphilosophie umzusetzen. Doch gegen Düsseldorf griffen bereits einige Rädchen ineinander, auch wenn der HSV gerade nach der Pause offensive Präsenz vermissen ließ.
Weniger Ausrechenbarkeit, mehr Flexibilität, ein höheres Tempo: All das erhofft sich der HSV von seinem neuen Trainer Thioune. Unter dessen Vorgänger Dieter Hecking ergötzten sich die Hamburger zu oft am dominanten, aber ausrechenbaren Ballbesitzfußball. Der Ur-Osnabrücker Thioune steht für einen flexibleren, schnelleren Stil. Einige Facetten seines Spiels waren bereits beim 2:1-Sieg gegen Düsseldorf zu erkennen.
Im Vergleich zur 1:4-Niederlage gegen Dresden veränderte Thioune seine Mannschaft auf vier Positionen. Stephan Ambrosius und Moritz Heyer bildeten die neue Innenverteidigung. Simon Terodde spielte im Sturm, der 19 Jahre junge Amouda Onana rückte für Aaron Hunt ins zentrale Mittelfeld. Damit veränderte sich auch die taktische Ausrichtung: Das Mittelfeld ordnete sich anders als in Dresden nicht in einer Raute, sondern in einer flachen Viererreihe an. Der HSV begann mit einer Mischung aus 4-4-1-1 und 4-2-3-1.
Die größte Veränderung zog die Aufstellung von Onana nach sich. Während gegen Dresden Gjasula den Part des spielaufbauenden Sechsers übernommen hatte, fiel dieser gegen Düsseldorf Onana zu. Er ließ sich zwischen die Innenverteidiger fallen. Dadurch konnten wiederum die Außenverteidiger weit nach vorne rücken.
Onana war besonders in den Anfangsminuten gefragt. Absteiger Düsseldorf war keineswegs gewillt, den Part des dominanten Favoriten zu übernehmen. Sie überließen den Hamburgern den Spielaufbau. Gerade in der Anfangsphase rückten sie aber aggressiv nach, sobald der HSV einen Querpass in der eigenen Hälfte spielte. Ihr nominelles 4-2-3-1 wurde zu einem 4-3-3, da die Außenstürmer asymmetrisch pressten: Ein Außenstürmer rückte auf Hamburgs Innenverteidiger, der andere hielt sich zurück.
Der HSV reagierte abgeklärt auf die Düsseldorfer Pressing-Versuche. Anders als gegen Dresden ließen sich Hamburgs Aufbauspieler nicht aus der Ruhe bringen: Sie spielten den Ball souverän zu Onana. Der fiel gleich bei seinem ersten Startelf-Einsatz mit einigen kreativen Pässen auf. Gerade seine halbhohen Zuspiele auf Rechtsverteidiger Josha Vagnoman zeigten Wirkung: Er fand mit diesen Pässen eine Lücke in der Düsseldorfer Formation, agierte deren Linksaußen doch oft vorgerückt im Pressing. Vagnoman konnte im Anschluss Tempo aufnehmen.
Das war die vielleicht positivste Facette am Hamburger Aufbauspiel: War die erste Pressinglinie des Gegners überspielt, nahm der HSV selten bis nie Tempo heraus. Im Gegenteil: Sie spielten die eigenen Angriffe zielgerichtet zu Ende. Einen wesentlichen Teil trugen dazu die beiden offensivsten Spieler bei: Jeremy Dudziak agierte beweglich wie eh und je. Häufig unterstützte er auf den Flügeln, um Überzahlen zu schaffen. Sein Timing beim Lauf in den Strafraum überzeugte.
Aber auch Stürmer Terodde fügte dem Hamburger Spiel eine neue Note hinzu. Genauer gesagt: eine physische Note. Als Strafraumwühler setzte er seinen Körper ein, um Hereingaben oder Pässe abzuschirmen. Düsseldorfs Innenverteidiger hatten ihre liebe Mühe mit dem Körpereinsatz des Hamburger Neuzugangs. Somit war der HSV auch nach Flanken oder flachen Hereingaben gefährlich.
Trotz der guten Ansätze im Spielaufbau drohte sich das Schicksal zu wiederholen, das Hamburger Fans aus der vergangenen Saison kannten: Der HSV dominierte das Spiel, traf aber das Tor nicht. Beste Chancen ließen die Hamburger ungenutzt. Als Düsseldorf nach einer halben Stunde auf eine passive 4-4-1-1-Ordnung umstellte, kam das Hamburger Offensivspiel im Stocken. Düsseldorfs Flügelstürmer deckten Hamburgs Außenverteidiger nun eng, was den Hamburgern gar nicht schmeckte. Gerade als das Hamburger Angriffsspiel gänzlich abzuflauen drohte, schenkte Schiedsrichter Christian Dingert dem HSV einen Elfmeter – die wohlverdiente Führung (45.).
Nach der Pause konnte der HSV mit der Führung im Rücken defensiver auftreten. Die Hamburger konzentrierten sich nun auf die defensive Stabilität: In einem 4-4-1-1-Konstrukt zogen sie sich zurück. Während der HSV vor der Pause 63% Ballbesitz hatte, waren es nach der Pause nur noch 38%. Düsseldorf musste nun mit der Führung im Rücken das Spiel gestalten.
Das schmeckte dem Absteiger nicht. Der HSV überzeugte in dieser Phase vor allem mit Körperlichkeit: Ihr mannorientiertes Mittelfeld zwang Düsseldorf in Zweikämpfe, meist setzten sich Gjasula und Onana durch. Monieren lässt sich, dass Hamburgs Sechser teils zu mannorientiert agierten. Düsseldorf versuchte dies auszunutzen: Immer wieder bewegten sich deren Spieler aus dem Zentrum auf den Flügel. Hamburgs Sechser verfolgten sie und entblößten dabei die Mitte. Doch Düsseldorf fehlte das fußballerische Geschick, das offene Zentrum auch zu bespielen. Das lag nicht zuletzt daran, dass Dudziak und Terodde die Passwege ins Zentrum schlossen.
Vorwerfen lassen kann sich der HSV, dass er in der zweiten Halbzeit nur einen einzigen Konter zu Ende spielen konnte. Dieser führte zum 2:0 (60.). Die tiefe Positionierung des Mittelfelds sorgte dafür, dass die Hamburger zu lange zum Nachrücken benötigten. Düsseldorf konnte die meisten Konterversuche der Hamburger abwürgen.
Trotzdem dominierten die Hamburger das Geschehen. Bis zur 75. Minute gab Düsseldorf gerade einmal fünf Schüsse ab. Bedenklich ist hingegen, dass in der Schlussviertelstunde sieben Schüsse dazu kamen. Düsseldorfs Versuche, mit dem Mut der Verzweiflung den Ball in den Strafraum zu bringen, fruchteten: Sie waren in der Schlussviertelstunde gefährlicher als in den 75 Minuten davor. Dem HSV mangelte es vor allem an der offensiven Entlastung, während defensiv immer mal wieder Hereingaben durchrutschten. Souverän geht anders.
Verdient war der Erfolg am Ende trotz des späten 1:2-Anschlusstreffers (92.). Der HSV hatte über weite Strecken das Spiel im Griff. Fragen bleiben dennoch. So wirkte Lukas Hinterseer nach seiner Einwechslung im Sturm reichlich verloren. Aaron Hunt saß wiederum neunzig Minuten auf der Bank. Es stellt sich die Frage, ob und, falls ja, wie er in das schnellere, körperbetonte Spiel unter Thioune integriert werden kann. Die Neulinge Onana und Doppel-Torschütze Terodde wiederum setzten ihre erste Duftmarke und zeigten: Auch in der Saison 2020/21 wird mit dem HSV zu rechnen sein.