Marcus Scholz

23. Juli 2020

Mountainbiking steht heute auf dem Plan. Einfach nur ruhig dasitzen und die Sonne genießen, das ist nicht sein Ding. Es sei denn er spielt Schach. Oder er pokert online. „Ich liebe die Herausforderung und den Wettbewerb“, sagt Christoph Moritz, der aktuell im Schwarzwald weilt und seine freien Tage bis Saisonvorbereitungsbeginn auf seine ganz eigene , sehr sportliche Art genießt. Wobei aktuell noch nicht einmal klar ist, wo es für ihn weitergeht. „Es gab ein paar lose Gespräche, auch sehr interessante Gespräche“, verrät Moritz, „aber konkret ist hier noch nichts.“ Einzig, dass er weiter als Profi Fußball spielen will, das ist klar. Auch deshalb hatte er dem HSV jüngst abgesagt. Oder war das andersrum?

Jein. Denn Moritz und der HSV waren sich im Verlaufe der Rückrunde schon einig, dass die Zusammenarbeit auf Zweitligaebene nicht weitergehen würde. Dafür aber schätzen die HSV-Verantwortlichen Moritz so sehr, dass sie in ihm eine hervorragende Führungspersönlichkeit für die U21 gesehen hatten und ihn fragten, ob er sich diesen Schritt auch vorstellen könne. „Als Papa der Kompanie wollte ich aber noch nicht unterwegs sein. Dafür bin ich noch viel zu heiß auf Bundesligafußball“, sagt Moritz, den das Angebot ehrte, der es aber sofort ablehnte.

Moritz sollte beim HSV bleiben - und lehnte ab

Ebenso stand für ihn früh in der Rückrunde fest, dass es beim HSV nicht weitergehen würde, nachdem er auch in der zweiten Saison in Folge nicht ausreichend zum Zug gekommen war. Fünfmal stand er insgesamt in der Startelf, davon viermal in dieser Saison. Zwei Einsätze über 90 Minuten, insgesamt 523 Minuten Zweitligafußball – von möglichen 6120 Minuten in zwei Jahren beim HSV. Schon in der vergangenen Saison war Moritz in der Rückrunde aus Hamburg gen Darmstadt geflüchtet – und wagte unter dem neuen Trainer Dieter Hecking in Hamburg vor dieser Saison einen zweiten Versuch, sein Glück zu finden. Ohne Erfolg.

Dabei bringt Moritz das mit, was der HSV in der Schlussphase der Saison gebraucht und gesucht hat: Ruhe am Ball, Erfahrung – und die Traute, voranzugehen. Außerhalb des Platzes war Moritz einer der belebtesten Mitspieler. Er kommt mit seiner fast immer gut gelaunten Art einfach an. Nur bei den Trainer Hecking und zuvor Hannes Wolf wusste er sich nicht durchzusetzen. Und während viele Profis nach solchen Jahren von einem „Missverständnis“ sprechen oder sich verkannt fühlen und das nach Vertragende verbittert äußern, blieb Moritz ruhig. Auch heute.

„Ich hatte in Hamburg sechs Tage riesig Spaß - und einen Tag mächtig Frust . So kann man meine Zeit beim HSV glaube ich ganz gut zusammenfassen“, sagt Moritz. Von Christian Titz war er als Führungsspieler fürs Mittelfeldzentrum geholt worden, war aber bei Titz ebenso wenig wie bei dessen Nachfolgern Stammkraft.  „Viermal draußen sitzen, einmal reinkommen – das ist keine Quote, mit der ich leben kann“, so Moritz heute, „andersrum wäre es okay gewesen.“ Zumal er wisse, dass beim HSV gerade in der abgelaufenen Saison mit Adrian Fein ein Spieler auf seiner Position gespielt hat, dem das in ihn gesteckte Vertrauen sehr gut brauchen konnte. „Dass der Trainer ihm das Vertrauen ausgesprochen hat und ihn spielen ließ – das war völlig okay für mich. Dass er Adrian derartig unterstützt hat, war nachvollziehbar. Und es hat ja auch lange Zeit sehr gut funktioniert“, bleibt Moritz gewohnt selbstkritisch.

Moritz: „Stimmung in der Kabine war zu schlecht“

Der 30-Jährige ist ein sehr intelligenter, fröhlichere, ehrlicher – und vor allem respektvoller Typ. Das heißt auch, dass er sagt, wenn er Ungerechtigkeiten entdeckt. Oder auch Entwicklungen, die in die falsche Richtung gehen. So, wie beim HSV ab dem 20. Spieltag. Moritz: „Normalerweise ja. Normalerweise spricht man miteinander und benennt Baustellen und Probleme. Aber ich hatte nach den anderthalb Jahren beim HSV und dem halben Jahr unter ihm einfach nicht das Standing, um zum Trainer zu gehen und ihn auf Missstände anzusprechen.“

Erkannt hatte er genug. Spieler, die sauer waren, weil der Trainer sie nicht ausreichend berücksichtigte – oder einfach zu oft auswechselte. Das Normale eben. „Aber es gab eben auch die Phase, in der sich diese Stimmung auch in der Kabine verbreitete. Hätte der Trainer gefragt, hätte ich ihm das auch genau so, wie ich es wahrgenommen hatte, gesagt. Aber so hätte das ganz falsch rüberkommen können.“ Ergo: Moritz schwieg. Er befürchtete, dass er ob seiner sportlich deprimierenden Daten als Unruhestifter hätte verkannt werden können.

 

Statt zum Trainer zu gehen, sah Moritz, wie sich anbahnte, was am Ende nicht mehr vermeidbar war: Der Sturz aus den Aufstiegsplätzen. „Je später die Saison, desto größer wird der Frust bei denen, die nicht berücksichtigt werden. Da nehme ich mich null aus. Auch für mich waren es immer sechs Tage, die mächtig Spaß gemacht haben – und dann eben der eine Tag, an dem man als Fußballer mächtig Frust schob. Viele fühlten sich links liegen gelassen vom Trainer. Und manche wurden am Ende als Hoffnungsträger gebraucht. Dass das nicht so funktioniert wie gewünscht, war abzusehen. Dafür war die Stimmung zu dem Zeitpunkt in der Kabine einfach schon zu schlecht.“

Es fehlte der Kontakt von Führung zur Mannschaft

Auf die Frage, warum das denn nicht von anderen Spielern, die zum Stamm zählten, an den Trainer herangetragen wurde, wusste Moritz nicht, wie er antworten sollte, ohne einen Mannschaftskameraden und/oder das Trainerteam zu attackieren. Deshalb schwieg er lieber. Aber auch das machte deutlich, dass die Kommunikation beim HSV in der abgelaufenen Saison schlecht war und hier jemand fehlte, der das Ohr am Gleis hat und als Mittelsmann zwischen Trainer und Mannschaft fungiert. Oder es war gar nicht gewollt.

Wer hier in den letzten Wochen die Beiträge von Herrn Dr. Ringelband aufmerksam gelesen hat, der weiß, dass die Kommunikation untereinander die Basis dafür ist, welche Werte zum einen gefordert, zum anderen aber auch gelebt werden. Wenn die Führung nicht weiß, was die Basis denkt und wonach sie handelt, wenn die Klub- oder Vereinsführung Entwicklungen nicht mitbekommt - dann entsteht nicht selten Chaos. Und wenn ich die Worte von Moritz, richtig deute, dann  war das beim HSV im Verlaufe der Rückrunde in Teilen der Fall.

Und das, obwohl der HSV sich mit Dirk Bremser und Tobias Schweinsteiger zwei Cotrainer leistete, die vom Typus her eher mannschaftsnah sein sollten. Insbesondere der junge Schweinsteiger, der seinen Vertrag beim HSV inzwischen aufgelöst hat und bei Bayern München II als Cheftrainer im Gespräch ist, war als Bindeglied des „Granden“ Dieter Hecking  zu den jungen Spielern eingeplant. Zumindest war er auch so angekündigt worden. Zudem muss die Frage erlaubt sein, warum ein Mannschaftsrat und hierbei vielleicht explizit der Mannschaftskapitän nicht die Notwendigkeit gesehen haben, zum Trainer zu gehen und ihn mit ins Boot zu holen.

U21-Coach Drews neuer Cotrainer von Thioune

Aber alles das sind Themen, die die sportliche Leitung bei der Neuausrichtung der aktuellen Mannschaft beachten muss. Dass man sich von beiden Cotrainern trennt, ist letztlich die richtige Entscheidung – von wem auch immer sie getroffen wurde. Zudem müssen Führungsspieler – und dazu werde ich mich morgen an dieser Stelle noch einmal mehr auslassen - gefunden werden, damit eben keine zu große Distanz zwischen Führung und Mannschaft entsteht. Wobei man die Berufung des U21-Cheftrainers Hannes Drews zum neuen Cotrainer unter Neutrainer Daniel Thioune insbesondere in dieser Hinsicht zumindest als Chance erachten kann.

„Hannes und ich stehen seit unserem gemeinsamen Lehrgang zur UEFA-Pro-Lizenz in einem regelmäßigen Austausch. Ich schätze Hannes’ Expertise sehr und wir haben nach und nach ein Vertrauensverhältnis aufgebaut“, sagt Thioune auf der vereinseigenen Homepage. Der neue HSV-Trainer hat mit Drews 2016 den Fußball-Lehrer gemacht. „Wir beide sind uns einig über die Interpretation der Rolle des zweiten Co-Trainers und der damit verbundenen Aufgaben. Er kennt zudem den Verein und kann sofort als Bindeglied zwischen Profi-Kader und Nachwuchsabteilung wirken“, umreißt Thioune die zukünftige Rolle seines neuen Trainer-Assistenten. Klingt gut.

 

Für Moritz indes ist das alles zu spät. „Hamburg ist eine sensationelle Stadt, der HSV ein großartiger Klub mit Fans, wie man sie sich als Spieler nur wünschen kann. Allerdings nicht als Zuschauer von der Bank oder der Tribüne aus. Und das wiederum war leider zu oft meine Rolle. Deshalb war für mich schnell klar, dass ich zum einen nicht beim HSV bleiben kann. Und zum anderen, dass ich noch lange nicht genug Bundesliga habe. Im Gegenteil.“ Und Moritz wäre nicht der sympathische Teamplayer, den ich kennenlernen durfte, wenn er nicht auch in dieser Situation Raum für ein wenig Spaß ließe. Moritz Schlusssatz: „Ein Wechsel war alternativlos. Schließlich will ich in der nächsten Saison im Volksparkstadion wenigstens einmal von Beginn an auf dem Platz stehen...“

Wo das letztlich sein wird, ist noch offen. Aber ich kann besten Gewissens sagen, dass ich Moritz nur das Allerbeste wünsche, da er sich als Typ innerhalb der Mannschaft trotz der frustrierenden sportlichen Situation immer einwandfrei gezeigt hat. Dass dem so ist, zeigt schon der Versuch des HSV, ihn für seinen direkten Nachwuchs in der U21 als Führungsspieler zu halten. Und dass man von einem fallen gelassenen und immerhin vormals als Führungspersönlichkeit verpflichteten Spieler nicht mehr erwarten kann, dass er sich in der schwersten Phase als Retter in die erste Reihe stellt – auch logisch.  Aber für mich auch ein Zeichen dafür, dass die Problematik beim HSV tiefer liegt als in der Taktik, der Torgefahr oder sonstwo auf dem Platz. Dieser HSV hat ein Kommunikationsproblem. Dieser HSV gehört auf die Couch  - und es bleibt zu hoffen, dass der überall als empathisch beschriebene Daniel Thioune diese Problematik nicht nur erkennt, sondern sie auch deutlich ernster nimmt als seine Vorgänger…

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich um 7.30 Uhr wieder mit dem MorningCall bei Euch sowie am Abend dann mit allem relevanten Neuen im Blog.

Bis dahin!

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