Tobias Escher

6. August 2019

So zufrieden hatte man die Verantwortlichen des Hamburger SV lange nicht erlebt. Der 4:0-Erfolg über den 1. FC Nürnberg war – neben dem Derby-Sieg in der Vorsaison – nicht nur der höchste Sieg der (kurzen) Hamburger Zweitliga-Geschichte. Die Partie bewies auch, in welchen Bereichen sich der HSV unter Dieter Hecking weiterentwickelt hat. Wahr ist aber auch: Die schwache Leistung des Gegners war ein gewichtiger Grund für den auch in der Höhe verdienten Erfolg.

Hecking veränderte seine Startelf im Vergleich zum 1:1 gegen Darmstadt nur auf zwei Positionen. Sonny Kittel startete auf Linksaußen, Khaled Narey musste auf der Bank Platz nehmen. In der Abwehr kam Gideon Jung für Kyriakos Papadopoulos. Am Spielsystem veränderte Hecking nichts. Der HSV begann in einer Mischung aus 4-3-3 und 4-2-3-1, abhängig von der Position von Aaron Hunt. Der Kapitän agierte mal neben Jeremy Dudziak und mal direkt hinter Stürmer Lukas Hinterseer.

Im Gegensatz zum ersten Spieltag hatte der HSV es am Montagabend mit einem Gegner zu tun, der selbst offensiv antrat. Nürnberg zog sich nicht zurück, sondern forderte von der ersten Minute an den Ball. Trainer Danir Camadi schickte seine Mannschaft in einem 3-4-3-System auf das Feld. Die vordere Dreierreihe sollte die Hamburger bereits im Spielaufbau stören. Tatsächlich gelang es Nürnberg, die Partie in der Anfangsphase nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Hamburgs Innenverteidiger wurden sofort angelaufen. Nürnberg war vor allem daran gelegen, die Hamburger Außenverteidiger direkt unter Druck zu setzen. Dazu nahmen sie teils sogar Lücken in ihrer Formation in Kauf.

In der Anfangsphase ging Nürnbergs Plan zumindest im Spiel gegen den Ball auf. Hamburgs Verteidiger verloren zwar keine Bälle. Doch auffallend häufig wählten sie den Rückpass zu Heuer Fernandes, der die Kugel weit wegbolzen musste. Zum Glück für den HSV brachte gleich der erste Angriff die Führung (12.). Der Spielzug, der zu Jeremy Dudziaks Treffer führte, wandte der HSV bereits gegen Darmstadt an: Aaron Hunt schuf mit Sonny Kittel und Tim Leibold auf der linken Seite eine Überzahlsituation. Leibold zog plötzlich diagonal ins Zentrum und stand bereit für den Doppelpass mit Kittel. Die anschließende Verlagerung brachte Dudziak in Schussposition.

Taktische Aufstellung FCN-HSV

 

HSV mit hoher Kompaktheit

Die frühe Führung spielte den Hamburgern in die Karten. Sie konnten sich nun etwas zurückziehen, während Nürnberg das Spiel gestalten musste. Die Hamburger verteidigten etwas tiefer als gegen Darmstadt, standen dafür aber auch kompakter. Die Abstände zwischen Abwehr und Mittelfeld waren minimal, Räume für Nürnberg kaum vorhanden.

Diese hatten mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen: Innerhalb ihrer 3-4-3-Formation fehlte die Präsenz im Mittelfeld. Die Außenverteidiger postierten sich zu tief, während die Doppelsechs aus Lukas Jäger und Hanno Behrens wild vor- und zurücklief. Nürnberg versuchte, über direkte Bälle in die Spitze das Glück zu erzwingen. Hamburg stand aber gut gestaffelt gegen diese Bälle. Nach vorne machte der HSV derweil nicht mehr, als er musste. Spätestens nach Kittels 2:0 per Freistoß hatte sich das Spiel beruhigt.

Canadi reagierte schnell. Bereits nach 36 Minuten brachte er mit Mikael Ishak (für Jäger) einen weiteren Stürmer. Er stellte damit auf eine 4-4-2-Formation um. So richtig wirksam wurden seine Änderungen erst nach der Pause. Nun lief Nürnberg die Hamburger im Pressing gnadenlos an. Behrens rückte im Mittelfeld vor, sodass häufig ein 4-1-3-2 entstand. Gerade im offensiven Zentrum hatte Nürnberg im Pressing ein Übergewicht. Dafür nahmen sie Lücken auf den Flügeln und im defensiven Mittelfeld in Kauf.

Zunächst bespielte der HSV diese Lücken nicht gut. Jatta und Kittel zogen sich weit zurück, um Nürnberg keine Räume auf den Flügeln zu öffnen. Offensiv traten sie nicht in Erscheinung. Erst mit der Einwechslung von Khaled Narey (64., für Jatta) begann der HSV, aktiv die Lücken in der gegnerischen Formation anzuvisieren. Narey spekulierte nach Ballgewinnen und startete direkt in die Spitze. Auch Dudziak und Fein rückten konsequenter auf. Der HSV konnte nun vermehrt Konter spielen. Zumindest aber gelang es ihnen wieder, das Spiel in die Nürnberger Hälfte zu tragen.

Die Nürnberger indes blieben offensiv komplett blass. Ihre einzige Hoffnung schien es zu sein, dass eine ihrer Flanken oder Vertikalpässe durch einen Fehler der Hamburger zu einer Torchance führt. Hamburgs Verteidiger hielten sich aber schadlos. In Kontersituationen suchte der HSV wiederum das Eins-gegen-Eins. Das dürfte der größte Unterschied beider Teams gewesen sein: Während der HSV 24mal das Dribbling suchte (und 17mal erfolgreich war), wagte Nürnberg nur fünf Dribblings (zwei erfolgreiche). Der HSV konnte nach zwei Flügelläufen von Kittel und Fein auf 4:0 erhöhen.

Fazit

Im zweiten Pflichtspiel unter Dieter Hecking lief erstaunlich viel zusammen. Der Angriff, der zum 1:0 führte, schien genauso einstudiert wie die sehenswerten Konter der zweiten Halbzeit. Auch defensiv überzeugte der HSV über weite Strecken der Partie, sie ließen sich nicht von der Hektik des (nicht besonders ausgereiften) Pressings der Nürnberger anstecken.

 

Und doch bleibt trotz des auch in der Höhe verdienten Siegs die Frage: Was war dieser Erfolg wert? Der HSV profitierte von einem Gegner, der zwar gewillt war mitzuspielen, aber taktisch wie spielerisch herbe Schwächen offenbarte. Taktisch, weil ihre Formation keinerlei Anspielpunkte im Mittelfeld bot; spielerisch, weil Nürnberg selten bis nie das Eins-gegen-Eins suchte und somit auf Hau-Ruck-Aktionen angewiesen war.

Gegner wie Nürnberg sind in der zweiten Liga nicht der Alltag, das wissen HSV-Fans seit der vergangenen Saison zu genau. In zwei Wochen wartet solch ein alltäglicher Gegner mit dem VfL Bochum. Das Team von Trainer Robin Dutt wird wesentlich defensiver auftreten und dem HSV das Spiel überlassen. Ob Heckings Team auch ein Abwehr-Bollwerk knacken kann, wird sich schon am kommenden Sonntag zeigen. Im DFB-Pokal wartet der Drittligist Chemnitzer FC. Die Sachsen dürften nicht derart luftig verteidigen wie die Nürnberger in der zweiten Hälfte.

 

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