Lars Pegelow

5. März 2018

Einmal kräftig durchatmen, bitte. Was war das für ein Hammer-Wochenende. Das Spiel gegen Mainz, die spezielle Situation mit Wasserwerfern am Stadion, dann dieser Spielverlauf und die riesige Enttäuschung, die „wie ein bleierner Nebel“ alle erfasst habe, als es nur ein 0:0 wurde, wie der Vorstands-Vorsitzende Heribert Bruchhagen sagte. Der HSV muss erstmals nach 55 Jahren in die Zweitklassigkeit, das ist aus heutiger Sicht die bittere Wahrheit. Aber Heribert Bruchhagen hat auch recht, wenn er sagt, man dürfe jetzt nicht komplett in die Selbstzerstörung gehen. Stattdessen muss der HSV den Neuaufbau starten, und zwar jetzt und heute. Die ersten Schritte müssen von oben kommen, vom neuen HSV-Aufsichtsrat, der bislang noch schweigt.

 

In den vergangenen Tagen hat sich bei der Debatte um personelle Konsequenzen Vieles um Sportchef Jens Todt gedreht. Er müsse als Allererster gehen, hieß es, das sei im Grunde einhellige Meinung im Aufsichtsrat. Das Dilemma daran ist, dass der Aufsichtsrat gar nicht für den Sportchef zuständig ist. Der Aufsichtsrat kümmert sich lediglich um die Besetzung des Vorstands. Dort sitzen aktuell Heribert Bruchhagen und Frank Wettstein in mehr oder weniger trauter Zweisamkeit – spätestens nach der E-Mail-Affäre dürfte ihre Beziehung dicke Risse bekommen haben. Der Vorstand jedenfalls ist befugt, den Sportchef, der eine Ebene darunter arbeitet, einzustellen oder zu entlassen. Das erfolgt allerdings nicht, und das kann nur einen Schluss nahelegen. Nämlich den, dass der Vorstand Jens Todt als Sportchef behalten möchte.

 

Was könnte für und was gegen Jens Todt sprechen? Der ehemalige Manager des Karlsruher SC ist Anfang Januar 2017 zum HSV gekommen. Zu diesem Zeitpunkt war er der letzte in einer ganzen Liste von neuen Führungsfiguren beim HSV. Heribert Bruchhagen, Markus Gisdol, Andreas Peters – alle ganz neu – nun also auch noch Todt. Am 15. Januar wurde der Leih-Deal mit Verteidiger Kyriakos Papadopoulos über die Bühne gebracht, der seit Wochen auf Betreiben von Trainer Markus Gisdol vorbereitet worden war. Schon zwei Wochen zuvor hat Mergim Mavraj an der Elbe aufgeschlagen – dieser Transfer wurde noch von Dietmar Beiersdorfer in die Wege geleitet. Todts erster „eigener“ Transfer war der von Walace aus Porto Alegre nach Hamburg. Aber was heißt schon „eigener“ – es „musste“ Geld in die Hand genommen, Klaus-Michael Kühne hatte noch etwas übrig und dies die Hamburger Verantwortlichen auch wissen lassen.

 

Nach der Rettung im Mai durch das Last-Minute-Goal von Luca Waldschmidt sollte alles ganz anders werden. Von den Stammkräften wurden Michael Gregoritsch, Pierre-Michel Lasogga, Johan Djourou und René Adler aktiv abgegeben. Matthias Ostrzolek suchte sich von allein einen neuen Klub. Die entstandenen Lücken wurden mit Julian Pollersbeck, Rick van Drongelen sowie André Hahn aufgefüllt. Darüber hinaus kam es zu teuren Vertragsabschlüssen mit Kyriakos Papadopoulos und Bobby Wood, die ja schon da waren. Das klang sowohl von der Qualität der Spieler als auch von der Anzahl von Beginn an problematisch, wurde von den Verantwortlichen allerdings anders eingeschätzt. Es war klar und wurde auch insbesondere von Markus Gisdol oft thematisiert, dass die Hamburger gerade im Spiel nach vorn zu dünn aufgestellt sein würden. Die Situation verschärfte sich, als Nicolai Müller sich am ersten Spieltag einen Kreuzbandriss zuzog. Bis zum Ende der Transferperiode im Sommer und die ganze Transferperiode im Winter über reagierte der HSV darauf nicht – bzw. konnte aus wirtschaftlichen Zwängen nicht reagieren, wie Heribert Bruchhagen an verschiedenen Stellen sagte. Die Verpflichtung von Trainer Bernd Hollerbach war dann, wie man hört, vor allem die Initiative von Bruchhagen – mitgetragen von Todt.

 

Als Sportchef ist Jens Todt hauptverantwortlich für die sportliche Situation und muss dafür auch die Konsequenzen ziehen. So sieht man das offenbar im Aufsichtsrat, und deswegen wackelt Todt. Die Position des Sportchefs ist allerdings erst der zweite Schritt. Der Aufsichtsrat hat sich was personelle Fragen angeht lediglich um die Besetzung des Vorstands zu kümmern, ist also gar nicht für Todt zuständig. Der Aufsichtsrat könnte sehr wohl einen Sport-Vorstand zusätzlich berufen. Damit wäre Jens Todt überflüssig, wenn der Vorstand ihn nicht beurlaubt. Der Aufsichtsrat kann darüber hinaus einen neuen Vorstands-Vorsitzenden berufen, der dann wiederum einen neuen Sportchef suchen könnte. So kann es laufen, allerdings kann der Aufsichtsrat keinen Sportchef anstelle von Jens Todt in der aktuellen Hierarchie-Ebene bestellen.

 

Jedenfalls fehlt bei allen Überlegungen über personelle Neuregelungen beim HSV der erste Schritt des Aufsichtsrates: Eine Bestätigung oder eine Demission von Heribert Bruchhagen. Dies steht an, möglichst zeitnah. Denn alle folgenden Schritte ergeben sich erst daraus. Die von mir skizzierte theoretische Möglichkeit der Aufstockung des Vorstands um einen Sport-Vorstand ist nur sinnvoll, wenn sie im Einvernehmen mit Heribert Bruchhagen geschieht. Ihm sozusagen einen Sport-Vorstand vor die Nase zu setzen, wäre völlig kontraproduktiv. Im Übrigen ist es, wenn die Vorstands- und die Sportchef-Frage geklärt sind, dann erst der dritte Schritt, sich um den Trainer zu kümmern. Das wäre sinnvollerweise eine Aufgabe des neuen (oder alten) Vorstands-Bosses und des sportlich Verantwortlichen.

 

Der neue Aufsichtsrat mit Michael Krall an der Spitze (s. Foto oben zusammen mit seinem Aufsichtsrats-Kollegen Max Köttgen), erst seit Kurzem im Amt, und – bei allem Respekt – in der Bundesliga vermutlich nicht besonders gut vernetzt, muss diese Schritte im Galopp meistern. Personelle Unsicherheiten kann sich der HSV kaum leisten. Natürlich wäre es eine Option, Heribert Bruchhagen im Amt zu lassen. Warum sollte er nicht in der Lage sein, den HSV organisatorisch auf die Zweite Liga und das Unternehmen Wiederaufstieg einzustellen? Und vor allem: Wer soll es besser machen? Vor der Beantwortung dieser Frage habe ich großen Respekt, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es am Ende keine geniale Lösung geben wird, bei der alle Hurra schreien. Weder wenn Bruchhagen bleibt, der selbst schon mehrfach seine Fehleinschätzungen und damit sein Scheitern eingeräumt hat. Aber auch nicht beim neuen Mann. Steht nicht auch der Finanz-Vorstand Frank Wettstein, als Nachfolger gehandelt, seit 2014 für die miesen Zahlen des HSV, die kaum besser werden wollen? Und wo bringt Wettstein Fußball-Kompetenz mit?

 

Auch vor dem Hintergrund dieser Fragen ist Bernd Hoffmann zum HSV-Präsidenten gewählt worden und damit in den Aufsichtsrat der Fußball AG. Er ist angetreten mit seinen Erfahrungen im Sport-Management, und da er auf der Versammlung vor gut zwei Wochen ganz explizit darauf hingewiesen hat, dass ein starker Sport-Vorstand kommen soll, kann man darauf wetten, dass er in diesem Bereich unbedingt einen Erfolg präsentieren möchte und auch muss. Hierbei geht es um die Perspektive des HSV nach dem Abstieg in die Zweitklassigkeit. In den vergangenen Jahren hatte der HSV kein Fortune mit seinen Personalbesetzungen auf Führungsebene – egal auf welcher Position. Die neue Lösung muss sitzen.

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