Marcus Scholz

25. Juni 2020

Das ist wirklich bitter. Nachdem Timo Letschert ebenso wie seine Nebenleute in den letzten Wochen den sicher geglaubten Aufstieg des HSV durch zu viele individuelle und gesamttaktische Fehler aus der Hand gegeben hatte, musste der Niederländer heute den nächsten Tiefschlag hinnehmen – und was für einen! Denn im Training unter Ausschluss der Öffentlichkeit verletzte sich der Innenverteidiger so schwer am Knie, dass er noch am Nachmittag ins MRT (Röntgen) geschoben wurde. Eine Prozedur, die ich gerade hinter mir habe und von der ich weiß, dass sich jeder Sportler vor dem Ergebnis fürchtet. Für Letschert aber bedeutet das zumindest das Saisonende. Denn sein Einsatz, so heißt es, sei für Sonntag ausgeschlossen. Insofern scheint Letschert einen persönlich noch traurigeren Abschied als eh schon befürchtet zu haben.

Denn für den 27-Jährigen könnte das auch das Ende seiner HSV-Zeit bedeuten – glaube ich. Denn die als Kaufoption zu ziehende Vertragsverlängerung um zwei Jahre scheint nach den letzten Monaten eher unwahrscheinlich. Und ich hoffe, dass der HSV endlich anfängt, in diesem Bereich keine Kompromisse mehr zu machen, sondern ein klares Konzept durchzieht. So, wie es beispielsweise RB Leipzig durchzieht. Die haben einen Anforderungskatalog für alle Neuzugänge angelegt, von dem partout nicht abgewichen wird. Wer beispielsweise nicht mindestens 33 Km/h sprinten kann, fällt raus. Egal, ob er Ronaldo, Messi oder Letschert heißt.

Der HSV muss sich konsequent neu ausrichten

Dass ich ausgerechnet hierfür das Tempo als Beispiel wähle, ist tatsächlich Zufall. Aber es passt. Denn genau das fehlt dem HSV seit Jahren. Vor allem hinten in der Innenverteidigung. Letschert und sein Landsmann Rick van Drongelen waren immer wieder leichte Opfer in der Luft und vor allem in Laufduellen. Zu leichte Gegner, wie die Anzahl der Gegentore unterstreicht. Und schon deshalb hoffe ich, dass der HSV bei Letschert die Option nicht zieht. Denn bei allem Respekt vor der tadellosen Einstellung des Niederländers – das reicht für den Anspruch, in der Zweiten Liga ganz oben zu stehen, nicht. Geschweige denn für mehr.

Ich hatte für heute tatsächlich geplant, eine Geschichte über die Abwehr zu machen und dabei die Frage in den Raum zu stellen, die sich beim HSV offenbar auch Trainer Dieter Hecking stellt: Kann Ewerton dem HSV am Sonntag helfen? Schnell ist der Brasilianer nicht wirklich. Und er ist nach monatelanger Pause gerade erst wieder fit. Aber er ist kopfballstark – und vor allem: Noch nicht so verbraucht wie seine Kollegen. Denn der Brasilianer stand bislang gefühlt gar nicht auf dem Platz. Drei Kurzeinsätzen steht ein Auftritt über 90 M9nuten gegenüber: Und das war im Hinspiel gegen den SV Sandhausen.

Ein gutes Omen? Scheiß drauf! Scheiß auf Omen und anderen Aberglauben, denn dieser HSV muss am Sonntag ganz irdisch alles dafür geben, das Spiel gegen den SVS zu gewinnen. Und natürlich ist Ewerton im gesunden Zustand eine Alternative. Taktisch ist er zweifellos der cleverste Innenverteidiger des HSV, zumindest antizipiert er am besten. Und er kann köpfen – als gefühlt einziger Innenverteidiger verfügt er über ein überdurchschnittliches Kopfballspiel. Defensiv ist das allein schon Gold wert. Zumindest hätte der Brasilianer das entscheidende Kopfballduell am Sonntag in Heidenheim nicht so verloren, wie Beyer. Kurzum: Schlechter kann es kaum werden können, schon das qualifiziert ihn für Sonntag.

Ewerton als Letschert-Ersatz für Sonntag?

Allerdings zeigt diese Argumentationskette auch, dass dieser HSV tatsächlich unter dem Druck steht, zur neuen Saison entscheidende Positionen neu zu besetzen.  Und selbst wenn am Sonntag alle elf zuzüglich der eingewechselten Spieler noch einmal ihre besten Leistungen abrufen können, muss sich der HSV komplett neu aufstellen. Und dazu gehört definitiv auch, das Gespräch mit dem Trainer so offen und ehrlich zu führen, dass klar wird, ob alle Seiten den gleichen Weg gehen wollen – und können.

Erst wenn die Zahlen für die neue Saison stehen, würde man Nägel mit Köpfen machen können. So sagen es beim HSV die Verantwortlichen. Und das ist nachvollziehbar. Aber das darf nicht mehr davon abhalten, beim HSV zur neuen Saison das erste Mal seit zehn Jahren (oder sogar mehr) wieder ein ganzheitliches Konzept zu entwickeln, auf das sich aufbauen lässt. Denn dieses ständige aufbauen, um zur neuen Saison wieder mindestens die Hälfte abzureißen wird den HSV finanziell und sportlich auf Sicht ruinieren. Und das wissen beim HSV auch alle.

Wenn man dann allerdings liest, dass der HSV als Zweitligist in der Saison 2018/2019 3,1 Millionen Euro allein an Berater zahlte – dann wirft das bei mir viele Gedanken auf, die ich nicht aufschreiben kann, ohne dass ich mit einer Zivilklage wegen Verleumdung rechnen muss. Denn beweisen könnte ich das nicht. Aber Fakt ist: Diese Zahl ist astronomisch und macht durch seine Höhe deutlich, dass dieser HSV – auf jeden Fall zu dem Zeitpunkt noch – jenseits der Realität eingekauft hat. Apropos einkaufen: Heute kamen weitere Spielergerüchte auf, die ich Euch fürs Protokoll nenne:

 

  • Wie die belgische Tageszeitung „Het Laatste Nieuws“ berichtet, sollen die Hamburger Interesse an Casper Höjer Nielsen vom Aarhus GF haben. Beim Tabellendritten der dänischen Liga hat der 25-jährige Höjer Nielsen noch einen Vertrag bis 2021, sein Marktwert liegt bei 550.000 Euro.
  • Peter Michorl vom Linzer ASK soll ein Kandidat beim HSV sein. Der Vertrag des Mittelfeldspielers läuft bis 2021, der 25-Jährige soll zudem über eine Ausstiegsklausel verfügen. „Vertragsdetails will ich nicht besprechen. Es sind jetzt noch drei Spiele, die ich zu 100 Prozent bestreiten will, dann gehen wir in den Urlaub. Dann werden wir sehen, was rauskommt“, sagte Michorl „Sky“ und fügte, auf Hamburg angesprochen, an: „Eine schöne Stadt.“

 

VfB Stuttgart an Tim Leibold interessiert?

Wichtiger als alle Namen aber ist, dass der HSV wieder eine Idee entwickelt. Gestern hatte sich Sportvorstand Jonas Boldt über den Begriff Idee ein wenig echauffiert. Er sagte, von außen würde immer wieder kritisiert, der HSV habe keine Idee, aber allein die Anzahl der geschossenen Tore würde das widerlegen können. Und für den Moment kann man das auch so stehen lassen – nicht aber für die gesamte Entwicklung der letzten Jahre – und dieser Saison im Speziellen. Denn weder spielerisch noch taktisch hat sich der HSV diese Saison neu aufgestellt. Weil man mit aller Kraft den Aufstieg forcieren wollte und auf viele „fertige“ Spieler setzte. Eine neue Spielidee, auf der man aufbauen kann, hat sich aber leider nicht ergeben. Stattdessen verliert der HSV auf entscheidenden Positionen wichtige Spieler (Fein, Pohjanpalo), während Teilzeitstütze Aaron Hunt seinen Vertrag automatisch verlängern konnte und die Innenverteidigung zur Komplettbaustelle wurde. Rechnet man noch die Spieler dazu, die ob guter Leistungen laut Boldt zu Geld gemacht werden könnten (Dudziak, Leibold, Vagnoman) muss man kein Genie sein, um zu erkennen, dass ein erneuter Umbruch bevorsteht. Leibold soll aktuell beim VfB Stuttgart auf dem Wunschzettel stehen.

 

Aber das nur für diejenigen, die meinen Blog „Dieser HSV schreit nach einem neuen Umbruch“ kritisiert haben. Auch ich kann diesen Begriff im Zusammenhang mit dem HSV nicht mehr hören, weil er entweder nicht konsequent durchgezogen oder unzureichend umgesetzt wurde. Aber er ist unumgänglich. Mal wieder.

Bis Sonntag allerdings wird das alles kein Thema werden. Bis dahin geht es nur noch darum, sich maximal zu straffen, um die letzte Chance zu nutzen. Ich habe heute tatsächlich noch einmal – wider alle Vernunft – eine Wette abgeschlossen mit einem Freund, dass der HSV die Relegation erreicht. Dieser Freund ist seit knapp 20 Jahren im Profifußball unterwegs und kennt sich sowohl beim HSV als auch in den Bundesligen bestens aus. Seine Reaktion, als ich ihm die Wette (es geht um ein Essen) anbot? Er hat mich ausgelacht und die Wette ausgeschlagen. Weil es unlauter wäre, sie anzunehmen, wie er sagte. Für ihn ist klar, dass angesichts der Nachteile, die ein Aufstieg des HSV für Bielefeld hätte, die Arminia am Sonntag gegen Heidenheim nicht gewinnt. Erst, als ich insistierte, gab er nach und nahm die Wette an.

Ich weigere mich, jetzt schon aufzugeben

Warum ich das erzähle? Ganz einfach: Weil ich HSV-Niederlagen einfach nicht einkalkulieren will. Nicht gegen Bayern München, Barcelona – und schon gar nicht gegen Sandhausen. Deshalb werde ich trotz meiner grundsätzlichen Kritik an diesem HSV ab morgen wieder alles daran setzen, die Zuversicht zu entwickeln, die ich von den HSV-Profis verlange. Ich will und werde mich nicht damit abfinden, zu sagen: „Dieser HSV hat es nicht verdient“. Denn ich glaube weiterhin nicht daran, dass nur der sportlich maximale Misserfolg des Nichtaufstieges die Schwächen so aufzeigen kann, dass alle Verantwortlichen daraus lernen und es zur neuen Saison besser machen können. Vielmehr hoffe ich darauf, dass der HSV den Aufstieg schafft UND aus seinen Fehlern lernt. Seit Jahren – zugegeben. Aber nimmermüde.

In diesem Sinne, bis morgen! Da melde ich mich natürlich wieder um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch und werde Euch abends dann auf den aktuellsten Stand bringen, was die Vorbereitungen auf den Sonntag betreffen. Bis dahin wünsche ich Euch allen  einen schönen Rest-Donnertstag, einen schönen Freitag – und Timo Letschert von dieser Stelle aus noch einmal gute Besserung!

Scholle

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