Marcus Scholz

29. August 2018

Ist die Zeit des Ballbesitzfußballs vorbei? Das fragte Bundestrainer Joachim „Jogi“ Löw heute bei seiner WM-Analyse und Neu-Kadernominierung. Und er verneint. Er sprach stattdessen davon, dass es nur einer Anpassung bedarf, um diesen Spielstil erfolgreich spielen zu können. Sein größter Fehler sei gewesen, zu glauben, mit dem dominanten Ballbesitz allein schon durch die Vorrunde kommen zu können. Er hätte versucht die Mannschaft – und das sei schon fast arrogant gewesen – zu perfektionieren, anstatt sie zu stabilisieren. Die wichtigste Erkenntnis als Trainer sei für ihn, dass man die Spielweise anpassen müsse und in einigen Spielen eben nicht mehr dieses hohe Risiko eingehen darf. Es sei unabdingbar, die Ausgewogenheit aus dominantem Ballbesitz und Stabilität herzustellen – genau wie der HSV.

Trainer Christian Titz hatte gestern knapp 70 Minuten unseren und Euren Fragen Rede und Antwort gestanden. Am meisten Zeit beanspruchte der Trainer auch dafür, zu erklären, weshalb er spielen lässt wie zuletzt. Titz erklärte, weshalb er Ballbesitzfußball bevorzugt – und das sehr schlüssig. Er erklärte auch, dass er zusammen mit seiner Mannschaft noch auf der Suche nach der optimalen Balance aus risikoreichem Offensivfußball und defensiver Stabilität sei. Wie Löw. Aber seht und hört selbst:

 

Christian Titz’ Plan ist allemal erkennbar. In jedem Spiel. Und für alle, die die Zeit dafür haben: auch in fast jedem Training auf dem Platz. Die Schwächen werden permanent wiederholt trainiert. Allem voran das saubere Passspiel hinten raus. Wobei sich die Problematik nicht allein auf die Innenverteidiger bezieht, sondern vor allem auf das Zusammenspiel zwischen dem Mittelfeld und der Abwehr. Gegen Kiel klappte das nur in den ersten 25 Minuten gut. In Sandhausen geriet man gar nicht erst unter Druck, während es gegen Bielefeld wieder auffällig wurde. „Uns fehlt im Spielaufbau noch die Konstanz“, so Titz, der dafür in den ersten Spielen unter seiner Regie Matti Steinmann eingesetzt hatte.

Apropos: Gegen Dresden könnte eben jener Steinmann zurückkehren. Zumindest wird er nach aktuellem Stand wieder mit der Mannschaft trainieren können. „Seine Ruhe am Ball, mit dem Gegner im Rücken das Spiel aufzubauen, ist eine große Qualität. Vor allem aber übernimmt er das Aufbauspiel für seine IV-Kollegen.

Seine Qualitäten gezeigt hat auch Pierre Michel Lasogga. Wobei mir die falschen Schlüsse gezogen wurden. Denn insgesamt 75 Minuten fast jeden Ball zu verlieren, um dann zwei Tore zu machen kann man als außergewöhnlich effektiv bezeichnen. Aber will man das so? Christian Titz lobte Lasogga nach dem Spiel ausführlich für die Tatsache, dass er am Ende das Spiel entscheiden konnte. Weil Titz seinen Stürmer aufbauen will. Und ehrlich gesagt glaube auch ich trotzdem, dass  Lasogga mit konstanten Einsatzzeiten am Ende der Saison auf 15 Saisontreffer (oder mehr) kommen wird. Aber Lasoggas Einsatzzeiten das ist nicht sicher. beim „System Titz“ richtet sich die Wahl des Personals eben nicht nach Treffern allein, sondern auch nach einzelnen Qualitäten. „Jedes Spiel hat seine besonderen Bedürfnisse“, sagte uns Titz gestern, „und unsere Aufgabe ist es, dafür das passende Rezept zu finden. Das kann gerade im Bereich des Stürmers heute für Pierre sprechen, morgen für Fiete – und übermorgen für ein anderes System“, so Titz.

Dennoch, nach dem 3:0-Heimspielsieg gegen Bielefeld wurde Lasogga gefeiert. Und das nicht nur von den Fans, sondern auch von einigen Kollegen – und vor allem den eigenen Kollegen. Denn als Lasogga nach seinem kleinen Interview- und Ehrenrundemarathon endlich als Letzter in die Kabine kam, feierten ihn seine Mannschaftskollegen lautstark minutenlang mit „Pierre Michel Lasogga – oh, oh, oh, oh, oh...“- Gesängen. Streicheleinheiten für die (in Hamburg) geschundene Seele des Strafraumstürmers, der spielerisch weiterhin markante Defizite aufweist – aber eben trifft. Und auch ich gönne es dem 26-Jährigen, der von denen, die ihn heute feiern, zuletzt heftig kritisiert wurde. Auch, weil er sich schlichtweg der Öffentlichkeit entzog. Hintergrund: Lasogga sprach mit keinem Journalisten, den Sky-Kollegen Rohrberg ausgenommen. Er ging fast immer gruß- und vor allem wortlos an uns vorbei, was ihn in der Gunst einiger Kollegen nicht steigen ließ. Und da er parallel eben nicht traf (weil er zumeist nicht mal eingesetzt wurde), bekam er das volle Pfund ab: Sein aus seiner Sicht übrigens ausschließlich sensationell gut verhandeltes Mondgehalt wurde mit seinen Erfolgen in Relation gesetzt. Und herauskam logischerweise ein gleichermaßen miserables Zeugnis. Ergebnis: Lasogga ging.

Und jetzt ist er wieder da. Unter Titz scheint der Angreifer in einer neuen Liga inzwischen wieder Mut zu fassen. Es ist dabei noch lange nicht alles gut, egal wie goldig es nach zwei Toren und einer direkten Beteiligung vor dem 1:0 auch glänzen mag. Ganz klar. Aber Lasogga ist anders als vor seinem Wechsel zu Leeds. Er ist offener geworden. Er scherzt auf dem Platz, haut sich in jedem Training (das hat er allerdings auch aussortiert gemacht) voll rein – stellt und spricht mit den Fans am Trainingsplatz. Und vor allem: er trifft und weiß sich selbst sehr gut einzuschätzen. Der Umstand, trotz des Abstieges beim HSV zu bleiben, ist neben seinem hiesigen Gehalt auch einer sportlich cleveren Entscheidung zuzuschreiben: Denn die kampfgeprägte Zweite Liga scheint ihm zu liegen.

Schon bei Hertha BSC hatte er in der Zweiten Liga mit 14 Toren in 32 Spielen Erfolg. „Ich brauche den Körperkontakt. Ich bin in der Box zu Hause. Das ist mein Arbeitsbereich. Gerade in der 2. Liga ist es wichtig, einen Spieler zu haben, der das macht. Ich haue mich überall hinein“, beschrieb sich der Torjäger sehr treffend. Und sein Glück ist, dass Titz das genau so sieht und ihn eben dann einsetzt, wenn diese Attribute gebraucht werden. Und auch nur dann. Sagt Titz.

Von daher bin ich gespannt, wer gegen Dresden beginnen wird. Die Dresdner werden sowas wie das erste echte Auswärtsspiel – stimmungstechnisch. Mehr als 30.000 Zuschauer, davon gut 4000 Hamburger machen das Dresdner Stadion (über den Namen der Arena wird gerade abgestimmt) regelmäßig zum Hexenkessel, während die Heimmannschaft mit Interimstrainer Cristian Fiel zwar in aller Regelmäßigkeit sehr laufstark auftritt, aber eben auch spielstark. Soll heißen: Dresden wird versuchen, mitzuspielen. Anders als Sandhausen. Und die Frage, die Titz beantworten muss, ist: Kommen wir häufiger mit Flanken über die Außen oder mit Pässen in den Sechzehner, oder brauchen wir einen mitspielenden Stürmer wie Arp oder auch Aaron Hunt?

Die Frage, wer sich im Angriff durchsetzt bleibt ebenso spannend wie die Suche nach einem Ersatz für den Langzeitverletzten Jairo Samperio. Und da am Freitag das Transferfenster schließt, werden wir am Sonnabend auf beide Fragen Antworten haben. Mein Tipp: Es kommt noch ein echter Kracher mit richtig Tempo für die Offensive – und Lasogga wird in Dresden beginnen und wieder treffen.

 

In diesem Sinne, bis morgen.

Scholle

 

P.S.: Glückwunsch! Fiete Arp und Josha Vagnoman wurden in die neu formierte  U19-Auswahl des DFB berufen. Die deutsche U19-Auswahl trifft dabei am 7. September um 16 Uhr in Hanau auf die Schweiz, drei Tage später um 11 Uhr in Rüsselsheim auf die Slowakei. David Bates wurde vom schottischen Verband für die beiden Länderspiele der U21-Junioren-Nationalmannschaft nominiert. Die Schotten treffen während am 6. September (20.30 Uhr) auf Andorra und auf die Niederlande (11. September, 19.30 Uhr). 

 

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.