Marcus Scholz

12. April 2019

Da war ich etwas vorschnell. Im MorningCall hatte ich noch verkündet, dass wir beim nicht öffentlichen Training heute zusehen könnten. Und was normalerweise auch stimmt, stimmte heute nicht. Denn HSV-Trainer Hannes Wolf ließ kurzerhand die Pforten rund ums Stadion schließen und zog mit seiner Mannschaft von den einsehbaren Außenplätzen im Volksppark ins uneinsehbare Stadioninnere, um dort völlig ungestört seine taktischen Überlegungen auszuprobieren und einstudieren zu können. Schlecht für uns Journalisten, aber nichts amderes als zumindest im Ansatz professionell, wie ich fiunde. Ich hätte wahrscheinlich auch die letzten beiden Einheiten am Sonnabend und Sonntag komplett geheim absolviert. Denn inzwischen sollte hier in Hamburg jedem klar geworden sein, wie ernst die Lage ist. Und damit hätte man das auch den Spielern noch mal mehr als deutlich gemacht.

Das Paradoxe daran: Wie kritisch die Lage ist zeigen vor allem die Positivmeldungen der letzten Tage. Angefangen mit der Meldung aus dem Archiv, dass die Fan-Anleihe komplett gezeichnet worden sei. Nach dem Magdeburg-Dilemma war diese Konserve der erste Versuch, die Stimmung ein wenig zu verbessern. Auch die Meldung, dass der HSV David Kinsombi verpflichtet hat, kam überraschend. Zumindest zu diesem Zeitpunkt. Denn noch am Mittag vor der Bekanntmachung hatten wir in der Runde mit Sportvorstand Ralf Becker explizit danach gefragt, da eh nur noch der Zeitpunkt der Verkündung offen zu sein schien. Die Antwort kam schnell und war eindeutig: Es würde an dem Tag nichts Neues geben. Eine Stunde später dann die 180-Grad-Kehrtwende: Kinsombi kommt. Dazu ein langer, offenbar schon länger vorbereiteter Text. Und das Beste an dieser Meldung: Er zahlt auch noch einen Teil seiner Ablösesumme selbst - worauf ich gleich noch zurückkomme. Den größten Gefallen allerdings tat der FC St. Pauli den hier Verantwortlichen mit der aktionistischen Trainer- und Sportchef-Entlassung am Dienstag. Denn dadurch beherrschte dieses Thema zunächst einmal die ortsansässigen Gazetten.

Was ich damit sagen will: Auch beim HSV werden (wie überall in großen Unternehmen und vor allem auch in den Bundesligen) die öffentlichen Mitteilungen als PR-Stilmittel benutzt, um die öffentliche Stimmung zu steuern. Oft funktioniert es - oft auch nicht. Die Deutsche Bahn beispielsweise hat sich über Jahre ein Negativ-Image erarbeitet, das nicht einmal mit Preissenkungen wieder hinzubekommen scheint. Und auch der HSV hat sich in den letzten Jahren   mehr schlecht als recht angestellt. Solche Fauxpas wie die Social-Media-Panne mit den Magdeburg-Fans, die als HSV-Fans abgebildet wurden, spielt dem landläufig eh eher über den HSV spottenden Fußball-Fan in die Karten.

Wobei der Abstieg zweifellos das negative Highlight war - und dieser GAU konnte ja auch noch nicht korrigiert werden. Im Gegenteil: Aktuell spricht die Formkurve sogar gegen den HSV. Auch deshalb werden Dinge lanciert. Positive Dinge aus HSV-Sicht wohlgemerkt. Zum Beispiel Vertrags-Interna wie im Falle Kinsombi, der angeblich 300.000 Euro aus eigener Tasche zum Transfer beiträgt. Das mache er aus freien Stücken, weil er unbedingt nach Hamburg will. So hat es Sportvorstand Ralf Becker inzwischen sogar öffentlich bestätigt.

Mit anderen Worten, da wird eine Geschichte, von der Spieler wie Verein profitieren, lanciert und in den Medien platziert. Es klingt halt einfach gut und gibt dem teuersten Verkauf der Kieler Vereinsgeschichte noch einen aus HSV-Sicht besonders positiven Beigeschmack. Klar, dass dadurch nicht wenige an diesem Vorgang in der geschilderten Art zweifeln. Auch ich übrigens.

Für mich zählt daher nur: Im Ergebnis kommt ein aktuell zwar noch verletzter Spieler für relativ viel Geld, der auf der anderen Seite aber auch absolut das Potenzial hat, beim HSV eine Führungsrolle zu übernehmen. Das hat er in Kiel bewiesen. Hoffen wir mal, dass er das auch beim HSV schafft. Potenzial zum Publikumsliebling hat er mit diesem Wechselvorgang ja schon mal in Vorkasse.

Wichtiger als irgendwelche Geschichten drumrum wird aber eh sein, was an diesem Wochenende sportlich passiert. Union Berlin legt heute Abend gegen Jahn Regensburg vor - der HSV muss am Montag nachziehen. Bis dahin haben dann auch die weiteren Verfolger Paderborn, Kiel und der FC St. Pauli gespielt. Das bedeutet, der Druck kann am Montag so groß sein, wie lange nicht mehr. Das erste Mal seit dem vierten Spieltag drohte sogar der Sturz aus den direkten Aufstiegsrängen. Druck auch für Trainer Hannes Wolf, der mit 14 Punkten aus elf Rückrundenspielen bislang weit hinter den an ihn gestellten wie seinen eigenen Erwartungen geblieben ist. Auch deshalb hatten Vorstandsboss Bernd Hoffmann und Becker zuletzt dem Trainer öffentlich eine Jobgarantie ausgesprochen. Und es scheint fast, als würde man beim HSV auch für die richtigsten Dinge punktgenau den falschesten Moment abpassen.

Was ich damit meine? Ganz einfach: In den letzten Jahren hatte man genau diesen Schulterschluss, den ein Trainer in derart angespannten Phasen benötigt, konsequent  versäumt. Mehr noch: Trainer wurden intern zum so genannten „Abschuss freigegeben“ und im Handeln so geschwächt, dass es Opfer in Form von einkalkuliert verlorenen Spielen gab. Bis zur jeweiligen Entlassung - von denen es viele gab, wie wir wissen. Heute nun will man es anders machen, was auch absolut richtig und absolut gut ist. Dieser Trainer verdient das Vertrauen, auch dieses Tal zu durchlaufen.  Aber leider übertreibt man es im Rausch des Zusammenhaltes ein wenig und belässt es nicht bei einem klaren Schulterschluss, sondern man spricht gleich eine Jobgarantie bis in den Herbst und sogar noch darüber hinaus aus. Alles in dem Wissen, dass ein Nichtaufstieg in dieser Saison noch völlig unvorhersehbare Wellen schlagen würde. Wirtschaftlich wie sportlich - und demnach auch personell.

Ergo: Man muss aufsteigen, wenn man seine eigenen Worte nicht fressen will.  Das Paradoxe daran: Letztlich hat man sich mit dem eigentlich als Beruhigung gedachten Schulterschluss eher mehr denn weniger Druck aufgelastet.

Sportlich ist der Druck eh da. Immer. Von Saisonbeginn an ist alles andere als der direkte Wiederaufstieg eine Enttäuschung. man kann also fast nur verlieren. Und das muss man keinem Vorstand, keinem Trainer und auch keinem Spieler sagen - das wissen alle. Insofern ist das Spiel beim Tabellenführer 1. FC Köln am Montag mehr als nur ein Spitzenspiel. Es ist das erste von sechs absoluten Endspielen in der Liga. Für alle. Schade nur, dass am Montag noch nicht alle wieder mitwirken können. So fehlten auch heute wieder Hee-chan Hwang, Jairo Samperio (trainierten beide individuell) und Aaron Hunt (wurde behandelt) im Training. Alle drei werden am  Montag sicher ausfallen. Das hatte Trainer Hannes Wolf gestern schon angekündigt.

Lewis Holtby (fehlt eh wenn der 5. Gelben) war heute schon wieder dabei, während Pierre Michel Lasogga mit Adduktorenpropblemen aussetzte. Bei dem Angreifer ist weiterhin fraglich, wann er wieder voll einsteigen kann und ob er bis Montag rechtzeitig fit wird. Sollte Lasogga ausfallen, müsste der HSV tatsächlich wieder auf den inzwischen schon fast aussortierten Fiete Arp zurückgreifen. Ich spreche hierbei ganz bewusst im Konjunktiv, weil dem Trainer auch zuzutrauen ist, dass er trotzdem auf Arp verzichtet und die Mittelstürmerposition mit Jatta oder auch Khaled Narey besetzt.

Weshalb Arp derzeit einen so schwierigen Stand hat, ist nur zu vermuten. Wolf selbst benennt dafür ausschließlich sportliche Gründe. Aber intern wird auch davon gesprochen, dass das Trainerteam mit der Einstellung Arps zuletzt Probleme hatte und sich dieser erst wieder über das Training überhaupt ins Blickfeld zurückkämpfen müsse. Eine „Gelegenheit“ dafür soll das Spiel der U21 in der Regionalliga am Sonntag gegen den VfB Oldenburg sein. Sofern Arp nicht für einen möglichen Kaderplatz in der Zweitligamannschaft geschont wird. Aber, das kann man schon jetzt festhalten: Das Kapitel Arp/HSV ist derzeit ein eher unrühmliches, wie ich finde. Aber okay, was genau ich damit meine, habe ich zuletzt mehr als ausführlich beschrieben…

In diesem Sinne, schauen wir mal! Auch, was die Konkurrenz so macht. Bis morgen! Da wird übrigens wieder um elf Uhr öffentlich trainiert.

Scholle

P.S.: Auf der Suche nach dem neuen Heung-Min Son hat der HSV aktuell drei junge Südkoreaner im Test. Min-Kyu Jang (20), Chan-Woo Kim (19) und Kun-Hee Lee (21) trainieren momentan bei der U21 mit.

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