Marcus Scholz

20. August 2018

Zu glauben, man könne die Fehler der letzten 10 bis 15 Jahre in einer Transferperiode aufarbeiten, ist absurd. Das wissen alle. Auch, wenn es in bestimmten Situationen immer wieder gern vergessen wird. Bei der Bilanz von Ralf Becker zum Beispiel. Ich hatte letzte Woche geschrieben, „Beckers Mission: Teil 1 steht kurz vor dem Abschluss“ – und heute war es soweit: Filip Kostic, der letzte Topverdiener (Pierre Michel Lasogga mal ausgenommen) und Wechselwillige, verlässt den HSV, wie der Klub heute offiziell verkündete:

Filip Kostic auf Leihbasis zu Eintracht Frankfurt

Der Serbe wird in den kommenden zwei Spielzeiten für den hessischen Bundesligisten auflaufen.

Der Hamburger SV hat Mittelfeldspieler Filip Kostic zum Bundesligisten Eintracht Frankfurt verliehen. Der 25-jährige Serbe, der noch bis zum 30. Juni 2021 bei den Rothosen unter Vertrag steht, unterschrieb beim noch amtierenden DFB-Pokalsieger einen Zweijahresvertrag. Kostic war mit dem Wunsch an den Verein herangetreten, sich noch einmal persönlich verändern und weiter erste Liga spielen zu wollen. Die HSV-Verantwortlichen ermöglichten dem serbischen Nationalspieler daraufhin, mit anderen Vereinen zu verhandeln. Kostic war einst im Sommer 2016 an die Elbe gewechselt und markierte für den HSV in 65 Pflichtspielen neun Tore sowie sechs Torvorlagen.

Und bevor ich weitermache, zunächst einmal: Alles Gute, Filip! Und auf der anderen Seite: Gute Arbeit, Herr Becker. Denn ich bleibe dabei, dass der Sportvorstand des HSV bis hierhin gute Arbeit geleistet hat. Seine Bilanz ist nicht allein in einer Gewinn-Verlustrechnung zu ermitteln, denn er hat Spieler im Kader gehabt, die überteuert eingekauft worden waren und die er nun als Zweitligist mit dem Druck, Erlöse erzielen zu müssen, abgegeben hat. Bis auf Lasogga sind sie alle weg, während acht externe Zugänge geholt wurden. Zwei davon auf Leihbasis (Mangala, Lacroix). Allein Khaled Narey hat Ablöse (1,7 Millionen Euro) gekostet, während die 15 abgegebenen Spieler knapp 18 Millionen Euro eingebracht haben - Kostic noch nicht mitgerechnet.

Walace, (-3 Mio.), Hahn (-3 Mio.) Ekdal (-2,3 Mio),Mathenia (-300.000), Mavrai (-300.000 Abfindung) und natürlich die Spieler, die man von der Gehaltsliste bekommen wollte wie Alen Halilovic (-4,5 Mio) und Batuhan Altintas (-300.000). Minus 13,7 Millionen Euro macht das in Summe. Die Spieler, die zwar Ablöse gekostet haben aber deren Verträge ausliefen und sie ablösefrei wechseln ließen, noch nicht mit einberechnet. Aber ist das jetzt eine schlechte Bilanz, weil ein Minus davorsteht?

Nein. Sage ich. Ich behaupte: Ralf Becker hat hier vielmehr erfolgreich Schadensbegrenzung betrieben. Das bedeutet: Bis hierhin ist es ein guter Job gewesen. In so kurzer Zeit derart viele Spieler von der Gehaltsliste zu bekommen und dabei noch eine annehmbar hohe Ablösesumme zu erzielen, das ist gut. Wobei ich wiederholt betonen möchte, dass ich mein abschließendes Urteil nicht von diesen paar Zahlen abhängig machen werde. Dieses Urteil ist auch nicht endgültig. Vielmehr wird entscheidend sein, wie diese Mannschaft ab sofort sportlich performt.

Und da muss ich festhalten, dass dieser HSV noch den Beweis schuldig ist, defensiv aufstiegsreif spielen zu können. Nicht, weil man gegen Erndtebrück drei Tore bekommen hat. Oder die drei gegen Kiel. Es geht mir nie um Einzelfälle. Mir geht es dabei schlichtweg darum, dass mir für das offensiv ausgerichtete HSV-Spiel, das Titz vorschwebt, hinten Attribute fehlen, die man dringend benötig. Vor allem eines: Tempo. Rick van Drongelen hat eine durchschnittliche bis gute Antritts- und Endgeschwindigkeit. Der Abwehrchef ist allerdings kein Sprinter. Und den hat der HSV hinten nicht mehr. Dennis Diekmeier als Rechtsverteidiger war überdurchschnittlich schnell, Gideon Jung als Innenverteidiger war und ist sogar einer der schnellsten Spieler der Mannschaft. Erstgenannter ist aussortiert, Jung noch bis Ende des Jahres voraussichtlich verletzt.

Und aktuell hat der HSV immer wieder Probleme, wenn der Gegner den Ball schlicht (manchmal sogar als Art Befreiung aus dem Pressing des HSV) in den Rücken der HSV-Abwehr gespielt hat. Selbst gegen einen Fünftligisten führte das zum spieländernden 1:2-Anschlusstreffer kurz vor der Halbzeit. Und da der HSV auch auf der Außenbahn rechts noch Probleme mit dem seit Monaten schwächelnden (weil überspielten?) Gotoku Sakai hat, wackelt die Abwehr automatisch. Egal wie gut Douglas Santos das auf der linken Seite auch macht – was mich wieder zu dem Punkt kommen lässt: Was passiert, wenn der Brasilianer tatsächlich noch ein unfassbares Angebot einbringt? Verkauft der HSV dann seine einzige Konstante hinten und setzt auf das gute Händchen von Sportvorstand Ralf Becker bei der Wahl des Nachfolgers?

Nein. Ich glaube, spätestens jetzt wissen wir alle, weshalb Trainer Christian Titz bei Santos so vehement darauf gesetzt hat, ihn zu behalten.

Zudem steht mit Josha Vagnoman ein Spieler im Kader, dem die nahe Zukunft gehört. Der variabel auf den Außenbahnen links wie rechts und auch offensiv einsetzbare U-Nationalspieler war gegen Erndtebrück leider verletzt, sonst hätte er wohl dort schon gespielt. Und sollte also 1. Vagnoman fit werden und 2. Sakai endlich seine dringend benötigte Spielpause bekommen, dürfte der Youngster gegen Bielefeld sein Pflichtspieldebüt in der Startelf feiern. Ich hoffe zumindest sehr darauf, da Vagnoman einen unglaublich guten, stabilen Eindruck macht. „Ob vor 800 oder 80.000 Zuschauern ist dem Jungen ziemlich egal“, hatte Titz vor ein paar Wochen mal gesagt und damit die erstaunliche Abgezocktheit seines noch immer erst 17 Jahre alten Toptalentes gemeint. Meine Hoffnung: Werft ihn rein! Nur so kann Vagnoman die Schritte hin zu einer festen Größe machen. 

Aaron Hunt ist das bereits. Obwohl er leider seinem Ruf gleich zu Saisonbeginn gerecht wurde und bislang verletzt ausfiel. Morgen soll der Linksfuß wieder ins Mannschaftstraining einsteigen. Und es nicht unwahrscheinlich, dass der neue Mannschaftskapitän schon am kommenden Montag gegen Arminia Bielefeld sein Comeback und seine Zweitligapremiere nach nunmehr 14 Profijahren feiert. Und die Frage ist, auf welcher Position? Als Angreifer für Arp und Lasogga? Stellt Titz tatsächlich einen der beiden Angreifer raus, die gerade dabei sind, ihre Form zu finden? Ich hoffe nicht. Ich hoffe, dass Titz Hunt von der Bank aus kommen lässt, wenn es das Spiel das erfordert. Bis dahin ist der HSV wenigstens im Offensivbereich bis hin zur Sechs, Orel Mangala, gut aufgestellt. Aufstiegstauglich. Meine ich.

In diesem Sinne, wir haben eine Woche mit vielen interessanten Personalentscheidungen vor uns. Und die beginnt morgen mit einer Doppeleinheit um ca. 10.30 Uhr (Krafteinheit) und um 15 Uhr auf dem Trainingsplatz am Volksparkstadion.

Bis dahin,

Scholle

 

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