Marcus Scholz

26. November 2020

Wie es denn sein kann, dass ich nicht voll in Alarmstellung geraten bin, wurde ich heute gefragt. Diesen Ambrosius dürfe der HSV „doch nicht auch noch“ verprellen, hieß es. Und ich wusste zunächst nicht, wie ich es sagen sollte, ohne meinen Gegenüber komplett zu verärgern. Lange habe ich überlegt, um dann zu antworten: „Wenn er gehen will, muss er gehen.“ Die Reaktion meines Gesprächspartners? Verständnisloses Kopfschütteln, gefolgt von der Ansage, dass ich doch endlich aus den Fehlern der Vergangenheit lernen sollte. Als ich darauf wiederum entgegnete, dass ich eben genau das damit machen würde, verstärkte sich das Kopfschütteln. Dennoch haben wir im Anschluss daran eine durchaus konstruktive Diskussion begonnen.

 

Und während mein Gegenüber der Meinung war, man müsse die eigenen Talente auf Biegen und Brechen halten, um sie später teuer verkaufen zu können, musste ich gerade anhand des Beispiels Stephan Ambrosius ein Stück weiter ausholen. Denn  dessen Verhalten ist so durchsichtig wie dumm. Dumm übrigens deshalb, weil sich der junge Innenverteidiger nach seinem kurzen, steilen Aufstieg beim HSV ohne Widerworte von einem Berater vertreten lässt, der seinerseits dumme Sachen sagt. Und die  fällen früher oder später auf den Spieler zurück. Er sei zu gut für die Zweite Liga hatte Ambrosius‘ Berater gesagt, als die Vertragsverhandlungen zum ersten Mal Thema wurden.  Und selbst wenn das so ist, war der Moment für so eine Äußerung nach dem ersten ernst zu nehmenden  Profi-Einsatz falsch. Er wirkte arrogant. Und obgleich es nicht der Spieler selbst war, der sich so äußerte, können das heute nur noch wenige auseinanderhalten. Oder anders formuliert: Letztlich wird Ambrosius mit seinem Berater gleichgesetzt.

Ambrosius wandelt gefährlich nah an der Grenze

Beim ersten Mal lief es noch glimpflich ab. Der Verein kontaktierte Ambrosius, der sich von den Aussagen seines Beraters distanzierte und mit selbigem darüber sprechen wollte, wie das Thema in Zukunft öffentlich – möglichst nicht! – stattfinden sollte. Die Folgen? Intern null. Ambrosius spielte weiter in der Startelf. Und das auch weiter gut. Womit ich zu dem Punkt komme, indem ich mit meinem Diskussionspartner (er möchte nicht genannt werden) übereinstimmte: Dieser Ambrosius gehört auf den Platz.Dass er dann gegen Bochum nicht auf dem Platz stand, empfand ich schon vor dem Spiel als Fehler. Denn solange der junge Innenverteidiger nicht körperlich oder mental überlastet scheint, sollte er spielen. Auch, um mit jedem weiteren Spiel besser zu werden. Dazu gehört es auch, die Erfahrungen einer Niederlage und deren Auswirkungen sammeln.

Denn hier beginnt die Kombiwirkung: Ambrosius wird erfahrener,  stärker – und dadurch teurer. Solange der HSV zuvor seine Arbeit erledigt und den Vertrag verlängert, kann er also im Normalfall nur gewinnen. Zum einen eine Stütze auf dem Platz – zum anderen einen Spieler mit gesteigertem bzw. weiter steigendem Marktwert. So kommt der HSV endlich in den Bereich, in den er sich vorarbeiten muss: Er kann irgendwann Eigengewächse gewinnbringend verkaufen kann.

Bei Ambrosius ist das allerdings nicht allein von Vereinsseite schwierig. Wer sich mit der Geschichte des jungen Innenverteidigers ein wenig beschäftigt, erkennt schnell, dass Ambrosius nie an Selbstvertrauen mangelte. Im Gegenteil. Als er nach einer ewig langen Verletzungspause langsam wieder an die Profis herangeführt werden sollte, erhielt er über seinen damaligen Berater ein Angebot eines schottischen Profiklubs. Ambrosius lehnte ab, weil die Liga für ihn nichts sei. Er wollte lieber in hamburg bei seiner Familie bleiben. Soweit, so gut. Dass er allerdings heute ausgerechnet mit dieser Liga kokettiert, während der HSV ihm ein erstes lukratives Angebot unterbreitet hat, ist kein  Zufall. Es ist vielmehr das immer wiederkehrende Spielchen, das nicht wenige auch „Kettenrasseln“ nennen. Soll heißen: Der Berater des Spielers versucht, den Preis für seinen Mandanten hochzutreiben, indem er Angebote anderer, toller Klubs an ein oder mehrere Medien lanciert. So steigt der Druck von außen, wie sich ja heute auch in dem ersten Kommentar meines Gegenübers ablesen lässt, der davon sprach, dass man doch bitte „nicht schon wieder“ ein eigenes Talent verprellen sollte. So zumindest scheint es bei vielen rüberzukommen.

 

In den letzten Jahren wurde auf derlei Spielchen der Berater nicht selten eingegangen. Mama Lasogga schaffte es so, ihrem Sohn einen Mondvertrag zu verhandeln. Und auch andere Spieler bekamen lieber einen Euro mehr als verhältnismäßig, um sie zu holen. Es wurde mit dem Geld umgegangen, als lebte man im Land, wo Milch und Honig fließen. Und das, obwohl schon zu erkennen war, dass dieser HSV finanziell in Schieflage geriet. Heute ist man vorsichtiger. Bei Jonas Boldt kam just in die Phase seiner Vertragsverhandlung mit dem HSV ein Monster-Angebot aus Rom – aber der Aufsichtsrat blieb ruhig. Das sorgte zwar für viel Sturm von außen, weil nicht wenige Boldts Abgang befürchteten. Aber es war letztlich erfolgreich. Denn der HSV demonstrierte hier, dass  er diese alten Spielchen eben nicht mehr mitspielt. Schon allein, weil er es gar nicht mehr kann.

Für den HSV ist Ambrosius in vielerlei Hinsicht wichtig

Auch bei Ambrosius behalte ich die Haltung bei, die ich schon im Falle Boldts vertreten habe: Entweder, der Spieler will beim HSV bleiben und weiß, was er an ihm hat – oder er muss gehen. Preistreiberei darf und kann nicht mitgegangen werden.  War es bei Boldt der Aufsichtsrat, muss sich in diesem Fall der Vorstand komplett frei machen vom Druck, der über das vom Berater strategisch empörte Umfeld erzeigt wird. Der HSV muss in allen Bereichen der Entscheider bleiben. Er muss seine in Leitbildern formulierte Philosophie endlich auch leben. Auch, wenn das an der einen oder anderen Stelle mal dazu führen sollte, dass er einen Rückschlag kassiert.

Auf Ambrosius bezogen heißt das: Der HSV bemisst dessen Wert für den HSV und macht dem Spieler ein angemessenes Angebot. Kommt ein angemessenes Gegenangebot kann man den Deal fixieren und gemeinsam in die Zukunft gehen. Sollte der Spieler oder der Berater aber unverhältnismäßige Forderungen stellen, muss der HSV ebenso deutlich absagen. So machen es übrigens auch andere Klubs, die damit deutlich erfolgreicher gefahren sind. Und ich, der weiterhin behauptet, dass Ambrosius sportlich aktuell erste Wahl ist,  bitte Euch, mal ehrlich zu sein: Wir alle haben doch seit Jahren gefordert, dass der HSV die Spieler aussortieren bzw. gar nicht erst holen soll, die ihr Verdienst über den HSV an sich stellen. Ich bin mir sogar sicher, dass genau DAS der richtige Weg ist. Auch bei Spielern, die man irgendwie mag. So, wie ich Ambrosius sportlich.

Der HSV muss zwingend (weiter) daran arbeiten, nicht mehr als Wohfühloase und/oder Zwischenfinanzierung angesehen zu werden. Dazu zählt es auch, nach außen Schwächen preiszugeben. Das wiederum gestand sich der ach so große HSV in den letzten Jahren nie zu. Egal, wie offensichtlich diese Schwächen wurden. Es ist eigentlich ganze leicht. Finanziell beispielsweise kann man diesen Rückstand anderen Klubs gegenüber gar nicht mehr leugnen. Womit ich noch einmal zu Boldt und Ambrosius komme: Hätte Rom Ernst gemacht und Boldt mit Millionen gelockt – es wäre niemand böse gewesen, wenn der Sportvorstand gegangen wäre. Es wäre vor allem aus Vereinssicht leicht erklärbar gewesen. Und genauso verhält es sich meiner Meinung nach bei Ambrosius. Der HSV hat ihm eine Vervierfachung seines Gehaltes geboten, heißt es. Rund 400.000 Euro soll er samt Leistungsprämien demnach verdienen. Ein sehr ordentliches Angebot, das der Spieler nehmen kann. Oder eben nicht.

Es gilt: Nimm das Angebot an - oder geh'...

Sollte er woanders wegen eines besseren Gehaltes unterschreiben, dann ist das so. Es wäre wirtschaftlich betrachtet aus seiner Sicht wohl sogar nachvollziehbar. Fußball ist sein Job. Aber dann soll er es auch machen. Wäre ich aktuell der HSV, würde ich ihm das genau so sagen. Mit der Ansage, bis Weihnachten eine klare Entscheidung zu erwarten. Denn Fakt ist: Die Wertschätzung hätte ich mit dem Angebot schon unterstrichen, sportlich bekommt er derzeit (Bochum mal ausgenommen) eh schon höchste Wertschätzung. Das gepaart mit den Trainingsbedingungen und der sportlichen Aussicht ist alles, was der HSV bieten kann. Es ist sogar alles, was er bieten darf.

Es wird Zeit, die Karten offenzulegen. Nix mehr mit hochbieten. Der HSV sollte das jetzt verlangen. Und selbst wenn am Ende der junge, talentierte Spieler geht, weil der dubiose  Berater wirklich die besseren Karten hat. Der HSV hätte endlich klargemacht, dass er diese branchenüblichen Spiele nicht mitspielt, sondern bietet, was er bieten kann und dass seine Aussagen ernst zu nehmen sind.

Wie ernst es um Aaron Hunt und Jeremy Dudziak steht, ist derzeit offen. Nachdem Dudziak gestern das Vormittagstraining nach einem Schlag auf den eh schon lädierten Knöchel erneut abbrechen musste, fehlte er heute beim Vormittagstraining. Und in dieser Einheit bekam Aaron Hunt von Mannschaftskapitän Leibold die Stollen in einem Zweikampf so unglücklich aufs Schienbein, dass er abbrechen musste. Er sprach zwar anschließend selbst davon, dass es nichts allzu Schlimmes sei – aber man muss zumindest abwarten, wie es sich in den nächsten Tagen entwickelt bis zur Partie am Sonntag in Heidenheim. Ansonsten sind übrigens alle Spieler gesund.

In diesem Sinne, hoffen wir mal, dass es so bleibt. Und ich hoffe zudem, dass sich Ambrosius endlich von seinem Berater emanzipiert oder diesen zumindest eindämmt in seinen Äußerungen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Berater seine Interessen über alle anderen stellt und letztlich zwei Parteien, die eigentlich unbedingt weiter zusammen arbeiten wollen, trennt.

Bis morgen!

Scholle

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