Tobias Escher

23. Februar 2020

Diese HSV-Saison ist schon jetzt historisch – nur leider nicht in der Form, wie sich viele HSV-Fans das gewünscht hätten. Zwei Derby-Niederlagen gegen den FC St. Pauli binnen einer Saison, das gab es noch nie. Dabei hatte der HSV am gestrigen Samstag zumindest in der Anfangsphase genau die richtigen Lösungen gegen St. Paulis unkonventionelle Taktik. Doch der plötzliche Rückstand warf Dieter Heckings Team völlig aus der Bahn.

Nach dem 1:1 in Hannover nahm Hecking zwei Änderungen in seiner Startelf vor. Für den verletzten Jeremy Dudziak rückte Aaron Hunt in die Mannschaft. Joel Pohjanpalo wurde für seinen Last-Minute-Treffer gegen Hannover mit einem Startelf-Einsatz belohnt. Lukas Hinterseer rückte auf die Bank. Am Spielsystem nahm Hecking damit keine Änderungen vor: Der HSV trat in einem 4-3-3 auf.

St. Paulis Manndeckungen

St. Paulis Trainer Jos Luhukay baute sein Team stärker um. Er setzt auf ein neues Spielsystem: St. Pauli begann die Partie mit einer Fünferkette. Davor agierte ein Dreier-Mittelfeld, wobei Waldemar Sobota den Part hinter den Spitzen übernahm. St. Pauli agierte also praktisch in einer 3-4-1-2-Formation, die defensiv auch zu einem 5-2-1-2 werden konnte.

St. Pauli kopierte mit dieser Anordnung jene Formation, die Hannover 96 in der Vorwoche erfolgreich gegen den HSV angewandt hatte. Noch stärker als die Niedersachsen setzte Luhukays Team dabei auf Mannorientierungen. St. Paulis Verteidiger folgten ihren Gegenspielern auf dem Fuß – was durchaus wörtlich gemeint ist. Gerade in der Anfangsphase spielten sie eine starre Manndeckung. Die Verteidiger verließen ihre Positionen, um den Gegner weit zu verfolgen.

Den St. Paulianern war dabei durchaus anzumerken, dass sie mit der neuen Formation nicht vertraut sind. So ließen sich die Mittelfeldspieler häufig in die Abwehr fallen, während die Verteidiger das richtige Timing beim Herausrücken vermissen ließen. Kurz gesagt: In der Defensive herrschte bei St. Pauli Chaos – Chaos, das der HSV erfolgreich zu nutzen wusste.

Taktische Aufstellung HSV - FC St. Pauli
Taktische Aufstellung HSV - FC St. Pauli

 

Mittel gegen Manndeckungen

Deckt ein Team kollektiv den Gegenspieler, gibt es zwei taktische Mittel, die Erfolg versprechen. Das erste taktische Mittel ist äußerst simpel: Der Spieler am Ball muss sich im Eins-gegen-Eins-Duell gegen seinen Manndecker durchsetzen. In dem Fall muss ein anderer Gegenspieler seine Manndeckung auflösen, ein Mitspieler wird frei.

In der Anfangsphase traute sich vor allem Rechtsverteidiger Jordan Beyer ins Eins-gegen-Eins gegen seinen Gegenspieler Matt Penney. Beyer setzte sich durch und fand im Anschluss den frei stehenden Bakary Jatta. Der HSV kam vor allem über die rechte Seite in Richtung Tor.

Das zweite erfolgsversprechende taktische Mittel sind Positionswechsel. Spieler, die sich eng an ihrem Gegenspieler orientieren, lassen sich leicht aus ihrer defensiven Position ziehen. Der HSV machte sich dies zunutze, um das Mittelfeld zu öffnen: Gerade Louis Schaub bewegte sich weit aus dem Zentrum heraus. Sein Gegenspieler folgte ihm. Gideon Jung oder die einrückenden Außenspieler besetzten die geöffnete Lücke.

In der Anfangsviertelstunde wandte der HSV beide taktische Mittel erfolgreich an. Die Spieler zeigten sich beweglich und zogen den Gegner immer wieder aus der Position. Gleichzeitig traute sich der HSV, in Dribblings zu gehen, und gewann diese Duelle. Ihr starkes Offensivspiel sorgte zugleich dafür, dass St. Pauli sich nicht sortieren konnte in der ungewohnten Formation. Zugleich setzte der HSV nach Ballverlusten wuchtig nach, wodurch der Gegner seine gewünschte Konterstrategie nicht fahren konnte.

 

Wie ausgewechselt nach Rückstand

Einen Konter ließ der HSV zu – und er führte prompt zum Rückstand (20.). Nach dem Rückstand verloren die Hamburger den Mut, der sie zuvor noch ausgezeichnet hatte. Die Spieler hielten ihre Positionen stärker, sie gingen seltener ins Eins-gegen-Eins. St. Pauli begann nun, raumorientierter im 5-3-2 zu verteidigen. Es half ihnen, Ordnung in die zuvor chaotische Defensive zu bringen.

Das Seltsame war: An Hamburgs mutloser Spielanlage sollte sich in den kommenden sechzig Minuten nichts mehr ändern. Es half nichts, dass Jatta kurz vor der Pause mit Sonny Kittel die Seiten tauschten. Es brachte nichts, dass Dieter Hecking nach 62 Minuten die halbrechte Seite mit Martin Harnik und David Kinsombi (für Hunt und Kittel) neu besetzte. Selbst die Umstellung auf ein Zwei-Stürmer-System mit Hinterseer (72., für Jatta) und Pohjanpalo in der Spitze führte nicht zu einem Mehr an Chancen.

Dafür stand der FC St. Pauli nun defensiv zu stabil. Nachdem sie stärker auf ein 5-3-2 bauten und in der Verteidigung die Gegenspieler früher übergaben, konnten sie auf eine hohe defensive Stabilität bauen. Zugleich verlor der HSV nun mehr Bälle auf den Flügeln. Das eröffnete St. Pauli die Möglichkeit zu kontern.

Die Hamburger hatten in der zweiten Halbzeit fast 70% Ballbesitz, bekamen aber nur 77% ihrer Pässe zum Mitspieler. Für einen derart hohen Ballbesitzwert ist dies ein sehr geringer Wert in der Passgenauigkeit. St. Pauli musste gar nicht mehr pressen. Sie konnten in der passiven Ausrichtung auf Fehler des HSV warten.

 

Fazit: Psychologischer Sieg

Somit muss selbst ich als Taktikanalyst im Nachhinein feststellen: Der Grund für die Niederlage lag eher in der Psychologie als in der Taktik begründet. Der HSV hatte in den ersten zwanzig Minuten durchaus Lösungen gegen St. Paulis mannorientierte Defensive. Diese Lösungen konnten sie nach dem 0:1 aber nicht mehr abrufen. Zu nervös waren die Hamburger, zu groß war die Angst vor der zweiten Derby-Niederlage in einer Saison.

Hecking selbst kann man vorwerfen, dass er keine Idee hatte, wie er das Team nach der Pause stärken konnte. Die Wechsel verpufften. Das Spiel plätscherte bis zum Abpfiff vor sich hin, ohne dass es ein echtes Aufbäumen des HSV gegeben hätte. Für die Aufstiegsambitionen der Rothosen bleibt zu hoffen, dass die Partie gegen St. Pauli ein Ausrutscher war – und dass sie den Rückschlag besser wegstecken als den Rückstand.

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