Marcus Scholz

2. März 2020

HSV-Vorstandsboss Bernd Hofffmann hatte es deutlich gesagt: Der HSV steckt ein einer Krise. Und glaubt man der Definition,

Die Krise bezeichnet im Allgemeinen einen Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen Konfliktentwicklung in einem natürlichen oder sozialen System, dem eine massive und problematische Funktionsstörung über einen gewissen Zeitraum vorausging und die eher kürzer als länger andauert… …nimmt die Entwicklung einen dauerhaft negativen Verlauf, so spricht man von einer Katastrophe (wörtlich in etwa „Niedergang“).

dann hat Hoffmann sicher Recht. Die Frage ist aber, wie man sich dieser Krise entledigt. Sportlich. Denn Fakt ist, dass die Krise in den letzten Wochen nicht kleiner wird, sondern größter. Trotz gleichbleibender - nein: gerade wegen der gleichbleibenden Thematik.

 

Unser Taktikexperte Tobias Escher hat das in seinem Blog gut mit dem Ochsen-Beispiel deutlich gemacht. Die Vielzahl an Rückschlägen mit immer der gleichen Ursache zeugen nicht davon, dass dieser HSV einen Ausweg parat hat. Und den hat er aktuell nicht. Das ist die Quintessenz aus dem Debakel in Aue. Und mit Debakel ist die 0:3-Niederlage zweifellos nicht übertrieben dargestellt. Man habe gewollt, sei maximal motiviert gewesen, hatte Timo Letschert nach Schlusspfiff gesagt. Und wenn das stimmt, macht es die Sache noch ein wenig tragischer. Denn wenn es tatsächlich nicht der Wille bzw. die Einstellung war/ist, dann kann es nur noch die Qualität sein. Spielerisch. Und taktisch.

Mentales Coaching zu meiden ist falsche Arroganz

Vor allem aber spielt der Kopf in solchen Phasen der Saison eine ganz entscheidende Rolle. Eine beim HSV trotz allem noch immer stark unterschätzte, wenn man bedenkt, dass der HSV seine Mannschaft weiterhin ohne dauerhafte psychologische Begleitung durch die Saison gehen lässt. Problem: Diesen Umstand jetzt zu ändern, würde nichts mehr bringen. Das würde gezwungen werden, zumindest nicht für den Moment. Denn die psychologische Begleitung, oder auch „Mental-Coaching“, wie sie Tennisprofis, Hockeymannschaften und viele andere Profisportler regelmäßig nutzen, setzt immer auch beidseitige Bereitschaft voraus. „Wir können niemanden zwingen“, hieß und heißt es seitens des HSV immer wieder bei diesem Thema. Dabei kann man sehr wohl seine Spieler zu ihrem Glück zwingen, indem man ihnen deutlich macht, wie hilfreich mentales Training ist. Aber okay, dieses Kind ist für diese Saison beim HSV schon in den Brunnen gefallen.

 

Jetzt gilt es, aus den Umständen das Beste zu machen. Und dabei reicht es nicht mehr aus, Ruhe anzumahnen und vom Vertrauen in die eigene Stärke zu sprechen. Vielmehr scheinen einige Spieler gerade jetzt deutlich mehr zu brauchen, als den natürlichen, internen Konkurrenzkamp und die normalen Ansprachen. Dieter Hecking muss mit seinem Trainerteam jetzt auch das psychologische Moment seiner Spieler im Auge behalten. Zumal dann, wenn es bei Spielern zu Müdigkeit führt. Tim Leibold beispielsweise war bis zum Derby gegen den FC St. Pauli die personifizierte Konstanz. Was der Linksverteidiger in den letzten zwei Partien dagegen abspulte, war nicht nur fußballerisch mangelhaft, sondern vor allem auch konditionell eine Sechs. Dabei ist Leibold in keinem einzigen Training bislang in irgendeiner Weise abgefallen. Im Gegenteil: Leibold zählt zweifelsfrei zu den fitteren Spielern im Kader - und dennoch trabte er in der zweiten Halbzeit gegen Aue nur noch zurück und war defensiv schlichtweg nicht mehr präsent. Warum das so war? Keiner weiß es.

HSV ist dem Druck aktuell nicht gewachsen. Punkt.

Aber ohne den Fußball an dieser Stelle verwissenschaftlichen zu wollen, muss der HSV sich im Klaren darüber sein, dass er mit der Rolle des „Muss-Aufsteigers“ offenbar nicht klarkommt. Anstatt sich wie Vorstandsboss Bernd Hoffmann hinzustellen und noch einmal zu betonen, dass man am Ende eh aufsteigt, sollten alle Verantwortlichen anerkennen, dass man hintendran ist. Völlig losgelöst von allen Ansprüchen an sich selbst. Man hat den direkten Aufstieg zwar theoretisch immer noch in der eigenen Hand - aber man ist im Hier und Jetzt eben doch nicht eine der zwei besten Mannschaften, sondern genau das, was die Tabelle sagt: Man ist vom Gejagten zum Jäger geworden. Das Beste daran: Im Zweifel ist diese Rolle für diese HSV-Profis sogar die leichter anzunehmende.

Dass jetzt tatsächlich wieder einige von dem ach so schweren Umfeld sprechen, kann ich tatsächlich nicht mehr ernst nehmen. Was genau ist denn dieses „Umfeld“? Hier in Hamburg haben bis heute alle Tageszeitungen den Ball betont flach gehalten. Alle sprechen bis jetzt noch von dem Trainer, der alles im Griff hat und dessen Erfahrung das Faustpfand ist. Und wenn man sich mal anschaut, was beispielsweise in Stuttgart los ist, wo der Sportchef Sven Mislintat jetzt der Kragen geplatzt ist, dann ,müsste der HSV die Scvhwaben links liegen lassen können. Der VfB, der bereits einen Trainerwechsel in der Hinrunde hinter sich hat, hatte am Wochenende in Fürth verloren und musste sich Vorwürfe von Fans und Medien gefallen lassen, man habe nicht alles gegeben. „Wir haben Mentalität – ich kann diesen Scheißdreck nicht mehr hören“, konterte der VfB-Sportdirektor lautstark die Vorwürfe, die auch hier seitens der Anhänger nach dem Derby laut wurden.

Hecking hatte den Vorwurf, dass seine Mannschaft nicht ausreichend Willen an den Tag gelegt hätte, schon nach dem Derby mit Zahlen und Statistiken gekontert. Und auch ich bin mir sicher, dass es nicht allein der Wille ist, der zu den Niederlagen gegen Pauli und in Aue geführt hat. Vielmehr ist es eine falsche Selbsteinschätzung. Zu Beginn der Hin- und Rückrunde haben die zweifellos vorhandenen spielerischen Qualität Erfolg gebracht. Inzwischen aber haben wiederholte Misserfolge zu Zweifeln an dieser eigenen Qualität gesorgt. Nur zugeben kann und darf das offenbar niemand. Kein wackeliger van Drongelen, kein verunsicherter Gideon Jung, kein Aaron Hunt, der seinen eigenen Ansprüchen schon (körperlich) nicht mehr gerecht wird. Niemand schlägt Alarm und stellt die Uhren auf Null.

Schwächen einzugestehen kann stärker machen

Selbst bei einem Winterzugang scheint sich der Aufstiegsdruck negativ bemerkbar zu machen: Jordan Beyer. Der Rechtsverteidiger war stark gestartet und will seine Erstligatauglichkeit in der Zweiten Liga in jedem Spiel unter Beweis stellen. U nd das sieht man dem verbissenen Gladbach-Profi an. Er gibt Vollgas. Dabei würde es schon reichen, wenn er seine Seite defensiv dicht macht und nach vorn immer wieder mal Stiche setzt. Erst einmal die biedere Pflicht, dann die Kür. Arbeiten statt glänzen. Oder: Ergebnissport betreiben und dabei gern auch mal hässlichen Fußball spielen. Selbst wenn es einige Niemals-Versteher auf den Rängen dazu bringen kann, zu pfeifen.

Nein: Dieser HSV darf sich nicht mehr zu gut sein für den einfachen Sieg. Das Beste daran: Dieses ehrliche Selbsteingeständnis kann durchaus dazu führen, dass den Spielern genau die Last von den Schultern fällt, die zu so dämlichen Platzverweisen führt, wie am Sonnabend Gideon Jung. Natürlich darf das auch unter dem größten Druck eigentlich nicht passieren. Aber allein die Tatsache, dass es eben doch passiert ist macht doch schon deutlich, dass das Gebilde HSV von außen deutlich schöner glänzt, als es innen tatsächlich stabil ist.

 

Ergo: Dieser HSV ist tatsächlich nur eine gute Zweitligamannschaft. Und das ist nicht einmal schlimm. Aber man ist so lange auf Augenhöhe mit allen Zweitligisten, wie man hier vorrangig darauf setzt, grundsätzlich eben besser zu sein. Das hat anfänglich funktioniert, war aber schlichtweg nicht stabil genug. Oder es wurde irgendwann als zu selbstverständlich erachtet und verführte zu Nachlässigkeiten wie beispielsweise das viel zu sorglose Herauslaufen vor dem 0:1 in Aue. Ich behaupte: Erst, wenn sich der HSV diese inzwischen verspielte Selbstverständlichkeit über das entsprechend mutige Selbsteingeständnis und über ehrliche, auch mal hässliche Arbeit durch Siege in der Liga zurückgewinnt, dann kann man seine zweifellos vorhandene Individuelle Qualität noch oben drauf packen. Und erst dann hat man hier in Hamburg wirklich wieder alles selbst in der Hand.

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird um 10 und um 15.30 Uhr trainiert. Öffentlich.

Scholle

P.S.: Bittere Nachricht! Die Verletzung von HSV-Innenverteidiger Ewerton aus dem Spiel beim FC Erzgebirge Aue kostet den Brasilianer wahrscheinlich den Rest der Saison. Nach Untersuchungen im UKE steht fest: Ewerton fällt mit einem Innenbandriss länger aus. Gute Besserung von dieser Stelle!

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