Lars Pegelow

6. März 2018

Im Januar 2011 war der HSV ganz nahe dran am großen Coup. Matthias Sammer sollte geholt werden als neuer Sportdirektor. Der Aufsichtsrat unter dem damaligen Vorsitzenden Otto Rieckhoff hatte sich in der Nähe von Hannover mit Sammer getroffen, es gab einen unterschriftsreifen Vertrag, und die zwölf Kontrolleure waren zuversichtlich, einen ganz dicken Fisch an die Angel zu bekommen. Am Ende hat Sammer, für viele überraschend, abgesagt. Es war ein herber Schlag für den HSV – und es war eine Sache des Vertrauens. Oder vielmehr: Des fehlenden Vertrauens. Denn Otto Rieckhoff hatte sich in einem öffentlichen Kommentar zu den Gesprächen nach Sammers Geschmack einen Hauch zu weit aus dem Fenster gelehnt, und schon war der Traum geplatzt. Das Ganze ist im Grunde Schnee von gestern, aber Matthias Sammer hat heute in einem Kommentar zu den aktuellen Problemen des HSV Stellung bezogen. Und da ging es wieder um Vertrauen. „Vertrauen ist ein ganz wichtiger Faktor, damit Vereine funktionieren“, sagt Sammer. „Beim HSV gibt es die Probleme seit einem Jahrzehnt, würde ich sagen“, schlussfolgert Sammer.

 

Hier seht Ihr das ganze "Eurosport"-Video von Matthias Sammer im Interview mit Christian "Orti" Ortlepp.

 

Statt Vertrauen herrscht beim HSV Misstrauen – und zwar viel zu lange, und zwar viel zu oft. Da kannst du ein noch so schönes Leitbild entwerfen, es wird nie funktionieren, wenn an zu vielen Schaltstellen nicht vertrauensvoll zusammen gearbeitet wird. Immer wieder scheitert der HSV daran. Die erhoffte Sammer-Verpflichtung war ein Beispiel. Mit Nico Hoogma ging es zwei Mal ähnlich. Er hatte gute Gespräche, einmal mit dem ehemaligen Aufsichtsrats-Vorsitzenden Horst Becker – Jahre später mit Vorstands-Boss Dietmar Beiersdorfer. Hoogma sagte zwei Mal ab. Kein Vertrauen. Der große Krach 2009 zwischen Bernd Hoffmann und Dietmar Beiersdorfer – kein Vertrauen. Der Kampf zwischen Bernd Hoffmann und Jens Meier jüngst auf der Mitgliederversammlung. Wenn das Ergebnis und die Polemik und das Gepöbel auf der Veranstaltung eines dokumentiert haben, dann war es Misstrauen. Bruchhagen und Wettstein im Vorstand – können sie sich nach der E-Mail-Affäre vertrauen? Jens Todt liest jeden Tag in der Zeitung, dass er weg soll. Es gibt immer noch keine klare Aussage dazu vom Aufsichtsrat. Vertrauensvolle Zusammenarbeit?

 

„Wie soll in dieser Situation Vertrauen entstehen?“, fragt sich Matthias Sammer. Die Vorschläge, die im Aufsichtsrat diskutiert werden, die könnten in der Regel immer irgendwo nachgelesen werden, ehe sie überhaupt entschieden seien. „Handlungsunfähigkeit ist die Folge“, sagt Sammer. Man könnte auch sagen: Der HSV rennt der Musik hinterher. Jetzt könnte man sich im Aufsichtsrat sagen, was schert es mich, worüber die Presse berichtet – wir gehen den Weg in unserem Tempo weiter, bis die Dinge entscheidungsreif sind. Dummerweise lebt der HSV aber nicht auf einer einsamen Insel. Die fehlende Klarheit in Sachen Bruchhagen/Todt führt dazu, dass die beiden mehr und mehr zur „lame duck“ werden. „Es wäre unfair, alles auf die aktuell handelnden Personen herunterzubrechen“, nimmt Matthias Sammer das Führungspersonal in Schutz. „Dafür geht es viel zu lange.“ Sammer hat recht – es geht viel zu lange. Weil viel zu lange im gesamten HSV kein Vertrauen ist.

 

Klaus-Michael Kühne vertraut dem HSV – unter Hoffmann, Jarchow, Beiersdorfer, Bruchhagen – seine Millionen an, und entzieht ihm mit seinen kritischen Interviews dasselbe Vertrauen immer wieder. Mit Jan Wendt spricht sich ein Beirat auf der Mitgliederversammlung klar gegen Bernd Hoffmann aus, der wurde nun aber gewählt – wie steht es mit dem Vertrauen zwischen Beirat und Präsidium? Die Liste von Situationen oder Konstellationen in der Gegenwart und in der Vergangenheit ließe sich bis ins Uferlose fortsetzen beim HSV. Am Ende bleibt das Bild eines zerstrittenen, porösen Gebildes, in dem eben nicht an einem Strang gezogen wird.

 

„Ich bin sehr für Teams“, sagt Matthias Sammer. Er glaube nicht an den einen Zampano, der von oben alles reguliere. „Man muss alles so organisieren, dass man handlungsfähig agieren kann“, meint der ehemalige DFB-Sportdirektor. Das Ergebnis jahrelangen Aufreibens sehen wir im Moment auf dem Platz. „Was im Verein passiert, macht nicht an der Umkleidetür halt“, sagte Dietmar Beiersdorfer einst zurecht. Abgesehen davon, dass diese HSV-Mannschaft gerade wirklich zu den Schlechtesten gehört, die in 130 Jahren das Trikot mit der Raute trägt, fehlt das übergeordnete Ziel, für irgendetwas zu gehen. Der Supporters-Vorsitzende Timo Horn hatte es auf der Mitgliederversammlung treffend gefragt. „Wofür steht der HSV eigentlich?“ Er wusste es nicht – ich weiß es auch nicht. Allenfalls steht der HSV für Misstrauen untereinander. Es ist die Corporate Identity eines Absteigers.

 

Michael Krall und Bernd Hoffmann, denen im Moment entscheidende Positionen zukommen, müssen das nicht nur wissen – sie müssen hier auch anknüpfen. Sie müssen eine Führung, ein Team finden, dem sie vertrauen und dass sich vertraut. Vertrauen heißt übrigens auch Klarheit schaffen, und nicht die handelnden Personen als „lame duck“ auf ihren Stühlen im Unklaren sitzen lassen – so wie im Moment.

 

In der HSV-Mannschaft ist die Grippewelle noch nicht ganz verschwunden. Heute fehlten deswegen gleich zwei Profis beim Training: Walace, Mergim Mavraj – auch Tatsuya Ito war nicht mit dabei. Wahrscheinlich ist der Japaner morgen im Team der U 21 im Nachholspiel gegen Eintracht Norderstedt dabei (Anpfiff: 19 Uhr).

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