Marcus Scholz

11. März 2019

Natürlich ist es ein schönerer Wochenbeginn als sonst. Siege verschönern die Arbeitswoche gerade bei uns Journalisten - zumindest fast immer. Und Derbysiege umso mehr. Wenn diese dann auch noch so deutlich wie gestern ausfallen - besser hätte man es sich gar nicht ausdenken können. Sieben Punkte Vorsprung, wieder drei Punkte vor Union Berlin auf Rang zwei geklettert und nur noch einen Punkt hinter Tabellenführer 1. FC Köln - der Sonntag hat dem HSV das Maximum an Positivem gegeben, was er hätte erreichen können. Und das gilt auch für die Spieler, die spontan heute und morgen (morgen war allerdings eh geplant) frei bekommen haben. Erst am Mittwoch geht es für die Spieler und Trainer am Volksparkstadion weiter. Gut für die siegreichen Akteure von gestern, die die Nacht über feiern durften und das im „Zwick“ und anderswo auch ausgiebig gemacht haben sollen, wie ich gehört habe. Allerdings ist dieser spontan freie Tag eher kontraproduktiv für unseren Rautenperlen-Talk, der dadurch spontan auf seinen Gast verzichten muss. Es ist allerdings eine Absage, um die schon gestern gebeten wurde - und die wir sehr gut akzeptieren können. Man muss die Feste auch mal feiern dürfen, wie sie fallen.

Allerdings, und das darf man bei aller Freude über den überzeugenden Derbysieg nicht vergessen, die wirklich schwierigen Tage liegen erst noch vor dem HSV. Und das ganz sicher auch - aber eben nicht nur sportlich. Bis Freitag müssen beispielsweise Vorstandsboss Bernd Hoffmann und Co. die Lizenzunterlagen für die kommende Saison bei der DFL einreichen. Stand heute wird es eine Budgetplanung mit (vielen) Konjunktiven. Denn bislang ist weder das Darlehensverhältnis mit Klaus Michael Kühne neu geregelt, noch wurden der Stadionname oder das Hauptsponsorship verkauft. Parallel dazu ist die gerade neu aufgesetzte  Fan-Anleihe zum Abbezahlen der alten Fan-Anleihe im September noch nicht vollständig gezeichnet. Ergo: Der HSV hat ein hohes Millionen-Defizit in seinen Planungen und muss sehr glaubwürdig erklären können, wie er dieses Minus im neuen Geschäftsjahr bzw. auf dem Weg dahin ausgleichen will.

 

Klar ist, dabei werden Einsparungen an allen Ecken und Kanten notwendig. Die Gehaltsobergrenze ist unabdingbar beschlossen und Spielerverkäufe werden zwangsläufig eine Rolle spielen. Angesichts der aktuellen Entwicklungen sogar zunehmend. Wobei die Mehrzahl bei Verkäufen in dieser Aussage schwierig ist, denn bis auf Douglas Santos bietet sich kaum ein Spieler an, mit ihm einen relevanten Betrag zu erzielen. Julian Pollersbeck vielleicht noch - aber es muss ja auch erst einmal Interessenten geben, ehe man sich über Verkäufe den Kopf zerbrechen muss. Fakt ist auch: Gibt man seine Leistungsträger ab, um die Lizenz zu bekommen, ist die Wahrscheinlichkeit, sportlich erfolgreich zu sein, noch geringer. Und man muss kein Pessimist sein, um zu erkennen, dass der HSV selbst in der aktuellen Konstellation in der Ersten Liga schwerlich bestehen könnte.

Und Ralf Becker weiß das alles. Er weiß auch, dass von ihm kleine Wunder erwartet werden. Auch deshalb schraubt er die Hoffnungen nicht zu hoch und weist schon mal vorsorglich daraufhin, dass im Sommer eigentlich nur ablösefreie Spieler verpflichtet werden können oder eben Akteure ausgeliehen werden müssen. Alles im Rahmen der Gehaltsobergrenzen von zwei Millionen Euro Jahresgehalt für die Erste und einer Million Euro Jahresgehalt für die Seite Liga. Einen Mangala halten? Das ist Stand heute ebenso sinnvoll wie unmöglich. Soll heißen: Sportvorstand Ralf Becker muss seine aktuell geliehenen Leistungsträger (auch Hee-Chan Hwang) nicht nur personell ersetzen, sondern dabei auch noch Geld sparen.

Das alles auf mindestens dem aktuell sportlichen Niveau -  sowas nenne ich „kleine Wunderdinge“.

Andererseits wird der HSV so weiterhin dazu gezwungen sein, den Weg zu gehen, den er schon vor vielen Jahren hätte konsequent einschlagen müssen: Über Talente. Über die aus den eigenen Reihen und eben die, die noch unentdeckt bei anderen Vereinen auf ihren Durchbruch hoffen - und den nach einem kostengünstigen Wechsel nach Hamburg hier schaffen. Es ist ehrlich gesagt fast das Spiegelbild der letzten zehn Jahre, wo man es sich mit Kühne-Millionen auf Pump immer wieder sehr leicht machte und stets teure, fertige Spieler Spieler holte, um sie letztlich unter Wert oder gar noch mit einer Abfindung ausgestattet wieder abzugeben. So wurden die Millionen quasi verbrannt. 

 

 

„Es gibt keinen Grund, zu jammern“, sagt Becker und gibt sich optimistisch, die Aufgabe bewältigen zu können. Dennoch mahnt er, dass man sich beim HSV der Realität stellen müsse. Becker selbst macht das vor. Er sagte schon im Rautenperle-Talk sehr deutlich: „Man muss es so klar sagen: Wir sind aktuell ein Ausbildungsverein.“ Eine Aussage, die so wahr ist wie der Sieg gegen den FC St. Pauli. Weshalb dieser Begriff bei vielen HSV-Anhängern noch immer so negativ behaftet ist, verstehe ich ehrlich nicht. Vielmehr beginnt für mich an diesem Punkt die noch immer latent vorhandene Verleugnung, die den HSV in den letzten Jahren in Sphären hat denken und handeln lassen, die man schon längst nicht  mehr bedienen konnte. Alles ohne größeren Protest von außen. Man konnte schlicht verantwortungslos schalten und walten und so tun, als sei man eigentlich eine große Nummer und man könne hier weiter und weiter sehr viel Geld ausgeben. Dass sich einige ausgerechnet jetzt, wo die Finanzlage nachweislich bedrohlich ist, so vehement gegen den Begriff „Ausbildungsverein“ wehren, der nichts anderes als realistisch und vernünftig ist - ich könnte drüber lachen, wenn es nicht so traurig wäre…

Nicht zum Lachen ist, dass sich Aaron Hunt erneut verletzt hat. „An der identischen Stelle“, hatte der Kapitän gestern noch direkt nach Spielschluss gesagt. Heute dann die Gewissheit: Wieder ein Faszienriss am hinteren rechten Oberschenkel. Das ergab eine MRT-Untersuchung im UKE-Athleticum. Der 32-Jährige kam gerade erst aus einer Verletzung und feierte nach fünf Spielen Pause am vergangenen Montag gegen Greuther Fürth sein Comeback. Jetzt wird er wieder rund drei bis vier Wochen ausfallen. Das heißt, Hunt wird mindestens das Spiel gegen Darmstadt am Sonnabend verpassen, wahrscheinlich aber auch noch das Spiel gegen den VfL Bochum (30. März) im Anschluss an die Länderspielpause nach dem nächsten Heimspiel.

Vieles deutet daraufhin, dass Trainer Hannes Wolf in dieser Zeit auf Berkay Özcan setzen wird. Zuletzt brachte ihn Wolf immer wieder, auch auf der ihm eher fremden Position im linken Mittelfeld. Gestern im Stadtderby kam Özcan immer mehr in Fahrt, als er die zentrale Rolle von Hunt übernahm. Parallel könnte auch Lewis Holtby Liesen Part übernehmen, allerdings glaube ich eher daran, dass Holtby Janjicic ersetzt - wenn überhaupt. Denn auch die etwas offensivere Interpretation von Orel Mangala fand ich sehr ansprechend. Janjicic räumt alles weg und gab den Ball schnell weiter, während Mangala nach vorn seine Freiheiten hatte und gleich an zwei Treffern maßgeblich beteiligt war. Dass die Mittelachse mit Pollersbeck, van Drongelen, Bates, Janjicic, Mangala und Özcan so einen Altersschnitt von unter 21 Jahren hat - für mich angesichts der erwartbaren Leistungsstärke kein Problem sondern eher eine Auszeichnung.

Ich wurde heute von verschiedenen Seiten gefragt, ob der Derbysieger jetzt sowas wie der entscheidende Push zum Aufstieg war. Und ich verneint es in Teilen. Denn Fakt ist, es stehen noch sehr schwierige Partien (insbesondere auswärts) an.Allerdings behaupte ich, dass das Derby dem HSV personell einige neue Möglichkeiten eröffnet hat. Denn die eben beschriebene junge Fraktion im Mittelfeld hat seine Tauglichkeit eindrucksvoll nachgewiesen. Ebenso hatten sich Tatsuya Ito gegen Fürth und gestern Bakery Hatte gegen St. Pauli nach ihren Einwechslungen auffällig gut präsentiert. Selbst Tom Mickel hat gegen Fürth so stark gespielt, dass er eine gute Alternative darstellt. Sol heißen: Der interne Konkurrenzkampf scheint trotz des bitteren Ausfalls von Hunt gerade so heiß zu werden, wie er lange nicht war - und genau darin sehe ich das größte Plus des gestrigen Derbys sowie der letzten Tage insgesamt.

Dass es in dieser jungen Mittelfeldformation gut gehen kann, wissen wir nicht erst seit dem Ergebnis gegen den FC St. Pauli. Nein, auch Tobias Escher hat sich in seiner Taktikanalyse noch einmal ausführlich mit dem Stadtderby befasst und wird Euch morgen wie immer sehr detailliert aufzeigen, warum Hannes Wolf dieses Spiel auch mit seinen taktischen Nachjustierungen maßgeblich mitgewonnen hat. Viel Spaß dabei! Ich melde mich aber wie immer vorher um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch!

Bis dahin,

Scholle

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