Marcus Scholz

17. Mai 2018

Viel Zeit haben sie alle nicht. Privatangelegenheiten müssen bei ihnen hintenanstehen. Während sich die Spieler derzeit mit Instagram-Bildern oder Tweeds aus ihren Sommerurlauben in entspannten Posen melden, müssen Chefscout Johannes Spors, Trainer Christian Titz und natürlich auch Aufsichtsratsboss Bernd Hoffmann weiter an dem neuen Team basteln. Und damit ist neben den Spielern, die abgegeben, gehalten oder auch verkauft werden sollen, vor allem auch die Installation des neuen Sportchefs ein ganz wesentlicher Punkt auf der Agenda. Und nachdem mit Jonas Boldt aus Leverkusen und Mainz’ Rouwen Schröder zwei Kandidaten von der Liste gestrichen wurden, wird weiterhin mit potenziellen Kandidaten gesprochen. Heißester Tipp ist derzeit der Sportchef von (Hoffentlich-Aufsteiger) Holstein Kiel.

Becker gilt als harter Arbeiter. Als jemand, der sich binnen kürzester Zeit bundesweit einen guten Namen gemacht hat und über ein schnell wachsendes, gutes Netzwerk verfügt. Zudem spricht der Fakt, dass er es mit seinem Team in Kiel trotz bescheidener Mittel als Zweitliga-Aufsteiger direkt in die Relegation zum Erstligaaufstieg geschaffen hat, für Beckers Qualität, Kader stimmig zusammenzustellen. Sehr wichtig ist, dass Becker mit dem neuen HSV-Cheftrainer Christian Titz zusammenpasst. Zumindest wollte Becker den HSV-Coach vor einigen Wochen, noch bevor er zum Chef beim HSV aufstieg, nach Kiel lotsen. Jetzt könnte es andersherum laufen.

Allerdings halten sich alle Beteiligten noch zurück. Auch, weil man bei Holstein Kiel vor den wichtigen Relegationsspielen heute und am Montag gegen den VfL Wolfsburg keine Unruhe haben will. Ralf Becker vermeidet ebenso wie Bernd Hoffmann jede klare Antwort auf die Frage nach dem bevorstehenden Wechsel. Meine Kollegen von HH1 sprachen heute kurz mit Becker: Was der Kieler Sportchef sagt

„Der HSV braucht jetzt einen starken Mann, der mit dem Trainer eng zusammenarbeitet und dessen Philosophie den HSV auf Jahre tragen kann“, sagte mir heute jemand, dem ich auch an dieser Stelle noch einmal gratulieren möchte: David Jarolim. Der Tscheche, der unmittelbar vor der Aufnahmeprüfung zum Fußballlehrer steht, hat die letzten Wochen ebenso intensiv den HSV verfolgt wie wir hier und feiert heute seinen 39. Geburtstag. „Man muss nicht absteigen, um aus seinen Fehlern zu lernen“, so Jarolim, ehe er hinzufügte, dass er ob der letzte Wochen und insbesondere von dem Gladbach-Spiel vielschichtig angetan war: „Ich weiß immer noch, was für ein tolles Gefühl es ist, da unten auf dem Rasen zu stehen und von den Fans gefeiert und angefeuert zu werden. Aber als ich am Sonnabend das Spiel gesehen habe und gehört habe, wie das ganze Stadion die Mannschaft gefeiert hat, obwohl sie schon so gut wie sicher abgestiegen war – das war unfassbar! Da habe ich richtig Gänsehaut bekommen.“

Jarolim, der zwischen 2003 und 2012 beim HSV in 344 Pflichtspielen auflief, wäre nicht er selbst, wenn er nicht trotz der Enttäuschung über den Abstieg sofort wieder nach vor blicken würde. Die Zweite Liga könne dem HSV zumindest bei dem geplanten Neuaufbau hilfreich sein, weil junge Talente herangeführt und dort noch eher eingesetzt werden könnten als in der Ersten Liga. Der fußballerische Anspruch sei eben doch ein wenig niedriger als in der Ersten Liga. „Dafür wird es ein körperlich harter Gang“, so der ehemalige HSV-Mannschaftskapitän, der in der Zweiten Liga für den 1. FC Nürnberg aktiv war und 2001 mit dem FCN in die Erste Liga aufstieg, ehe er 2003 zum HSV wechselte.

Und trotz aller Enttäuschung und Trauer über den Abstieg ist Jarolim überzeugt davon, dass die aktuelle Situation eine große Chance darstellt: „Das, was sich am Sonnabend in den letzten Minuten auf den Rängen abgespielt hat, zeigt, dass die Leute wie eine Wand hinter dem HSV stehen.“ Er habe sogar das Gefühl, dass sich im Moment eine noch engere Allianz zwischen Verein und Fans bilde. Gerade schwere Phasen wie die jetzige dafür sehr gut geeignet. „Und die letzten Wochen haben auch sportlich Mut gemacht“, so Jarolim, „das haben alle gespürt. Auch ich hier in Prag. Die Bedingungen scheinen gut, um zusammen den Neuanfang zu starten.“

Deshalb dürfe es nur noch darum gehen, genau diese Aufbruchsstimmung mit in die neue Saison zu nehmen. Dass dieser Weg bis zum ersten Spieltag der Zweiten Liga am 3. Bis 5. August noch weit ist, wissen alle. Denn egal ob Becker oder ein anderer hier zum Sportchef bzw. aller Voraussicht nach zum Vorstand Sport wird, er wird hammerharte Wochen vor sich haben. Allein die (notwendigen Verkäufe von Pierre Michel Lasogga und Alen Halilovic, die beide Verträge jenseits der drei Millionen Euro Jahresgehalt besitzen, sind Mammutaufgaben.

Für beide Spieler liegen derzeit jedenfalls noch keine Angebote anderer Klubs vor. Und sportlich auszeichnen konnte sie sich auch nur sehr bedingt in der abgelaufenen Saison. Hailovic stieg mit Las Palmas ebenso ab wie der HSV, während Lasogga nach einem spektakulären Start bei United zuletzt nur noch Ersatz war und teilweise gar nicht zum Einsatz kam. Allerdings muss man bei Lasogga dazusagen, dass er es auf zehn Treffer in der zweiten englischen Liga brachte.

„In der zweiten Bundesliga ist Lasogga vielleicht genau der richtige Stürmer für den HSV“, höre ich immer wieder. Und ich mag das sportlich auch gar nicht verneinen. Denn in Spielen, in denen der HSV Druck macht und häufiger ins letzte Spielfelddrittel bzw. sogar in den Sechzehner kommt, ist Lasogga zweifelsfrei gefährlich. Aber finanziell ist er schlichtweg nicht tragbar. Bei einem anvisierten Spieleretat von rund 30 Millionen Euro würde er allein 10 Prozent des Etats auf sich vereinen.

Denn im Gegensatz zu Bobby Wood, der aktuell auch drei Millionen Euro pro Saison verdient, gilt Lasoggas Vertrag auch in der zweiten Liga ohne Abzüge. Bei dem US-Amerikaner hingegen sollen es rund 40 Prozent weniger Jahresgehalt sein, was in der Summe noch immer 1,8 Millionen Euro bedeuten würde. Immer noch zu viel für die Zweite Liga – aber eben deutlich stemmbarer als die kolportierten 3,4 Millionen Euro von Lasogga, dessen Vertrag noch bis 2019 beim HSV läuft. Schwere Wochen für den neuen Sportlichen Leiter. Aber wenn man dem glauben darf, was die Kieler über ihren Sportchef erzählen, dann wäre das nichts, was Becker in irgendeiner Form abschrecken könnte. Ganz im Gegenteil...

In diesem Sinne, Euch allen einen schönen Fußballabend mit dem Relegationsspiel zwischen Wolfsburg und Kiel. Wer gewinnen solle? Schwer zu sagen. Mit nahezu endlosem Vorsprung sympathischer ist mir Holstein Kiel. Andererseits würde Wolfsburg in der kommenden Zweitligasaison wahrscheinlich der noch härtere Konkurrent um den Aufstieg. Vorbehaltlos freuen kann ich mich freuen irgendwie weder so noch so - aber meine Tendenz geht zu Kiel. Wobei, am besten versuche ich es einfach mal in Jarolims Art zu formulieren: Beide Spielausgänge hätten ihre Vorteile...

Bis morgen!

Scholle

 

 

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